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Die Briten müssen nicht auf Spanien verzichten

Stefanie Claudia Müller Madrid
5. Januar 2021

An der Costa del Sol stellen die Briten fast die Mehrheit. Der Brexit wird das nicht ändern. Auch Gibraltar konnte einen großzügigen Deal mit den Spaniern aushandeln. Klar ist auch: Spanien braucht die Briten.

Bundes Gemisch: Flaggen von Spanien, Großbritannien, Gibraltar und der EU
Bild: Getty Images/M. Cardy

Die Nachrichten vom Affenfelsen sind in diesen Tagen widersprüchlich. Auf der einen Seite konnten Spanien und die britische Exklave Gibraltar einen für ihre Bevölkerung guten Brexit-Deal in letzter Minute erzielen. Das weckte auf beiden Seiten Hoffnung auf bessere Beziehungen. Auf der anderen Seite erschrecken die hohen COVID-19-Zahlen in der Kronkolonie.

Bei einer Bevölkerungsdichte von rund 5000 Menschen pro Quadratkilometer spitzt sich die Lage an der Meeresenge gefährlich zu. Fast 1000 der 34.000 Einwohner sind akut erkrankt und gefährden damit Spanien durch Pendelverkehr und Warenaustausch. Gibraltar ist nach der neuen Vereinbarung Teil des Schengen-Raums.

Der Brexit wird die spanisch-britischen Beziehungen eher vertiefen

Die historische Vereinbarung beider Regierungen bedeutet aber langfristig Schutz für die rund 14.000 meist spanischen Pendler in Gibraltar, weil es den Standort sehr attraktiv für Investitionen macht. Es besteht zudem die Hoffnung, dass die durch die enormen Einkommensunterschiede im Laufe der Jahrzehnte wachsende Kriminalität im Dreieck von La Linea, Algeciras und Gibraltar zurückgeht. 

Der Affenfelsen - so etwas wie das Wahrzeichen von GibraltarBild: Regierung von Gibraltar

Die wirtschaftliche Verbindung mit Großbritannien ist wichtig für Spanien und damit auch das Verhältnis zu Gibraltar. Zehn Prozent der spanischen Exporte, vor allem landwirtschaftliche Produkte, Medikamente und Autos, werden in Großbritannien verkauft - und in keinem anderen Land der EU leben so viele Briten wie in Spanien.

"Inoffiziell sind es rund eine Million, offiziell gemeldet sind es nach Angaben der britischen Botschaft derzeit über 300.000 Briten", berichtet Camilla Hillier-Fry, Vize-Präsidentin der Lobbygruppe Eurocitizens, welche entscheidend an dem jetzt erreichten Abkommen mit den Briten in Spanien mitgewirkt hat.

Camilla Hillier-Fry, Vize-Präsidentin Eurocitizens GruppeBild: Adrian Vazquez Gonzalez

Dass die Einwohner von Gibraltar jetzt mehr Rechte haben als die in Spanien residierenden Briten, die sich zum Beispiel nicht mehr frei im Schengen-Raum bewegen können, stößt bei den spanischen Rechtsnationalen auf Kritik. Sie wollen, dass der Affenfelsen nach mehr als 300 Jahren Kolonialisierung wieder unter spanischer Flagge firmiert. Weil das derzeit auch wegen der noch existierenden spanischen Exklaven in Marokko eine Utopie ist, zieht der sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez die sanfte Annäherung vor.

Nirgendwo in der EU leben so viel Briten wie in Spanien

Denn die Briten machen nach Angaben der Zentralbank Banco de España auch 20 Prozent der spanischen Touristen aus, und sie sind nach wie vor die Ausländergruppe, die auf der Halbinsel die meisten Häuser und Ferienwohnungen kauft, noch vor den Deutschen.

Andy Dore an der Costa del Sol Bild: Privat

Der ehemalige Londoner Banker Andy Dore glaubt, dass "Spanien auch nach dem Brexit weiter attraktiv bleiben wird für uns". Er selbst wohnt an der Costa del Sol in Andalusien. Im November 2020 hat er seine spanische Aufenthaltsgenehmigung bekommen: "Das Leben ist hier günstiger für mich, ruhiger und sicherer." Seinen Unterhalt verdient er mit der Vermietung von Ferienwohnungen.  

