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Spaltung an der "linken Front" Russlands?

22. März 2004

– Semigin gründet Kongress der Patrioten Russlands – Schicksal der KPRF ungewiss

Moskau, 22.3.2004, INTERFAX, STRANA.RU, ISWESTIJA

INTERFAX, russ., 20.3.2004

Der zweite Kongress der patriotischen Kräfte Russlands wird im Herbst in Moskau stattfinden. Das wurde bei dem am Samstag (20.3.) zu Ende gegangenen ersten Kongress der patriotischen Kräfte Russlands mitgeteilt. Der Kongress hat eine Resolution angenommen, in dem er das heutige Forum als "wichtigen Schritt auf dem Wege der Konsolidierung der patriotischen Kräfte Russlands betrachtet". In der Resolution heißt es unter anderem, dass das Land "einen neuen politischen sowie sozialen und wirtschaftlichen Kurs braucht". (...) In der Resolution heißt es ferner, dass der Kongress das am Vortag unterzeichnete Generalabkommen über Zusammenarbeit und Partnerschaft unterstützt. Dieses wurde von acht politischen Parteien und elf gesellschaftlichen Vereinigungen unterschrieben. Diesem Dokument können sich andere potenzielle Mitglieder anschließen. In der Resolution wird ferner hervorgehoben, dass bereits bis Ende dieses Jahres im Land eine "starke Koalition volkspatriotischer Kräfte" gebildet sein muss. (...) (lr)

STRANA.RU, russ., 22.3.2004

Der "Kongress der Patrioten Russlands", der am Samstag (20.3.) in Moskau stattgefunden hat, könnte zum Tüpfelchen auf dem "i" in dem seit bereits einem Jahr andauernden Konflikt zwischen dem Vorsitzenden der KPRF, Gennadij Sjuganow, und dem Vorsitzenden der Volkspatriotischen Union Russlands, Gennadij Semigin, werden. Die organisatorische Bildung einer neuen großen oppositionellen Organisation, in der sich die aktivsten Gegner der Kommunistischen Partei, zusammengeschlossen haben, könnte zur Spaltung oder zumindest einer ernsten Krise in den Reihen der Kommunisten führen.

Der Ort, die Zeit und die Zusammensetzung des "Kongresses der Patrioten Russlands", der unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Sponsors der Wahlkampagne der Kommunisten, des "roten Oligarchen" Gennadij Semigin stattgefunden hat, waren berufen, weniger die Wichtigkeit dieser Veranstaltung als den Beginn einer neuen Etappe in der Geschichte der oppositionellen Bewegung in Russland, deren Wesen in der Losung "linke Opposition ohne Sjuganow" besteht, zu symbolisieren

Wie die Organisatoren nicht ohne Stolz betonten, seien zu diesem Forum im Gebäude des Präsidiums der Russischen Wissenschaftsakademie über 1000 Delegierte von 15 Parteien und 60 gesellschaftlichen Organisationen aus ausnahmsweise allen Regionen des Landes zusammengekommen. Die "Partei der Wiedergeburt Russlands" von Gennadij Selesnjow, die Volkspartei von Gennadij Rajkow, die Russische Rentnerpartei und sogar die Russische Gewerkschaft der Hafenarbeiter. Die Liste der zur Vereinigung strebenden Patrioten (an deren anderem Ende die Partei "Werktätiges Russland" von Wiktor Anpilow und die Partei "SLON" von Wjatscheslaw Igrunow liegen) sprengt die Rahmen der Volkspatriotischen Union Russlands, die bis jetzt als repräsentativste Struktur der Opposition galt.

Obwohl auf der Liste der Teilnehmer sowohl die KPRF als auch der Verband der Agro-Industriellen standen, fanden Gennadij Sjuganow und Nikolaj Charitonow weder im Präsidium noch im Saal Platz. Es sieht so aus, als ob der "Kongress der Patrioten", der das Auftauchen an der linken Front eines ernsten Konkurrenten bedeutet, dazu noch mit Semigin an der Spitze, den die Anhänger von Sjuganow nicht anders als "Maulwurf" bezeichnen, der in die KPRF mit dem Ziel eingeschleust wurde, diese von innen zu zerstören, die Führung der Kommunistischen Partei in ihren Filzschuhen erwischt hätte. Das ZK der KPRF hatte einen Tag vor dem Kongress eine Sondererklärung abgegeben, in dem es Besorgnis über das Schicksal der linken Bewegung äußerte. Sjuganow persönlich bezeichnete den Semigin-Kongress als "‘bösen Maulwurf-Streich‘ derjenigen, die die Partei und die linkspatriotische Bewegung zerstören".

