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Politik

Die RAF und die Reue

1. Dezember 2017

Sie wollten die Welt verbessern und haben dafür gemordet. Das RAF-Kapitel der 1970/80er Jahre scheint abgeschlossen. Doch es bleibt die Frage nach der Schuld. Und damit geht jeder anders um. Auch noch nach 40 Jahren.

Schleyer Entführung RAF
5. September 1977, Tatort Köln: die Schleyer-Limousine nach der Geiselnahme Bild: picture-alliance/dpa/W. Bertram

Deutschland im Herbst 1977. Am 19. Oktober ruft Silke Maier-Witt die Deutsche Presse-Agentur an - aus einer Telefonzelle am Frankfurter Hauptbahnhof. "Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet", diktiert sie den Nachrichtenjournalisten. Danach nennt sie die Adresse im französischen Mülhausen, an der die Leiche des regelrecht hingerichteten Arbeitgeberpräsidenten zu finden sei.

Es ist eine von mehreren dramatischen Geschehnissen innerhalb weniger Wochen, die seitdem als "deutscher Herbst" einen Namen haben. Dazu zählt die Entführung Schleyers und die der Lufthansa-Boeing "Landshut", die spektakuläre Befreiung der Geiseln, der Mord am Arbeitgeberpräsidenten und die Selbstmorde der Führungsriege der RAF im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart Stammheim.

"… ich möchte einfach erst mal um Verzeihung bitten"

Silke Maier-Witt hat Schleyer nie gesehen. Sie hatte andere Aufgaben im kleinen Kreis der Terroristen der Rote Armee Fraktion. Vierzig Jahre danach bittet sie Familie Schleyer um Verzeihung. Sie sagt es gegenüber Jörg Schleyer (63), einem Sohn des Ermordeten, im mazedonischen Skopje, wo die heute 67-Jährige als Rentnerin lebt.

Silke Maier-Witt als Zeugin 2011: "... um Verzeihung bitten"Bild: picture-alliance/dpa/U. Anspach

Sieben Stunden haben die beiden auf Vermittlung der Bild-Zeitung miteinander geredet: über Details der Entführung in Köln, wie es Schleyer in seinem "RAF-Volksgefängnis" in einer Mietwohnung erging, über Schuld. Die Ex-Terroristin wurde 1991 zu zehn Jahren Haft verurteilt, nicht nur wegen der Causa Schleyer. Nur die Hälfte der Strafe musste sie verbüßen. Seit ihrer Festnahme zeigt sie Reue über ihr Leben als Terroristin. Sie empfinde "Scham".

Das unterscheidet sie von den weitaus meisten der ersten und zweiten RAF-Generation. Schon vor zehn Jahren hatte sie ihre einstigen Mitkämpfer aufgefordert, ihr Schweigen zu brechen. Doch schon damals war ihre Hoffnung gering. Manche RAF-Rentner hielten ihre Taten "immer noch hoch".   

Zu Jörg Schleyer sagte sie hingegen im November fast etwas unbeholfen: "Es klingt platt, aber ich möchte um Verzeihung bitten." Vergeben kann Schleyer der Ex-Terroristin nicht, für die Lossprechung von Sünden sei er der falsche Ansprechpartner. Doch er gesteht ihr zu, "sehr glaubwürdig" zu sein. Seit ihrer Verhaftung 1991 hadere sie mit sich selbst und stelle sich immer wieder die Frage: "Warum war ich jetzt dabei?"

Christian Klar: Nur bedingt reuefähig

Diese Frage stellt sich für Christian Klar nicht. Der heute 65-Jährige galt als Schlüsselfigur der zweiten RAF-Generation. Er war an den meisten Anschlägen der RAF zwischen 1977 und 1982 beteiligt. Fast überall hinterließ er seine Fingerabdrücke. 1985 wurde er als mehrfacher Mörder zu fünfmal lebenslänglich verurteilt. Seine Gnadengesuche ab 2000 waren ein Politikum.

"Sachdienliche Hinweise bitte an..." - Das Fahndungsplakat des Bundeskriminalamtes von 1980 Bild: picture-alliance/dpa

Für den "eiskalten Macher", wie ihn der RAF-Kenner Butz Peters charakterisierte, interessierten sich auch Künstler und Medien. Der renommierte Interview-Spezialist Günter Gaus zeichnete 2001 ein langes TV-Gespräch mit Klar in der Haftanstalt auf, das als "eines der denkwürdigsten Interviews der deutschen Fernsehgeschichte" hohe Wellen schlug. Gefragt nach Schuldbewusstsein und Reuegefühlen antwortete er: "In dem politischen Raum, vor dem Hintergrund von unserem Kampf sind das keine Begriffe." 