Dore ist kein Einzelfall. Wer an der Costa del Sol flaniert oder im Supermarkt einkauft, hört viel Englisch. Viele der Zweitwohnungs-Besitzer kommen sogar mit dem Auto nach Andalusien. Nicht wenige arbeiteten im vergangenen Corona-Jahr 2020 monatelang von dort im Homeoffice.

Und auch für Spanien ist der britische Standort wichtig. Die Banco de España vermeldete jüngst, dass das Vereinigte Königreich nach den USA das Land ist, wo die Spanier am meisten Geld direkt investieren, insbesondere über ihre Banken Santander und Banco Sabadell sowie dem Telekommunikationskonzern Telefónica. "Direktinvestitionen werden jetzt durch den Brexit natürlich von der Abwicklung schwieriger", warnt Federico Steinberg, Ökonom am Madrider Denkfabrik "Real Instituto Real Elcano".

Zweitwohnsitze bleiben attraktiv für Briten

Aber die in Barcelona lebende finnische Unternehmensberaterin Raisa Venermo rechnet auch hier nach dem Brexit nicht mit großen Veränderungen: "Natürlich ist jetzt alles komplizierter und teurer. Aber Spanien hat als Standort immer noch einige Vorteile wie vergleichsweise niedrige Löhne und Lebenshaltungskosten."

Für Touristen aus dem Vereinigten Königtreich ändert sich nach dem definitiven Ausscheiden der Briten aus der EU nur, dass nach drei Monaten in Spanien ein Visum notwendig ist. "Für einfache Arbeiter, die neu nach Spanien kommen, wird es dagegen jetzt deutlich schwieriger, weil sie eine Arbeitsgenehmigung brauchen", warnt Venermo alle auswanderwilligen Briten. Ihre Firma Avalanding berät internationale Investoren vor Ort. 

Raisa Venermo, Firma AvalandingBild: Avalanding

Für die Wohlhabenden unter ihnen sei jedoch ein bereits 2013 eingeführtes Programm interessant, mit dem das Visum sogar ohne Aufenthaltspflicht und Steuersitz-Pflicht möglich sei: "Es handelt sich um das Golden Visa-Programm, das auch Portugal eingeführt hat. Wer seit 2013 Immobilien im Gesamtwert von mehr als 500.000 Euro in Spanien erworben hat oder in Zukunft erwerben möchte, hat einen Anspruch darauf."

Für den in Spanien tätigen deutschen Immobilien-Berater Matthias Meindel gibt es deswegen keine Zweifel, dass die Briten weiter in das Land investieren werden: "Verglichen mit den Aussichten in Großbritannien ist es immer noch der ideale Ort für eine Ferienimmobilie, wo die Briten auch die Infrastruktur von Hotels, Schulen und Firmen finden, die sie in ihrer eigenen Sprache und mit offenen Armen empfangen."

Spanische Staatsbürgerschaft wurde kurzfristig zum Renner

Die in Großbritannien lebende Erbengeneration der rund eine Million in Spanien lebenden Briten muss dagegen in den kommenden Jahren entscheiden, ob sie das Haus ihrer Eltern unter den aktuellen Bedingungen, die eine Vermietung für Nicht-Residenten erschweren, lieber verkaufen wollen. Vielleicht hat bis dahin die spanische Regierung aber auch die doppelte Staatsbürgerschaft auf den Weg gebracht.

Zwischen 2016 und 2019 wurde wegen der Unsicherheit über die Brexit-Folgen der spanische Pass zu einer interessanten Option für die Briten. Auch die Lobbyistin Hillier-Fry ist diesen Weg gegangen: "Ich habe meine britische Staatsbürgerschaft wie viele andere abgegeben müssen. Es wäre gut, wenn zukünftig wie in Großbritannien auch hier zwei Pässe möglich wären." Dann würden noch mehr Briten sich für Spanien als neuen Wohnort entscheiden, da ist sich auch Immobilien-Experte Meindel sicher.

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