Die Kommunisten haben Grund zur Besorgnis. Die Ambitionen der neuen Organisation sind nicht ohne. Bereits Ende dieses Jahres soll in Russland eine "starke oppositionelle patriotische Organisation" auftauchen, die dessen Teilnehmer, wie es in der Resolution des Kongresses heißt, aufbauen wollen, indem sie sich auf die "konsolidierten Erfahrungen" der linken Parteien, der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Organisationen sowie die "Ressourcen patriotischer Geschäftskreise" stützen.

Beschlossen wurde ferner, dass der "Kongress der Patrioten Russlands" ein ständiges Forum sein wird, was das faktische Ende des "Volkspatriotischen Verbandes Russlands" bedeutet, zu dem jetzt niemand außer den Kommunisten gehören wird. Gennadij Selesnjow, der seinerzeit von Sjuganow aus der Kommunistischen Partei vertrieben wurde, machte vor Journalisten keinen Hehl daraus, dass die Kongressteilnehmer mit der derzeitigen Situation an der linken Front unzufrieden sind, wo allein die KPRF die führende Rolle spielt, die außerdem eine Niederlage bei den Parlamentswahlen einstecken musste. Deshalb versprach er, dass die neue linkspatriotische Struktur die Gleichheit aller ihr angehörenden Parteien und Organisationen gewährleisten wird. (...)

Gennadij Semigin, der aus gutem Grund mit der durchgeführten Arbeit zufrieden sein kann, konnte es nicht unterlassen, den Schlag zu verstärken, der seinen Gegnern versetzt wurde. Er warf der KPRF-Führung "Fehler und Intrigen" vor und rief die Kommunistische Partei zur "ernsten Erneuerung" und der Änderung einer Reihe von Positionen auf, "deretwegen der Wähler ihr das Vertrauen entzogen hat". Semigin schloss die Möglichkeit nicht aus, dass Gennadij Sjuganow sein Amt verlieren wird, betonte jedoch gleichzeitig, dass der von ihm organisierte Kongress "keine Spaltung, sondern einen Kampf von zwei wichtigen Richtungen über die Strategie und Taktik der linken Kräfte bedeutet". Welche dieser Richtungen mehr Chancen auf einen Sieg hat, wird nach dem Gegenzug von Sjuganow klar sein. Vorläufig hat die KPRF keine anderen Ideen als die Säuberung ihrer Reihen und die Änderung der Finanzierung des Volkspatriotischen Verbandes Russlands – reine Apparatschik-Methoden, die Sjuganow kaum neue Anhänger bescheren werden. (lr)

ISWESTIJA, russ., 22.3.2004, Michail Winogradow

(...) Eine Reihe von Experten ist der Ansicht, dass der Sinn der Konfrontation an der linken Front viel tiefer ist:

"In der Partei ist eine tiefe Krise herangereift, infolge der an der linken Front ein Vakuum entstanden ist, das zweifellos gefüllt wird", so der linke Politologe Ilja Ponomarjow. "Darum kämpfen Semigin, Sergej Glasjew und Dmitrij Rogosin mit seiner ‚Heimat‘. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass Semigin die Partei zerstören will und die anderen Einfluss in ihr gewinnen wollen auch unter dem Umstand, dass Sjuganow im führenden Amt bleibt." (...)

"Semigin hat nie einen Hehl aus seinen Ambitionen gemacht. Dessen Ziel ist nicht nur, die Führung in der linken Bewegung zu übernehmen, sondern auch das Präsidentenamt", so der Politologe Dmitrij Orlow. "Eine andere Frage ist, wie angemessen seine Hoffnungen sind. Ich bin der Meinung, dass er als Parteiapparatschik aus der zweiten Reihe über keine Ressourcen für solche Ansprüche verfügt. Die KPRF, auch eine geschwächte, auch eine, die lediglich den Kern ihrer Wählerschaft konsolidiert, wird weiterhin ein ernst zu nehmender Spieler auf der politischen Bühne sein. (...)" (lr)