Die Debatte um sein Gnadengesuch 

Doch wenig später schrieb er in seinem Gnadengesuch an Bundespräsident Johannes Rau, dass er selbstverständlich eine Schuld anerkennen müsse. Er verstehe die Gefühle der Opfer und "bedauere das Leid dieser Menschen." Klar blieb in Haft. Dabei hatte er schon Aussicht auf einen Praktikumsplatz als Bühnentechniker beim Berliner Ensemble, das ihm Intendant Claus Peymann angeboten hatte.

Die Versuche Klars, vorzeitig frei zu kommen, eskalierten 2007 in einer Streit-Debatte mit diametral auseinander liegenden Positionen. Während sich der damalige Innenminister Gerhart Baum und der Film-Regisseur Volker Schlöndorff für Klar einsetzten, sprachen sich Schleyers Witwe Waltrude und mehrere Spitzenpolitiker verschiedener Parteien dagegen aus.

Der "eiskalte Macher": Christian Klar vor dem Ermittlungsrichter am 17.11.1982 in KarlsruheBild: picture-alliance/dpa

Ihre Argumente: Klar zeige keine klaren Signale, die es rechtfertigten, ihm entgegenzukommen. Kurz: keine Spur von einem öffentlichen Reue- und Schuldbekenntnis. Auch Bundespräsident Horst Köhler lehnte daraufhin das Gnadengesuch ab, nachdem er vorher persönlich mit Klar gesprochen hatte.

Das Schweigegelübde der RAF

2009 entschied das Oberlandesgericht Stuttgart, Klar freizulassen. Jürgen Vietor, der Co-Pilot der "Landshut", gab daraufhin sein Bundesverdienstkreuz zurück. Klar auf freiem Fuß - das sei eine Verhöhnung der Opfer. Nichts an ihm lade ein, diese Figur begreifen zu wollen, war noch eine der gemäßigteren Reaktionen in der langen Klar-Debatte, die der Autor Bernhard Schlink 2008 in seinem Roman "Das Wochenende" verarbeitete, in dem Klar unverkennbar im Fokus steht.

Die Front gegen Klars vorzeitige Entlassung hält bis heute. Es ist das lebenslange Schweigegelübde der RAF-Rentner, die bis auf wenige Ausnahmen nichts über die Beteiligten bzw. die Todesschützen der Mordtaten sagen. Das hat nicht nur die Gerichte interessiert, sondern auch die Opfer-Familien. Lange ging es ihnen vor allem um Sühne, längst interessiert sie nur noch die Wahrheit.

Peter Jürgen Boock: Der Mann der taktischen Wahrheit

Wie es denn tatsächlich gewesen ist, ist beim talkshowerprobten Ex-Terrorist Peter Jürgen Boock besonders umstritten. Der 66-Jährige war an der Ermordung sowohl Hanns Martin Schleyers als auch des Bankiers Jürgen Ponto beteiligt. Schon vor seiner Verhaftung 1981 sagte er sich von der RAF los, bis 1998 blieb er in Haft. Er sei nur ein "kleines Licht" in der RAF gewesen behauptete er solange, bis Aussagen anderer Ehemaliger seine Behauptungen in TV-Auftritten und in seinen schriftlichen Erinnerungen aus Gefängniszeiten widerlegten.

Inoffizieller RAF-Erklärer in den Medien: Peter Jürgen BoockBild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Boock zeigte sich in zahlreichen Talkshows geläutert. Doch seine Einlassungen gegenüber den Ermittlern seien stets taktischer Natur, warf ihm der frühere Generalbundesanwalt Kurt Rebmann vor. 1992 gestand Boock seine Beteiligung an der Schleyer-Entführung. Er sei sogar einer derjenigen gewesen, die das Feuer auf Schleyers Begleiter eröffnet hatten. Nachträgliche Korrekturen wie diese brachten ihm den Spitznamen "Karl May der RAF" ein.

Der Umgang der RAF mit der Schuld beschäftigt schon seit langem die Experten der Seele. Die Psychotherapeutin Angelika Holderberg hat erhebliche Zweifel an Reuebekenntnissen von Ex-RAF-Terroristen. Die komme aus der Sicht der Betroffenen einer Unterwerfung gleich. So weit sind viele noch nicht.

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