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Spanien auf dem Weg in die Unregierbarkeit?

Santiago Sanchez / nin4. August 2016

Sieben Monate Verhandlungen - und die Spanier haben noch keine neue Regierung. Müssen sie zum dritten Mal innerhalb eines Jahres zur Wahlurne? In Madrid wachsen Ärger und Unverständnis. Santiago Saez berichtet.

Wahlplakate in Spanien (Foto: picture alliance/dpa)
Zwei Mal innerhalb eines Jahres mussten die Spanier schon wählen gehenBild: picture alliance/dpa/E. Trigo

In dieser Sache sind sich Spanier aller gesellschaftlichen Schichten einig. "Es ist eine Schande", meint der Rentner Luis Gomez. "Es ist ein riesiges Problem", findet die Eventmanagerin Marina Avila. "Das sind wirklich schlechte Nachrichten", sagt der Bankangestellte Alberto Valentin.

Jüngste Umfragen ergaben, dass sich nach den Urnengängen im Dezember und im Juni immer weniger Menschen an einer Neuwahl beteiligen würden - ganze zehn Prozent weniger als noch im Juli. Damit wäre ein Spitzenwert von 40 Prozent der Wähler erreicht, die bei der nächsten Parlamentswahl nicht ihre Stimme abgeben würden.

"Die Leute sind müde, da wächst die Gleichgültigkeit", erklärt Fermin Bouza, ein Experte für öffentliche Meinung und Wahlverhalten an der Universität in Madrid. "Die Leute wollen inzwischen einfach irgendeine Regierung." Momentan sehe es nicht danach aus, als profitiere eine der spanischen Parteien von einem neuerlichen Wahlgang, meint Bouza. "Ich erwarte keine großen Veränderungen - höchstens einen geringfügigen Stimmenzuwachs für die linken Parteien", sagt er in einem Interview mit der DW.

Unwahrscheinliche Bündnisse

Die kleine Regionalpartei Ciudadanos sicherte der regierenden Volkspartei Partido Poupular (PP) zwar zu, sich bei einem Vertrauensvotum zu enthalten. Doch um die nächsten Neuwahlen abzuwenden, müsste Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy die Sozialisten überzeugen, ihren Widerstand im Parlament aufzugeben. An den Stimmen der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) würde ein Vertrauensvotum mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern.

Der Sozialist Pedro Sanchez könnte dem spanischen Drama ein Ende bereiten - wenn er sich mit den Konservativen einigtBild: picture-alliance/dpa/J. Morales

Der Chef der PSOE, Pedro Sanchez, machte deutlich, dass seine Partei nicht vorhabe, sich auf einen Kompromiss einzulassen. Rajoy und die PP sollten stattdessen weiter mit der politischen Rechten verhandeln, fügte Sanchez mit Blick auf die baskisch-nationalistische PNV und die katalonische PDC hinzu.

Mit beiden wird sich die regierende PP jedoch nur schwer einigen können - mit den Katalanen wegen ihrer Unabhängigkeitsbewegung und mit dem Baskenland wegen der anstehenden Regionalwahlen. Bouza sagt, es sei "sehr unwahrscheinlich", dass diese Parteien sich auf Rajoy zubewegen würden. "Eine solche Annäherung wäre in ihren Kerngebieten sehr unpopulär, sie können dadurch nichts gewinnen", ergänzt der Meinungsforscher.

Das kleinere Übel

Die Gegend rund um den Paseo de la Castellana, dem wirtschaftlichen Knotenpunkt von Madrid, gilt traditionell als konservativ. Spaniens größte Unternehmen flankieren die breite Allee. Auf der sonst so belebten Straße ist es während der Sommermonate ruhig. Die Terrassen der Cafés sind geschlossen oder nur von vereinzelten Gästen besucht.

In Madrids Wirtschaftszentrum bleiben die Tische während der Urlaubssaison unbesetztBild: DW/S. Saez

Barbara Garcia arbeitet als Kellnerin in einem der Cafés auf der Promenade. Es ist ihr wichtig zu betonen, dass sie nicht aus dieser Gegend kommt. "Politisch denke ich nicht wie die meisten Leute hier", sagt sie mit einem Grinsen. Sie würde eine linksgerichtete Koalition einer von Rajoy geführten Regierung vorziehen, erklärt sie. Auch wenn es sich dabei lediglich um das kleinere Übel handele. "Alle von denen, rechte und linke, denken nur an sich selbst und nicht an die Bürger", meint sie. "Ich schäme mich. In Europa lachen sie bestimmt über uns."

Der Rentner Jose Luis Gomez unterstützt die Konservativen. Er lebt nur einige hundert Meter vom Estadio Santiago Bernabéu entfernt, dem Stadion des spanischen Spitzenvereins Real Madrid. "Alle Politiker sind Schuld", sagt er der DW. Die PP sollte regieren, findet er, allerdings ohne Rajoy. "Der Schlüssel liegt bei der PSOE, aber Rajoy weiß nicht, wie man verhandelt. Er hätte vor langer Zeit gehen sollen."

Angst vor den Kosten

Spaniens Steuerzahler fürchten vor allem die Kosten einer neuen Wahlrunde. Für die beiden vergangenen Wahlen hatte die spanische Regierung jeweils 130 Millionen Euro ausgegeben. Ein drittes Mal wollen die Spanier eine solche Rechnung nicht zahlen. "Es ist absurd. Wir kürzen Sozialleistungen, geben aber riesige Mengen für nutzlose politische Kampagnen aus, die uns ohnehin nur zum Ausgangspunkt zurückbringen", meint die Eventmanagerin Marina Avila.

König Felipe VI beauftragte Ministerpräsident Rajoy mit der Regierungsbildung - bislang ohen ErfolgBild: picture-alliance/dpa/Pool/A. Diaz

Nicht nur um direkte Kosten sorgen sich die spanischen Wähler. Alberto Valentin, der für eine große Bank arbeitet, fürchtet, die politische Instabilität könnte internationale Investoren abschrecken. "In einer solchen Situation entsteht wirtschaftliche Unsicherheit", sagt er. "Dem spanischen Volk zuliebe sollten sie eine Einigung finden", fügt Valentin mit Blick auf die Verhandlungsführer der politischen Parteien hinzu.

Verfolgt Rajoy eine Blockadepolitik?

Bis eine solche Einigung erreicht ist, übernimmt Rajoys Übergangsregierung weiter die Führung des Landes - allerdings mit erheblich eingeschränkten Mitteln. Die spanische Verfassung untersagt dem Kabinett, das Budget für 2017 zu überschreiten, Gesetzesvorlagen zu verabschieden - und Neuwahlen anzusetzen. Gelingt es den Parteien nicht, eine Regierung zu bilden, muss sich der Ministerpräsident einem Vertrauensvotum stellen. Zwei Monate nachdem er dieses verloren hätte, könnte der spanische König das Parlament auflösen. 50 Tage später wären dann Neuwahlen möglich.

Noch ist unklar, ob Rajoy sich einem solchen Vertrauensvotum überhaupt stellen wird, solange er nicht über die nötige Unterstützung verfügt. Die Verfassung sieht keine Deadline vor. Wenn aber weder Rajoy noch der König das Parlament auflösen dürfen, kann sich die Situation theoretisch bis ins Unendliche hinziehen.

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