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Spanien braucht mehr Mittelstands-Förderung

Stefanie Claudia Müller
2. Juni 2022

Die Regierung unter Pedro Sánchez kann beim EU-Wiederaufbaufonds aus dem Vollen schöpfen. Aber momentan profitieren davon eher multinationale Konzerne - vor allem aus Deutschland.

Coronavirus - Spanien - Straßenrenovierung in Valencia
Straßenrenovierung in ValenciaBild: Rober Solsona/Europa Press/dpa/picture alliance

"Vielen Dank, Herbert!" Spaniens Premier Pedro Sánchez duzt vor der Presse gerne seine Gesprächspartner, um besondere Nähe zu vermitteln. Der seit 2018 amtierende spanische Sozialist will die Wirtschaft mit den 140 Milliarden Euro, die Spanien aus den "Next Generation EU"-Fonds zustehen, nachhaltig umbauen. Allerdings sind es bisher vor allem die Konzerne, die davon profitieren, auch solche aus anderen Ländern wie VW.

Als der Chef des deutschen Autobauers, Herbert Diess, am Standort Sagunto bei Valencia, vor einigen Wochen eine neue Gigafactory ankündigte, war Sánchez live dabei. Für seine Regierung ist es wichtig, dass die VW-Tochter Seat in Barcelona trotz Verlusten eine Zukunft hat. Diess hat das zugesichert und will mit zehn Milliarden Euro die - nach eigenen Aussagen - "größte industrielle Investition, die jemals im Land getätigt wurde", durchführen. In Spanien soll eine der bedeutendsten E-Auto-Produktionsstätten des Konzerns entstehen, samt Batterie-Herstellung, in die Seat involviert sein wird. Der spanische Energieriese Iberdrola soll dazu in Teilen den grünen Wasserstoff und Strom liefern.

VW-Chef Herbert Diess (r) und Pedro Sánchez bei der Präsentation des Projekts der Volkswagen-Batterie-Gigafabrik in Sagunto, ValenciaBild: Rober Solsona/EUROPA PRESS/dpa/picture alliance

Spanien soll E-Auto-Hub werden, finanziert mit EU-Geldern

Sánchez setzte sich beim Pressetermin in Sagunto mit Diess in das elektrische Seat-Erfolgsmodell Cupra Born - wohl auch, um den Zuschauern zu zeigen, wie bedeutend Made in Spain geworden ist. Seitdem er an der Macht ist, machen Deutsche und Spanier immer mehr gemeinsame Sache. Dazu gehört auch, dass nach offiziellen Angaben 30 Prozent der Gelder aus Brüssel für die Entwicklung und den Ausbau von nachhaltigen Strom- und Treibstoff-Technologien in Spanien verwendet werden.

Tanker für den Transport von Flüssiggas (LNG), hier vor den Kanarischen InselnBild: Michael Weber/Imagebroker/picture alliance

"Das ist für ganz Europa von Bedeutung, aber natürlich besonders für Deutschland", sagt der CEO des spanischen Gas-Infrastruktur-Betreibers Enagás, Arturo Gonzalo, im Gespräch mit ausländischen Journalisten. Die sechs spanischen LNG-Häfen und internationale Gasleitungen gewinnen jetzt enorm an Bedeutung. Das Unternehmen wird deswegen von dem mit Steuergeldern finanzierten Umbau profitieren.

Zwar ist für den Antrag auf die Hilfen Bedingung, dass kleine und mittelständische Unternehmen in die "Next Generation EU"-Projekte eingebunden werden müssen, "aber das Hauptgeschäft geht unweigerlich an die multinationalen Konzerne, die federführend beim Rest der Investitionen sind", muss Germán Renau Martínez, Sprecher des Energieausschusses der regierenden Sozialisten im Parlament, eingestehen.

70. Gründungsjubiläum der VW-Tocher SEAT (05.03.2021)Bild: David Zorrakino/EUROPA PRESS/dpa/picture alliance

Drei Milliarden Euro aus den "Next Generation EU"-Fonds stehen allein für den Bereich E-Mobilität in Spanien zur Verfügung. 50 Prozent davon als Kredite. In Branchenkreisen heiβt es, dass das VW-Projekt rund 1,1 Milliarden Euro davon bekommen könnte. Die Fonds seien maßgeschneidert worden, um die ausländische Autoindustrie im Land und vor allem Seat, aber auch Nissan zu retten. Der japanische Hersteller wird sich auch um spanische EU-Mittel bewerben.

Modernisierung mit deutscher Hilfe

Allerdings hat das auch negative Auswirkungen. Bei dem aktuellen Umbau fehlt es an einem finanzkräftigen spanischen Mittelstand, der an der Seite von VW mitziehen kann. "Die Konzentration in unserem Markt ist bereits sehr hoch. Von den 3,3 Millionen Firmen in Spanien haben nur knapp 20.000 mehr als 50 Angestellte," erklärt die spanische Staatssekretärin Carme Artigas bei einer Konferenz der Kanzlei Cremades & Calvo-Sotelo in Madrid. 3,1 Millionen davon kämen aus dem Bereich Bau, Handel und Service, wozu auch der Tourismus zählt.

Der wirtschaftskulturelle Wandel sei zeitaufwendig, die Arbeitslosigkeit mit 13 Prozent immer noch hoch im EU-Vergleich. Ein Teufelskreis, der den Aufbau eines ähnlich soliden Mittelstandes wie in Deutschland erschwert, sagt Artigas.

LNG-Terminal von EnagásBild: Enagás

Die wettbewerbsschädliche Konzentration in Branchen wie der Zulieferindustrie, Textil, Telekommunikation, Finanzen und Bau zeige sich auch an der Börse, glauben Finanzexperten, wo 20 Unternehmen, darunter Santander, Telefónica und Inditex, den Ton angäben und deswegen in den vergangenen Jahren sehr wenige Firmen den Schritt aufs Madrider Parkett gewagt hätten.

Greenwashing bleibt problematisch

Das politische Konzept, das hinter den "Next Generation EU"-Fonds steht, der Green Deal, hinterlässt zudem einen bitteren Nachgeschmack. Die Gelder, von denen bereits 19 Milliarden Euro im Land direkt verteilt wurden, gehen auch an spanische Konzerne wie den international agierenden Düngerhersteller Fertiberia aus Huelva. Das Unternehmen wurde gerade für die Verschmutzung des dortigen Marschlandes verurteilt, kündigte aber jetzt an, bis 2035 klimaneutral produzieren zu wollen.

Zusammen mit Naturgy, Enagás und Vesta wird Fertiberia in Sagunto, wo auch VW seine Gigafactory im kommenden Jahr baut, grünen Wasserstoff für die eigene Fabrik produzieren, wofür sie auch EU-Hilfen beantragt haben. Der Hafen in Sagunto liefert das dafür notwendige LNG-Terminal.

Siemens Spanien will ebenfalls vom Next-Generation-Kuchen etwas abhaben. Die spanische Umweltministerin Teresa Ribera hatte angekündigt, dass sie die marine Windenergie ausbauen will. Damit ist klar, dass die größten Gewinner des Green Deal schon jetzt deutsche und spanische Unternehmen sind, wie aus diplomatischen Kreisen zu hören ist. Was das langfristig für Spanien bringt, bleibt abzuwarten, moniert dagegen die rechtskonservative Opposition im spanischen Parlament, die mehr Transparenz bei der Vergabe der EU-Gelder fordert. 

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