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Politik

Eine Richterin spricht Klartext

12. Oktober 2017

Margarita Robles hat Spanien gezeigt, wie der Katalonien-Konflikt gelöst werden kann: durch eine Reform der Verfassung, damit sich alle zuhause fühlen. Die Regierung hat jetzt keine Ausrede mehr. Stefanie Müller, Madrid.

Spanien Nationalfeiertag Militärparade in Madrid
Bild: picture-alliance/dpa/P. White

Das spanische Militär defilierte auf den Straßen von Madrid, und diesmal - nach den Ereignissen des 1. Oktober - war auch die nationale Polizei dabei. Das Königspaar wirkte etwas gequält am "Tag der spanischen Einheit", der eigentlich der "Kolumbus-Tag" ist - die Erinnerung an die Entdeckung Amerikas. Die Präsenz von Botschaftern und Politikern war so hoch wie nie zuvor angesichts der schweren Staatskrise, die Spanien mit den Separatisten in Katalonien erlebt. Auch der langjährige spanische Premier Félipe González saß erstmals als ehemaliger Staatschef ganz vorne auf den Rängen.

"Wenn die Katalonien-Krise ein Gutes hat, dann ist es, dass die Spanier sich nun mit ihrer Geschichte auseinandersetzen müssen und eine zweite 'Transición' einleiten werden, eine Reform der Verfassung von 1978," sagt Margarita Robles, eine der ersten weiblichen Richterinnen in Spanien und PSOE-Abgeordnete. Robles hat gestern bei der Debatte um das Krisen-Management der Regierung von Mariano Rajoy eine brillante Rede gehalten, die genau das fordert. In Weiß gekleidet, der Farbe des Friedens, machte die Spanierin nicht nur den Unterschied zwischen  Nationalismus und Patriotismus klar, sondern auch, wofür die bekannte spanische Leidenschaft konstruktiv eingesetzt werden kann, ohne Komplexe: für das eigene Land.

Margarita Robles: Für eine Reform der Verfassung von 1978Bild: Imago/Agencia EFE

Eine Frau redet Klartext

Nach der verwirrenden Ansprache des spanischen Premiers am Mittwochvormittag und seiner wenig selbstkritischen Rede im Parlament am Nachmittag des gleichen Tages zeigte Robles klar den Weg auf, den Spanien jetzt einschlagen sollte: "Spaniens aktuelle Verfassung bietet Platz für alle und den Raum, damit wir sie reformieren, damit alle sich noch wohler fühlen in diesem rechtlichen Rahmen, der unser Zusammenleben organisiert. Diese Verfassung bietet Platz für Debatten und Dialog." Die in León geborene und in Barcelona aufgewachsene 61-jährige Juristin hat damit als erste offen eine Lösung angesprochen, "die in der Luft lag und die das Land schon viel früher hätte angehen sollen", glaubt der in Madrid ansässige deutsche Anwalt Georg Abegg: "Sich wie Rajoy hinter der Verfassung zu verstecken, ist falsch. Sie ist nicht aus Stein gemeißelt, sie kann verändert werden und muss wahrscheinlich auch nach fast 40 Jahren aufgrund kultureller Unterschiede vom Süden bis zum Norden angepasst werden."  

Robles, seit diesem Jahr Sprecherin der PSOE im spanischen Parlament,  hat schon viele Tabus gebrochen. Sie war die erste Frau, die das Provinzgericht in Barcelona leitete, und sie war die dritte Frau am Obersten Gerichtshof Spaniens. Die Richterin war die beste ihres Jura-Jahrgangs, und sie hat gestern im spanischen Parlament gezeigt, was es bedeutet, patriotisch zu sein: Lösungen finden, statt nur Gesetze anzuwenden. Nach dem absurden Auftritt des katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont am Abend zuvor hat Robles klar ausgesprochen, wofür es schon lange eine Mehrheit in der Gesellschaft gibt, auch wenn die spanische Regierung sich lange dagegen gesperrt hat: Spanien muss einen neuen Modus Vivendi für seine 17 autonomen Regionen und Städte finden. Der Prozess soll nach Wunsch der PSOE und seines Vorsitzenden Pedro Sánchez in spätestens sechs Monaten beginnen, wenn sich die aktuelle Krise beruhigt hat.

Robles glaubt an Spaniens Selbstheilungskräfte

Die Richterin glaubt, dass in dem Konflikt mit der katalonischen Regierung keine internationalen Vermittler notwendig sind: "Wir brauchen keinen anderen Vermittler als uns selber, wir sind die Repräsentanten des spanischen Staates," sagt sie vor laufenden Kameras im Parlament. Sie rief dazu auf, "jetzt Politik zu machen". Die Juristin kritisierte das verfassungsfeindliche Vorgehen der katalanischen Regierung aufs Schärfste. Bis Freitag muss sich Puigdemont äußern, wie er zur Unabhängigkeit Kataloniens steht. Bleibt er dabei, dann kann die Autonomie Kataloniens gemäß Verfassungsartikel 155 ausgesetzt werden.  

Der König wirkt bedrückt: Felipe VI und seine Frau Letizia nehmen die Parade zum Staatsfeiertag abBild: picture-alliance/dpa/P. White

Eine Modernisierung des spanischen Staates könnte auch bedeuten, dass Spanien sich künftig föderal organisiert. Pablo Iglesias von der linken Partei Podemos sympathisiert mit Robles, die in ihrer Karriere wiederholt zwischen dem Richteramt und der Politik gewechselt hat. Er bringt nach ihr als zweiter Redner im spanischen Kongress in seiner gestrigen kurzen Rede den Begriff des "plurinationalen Staates” an: "Ich habe noch keine Kinder, aber ich hätte gerne welche und ich wünsche mir, dass sie ein Spanien kennen lernen, wo verschiedene Nationen in Frieden unter einem Dach leben, das Spanien heißt.“

Nationalfeiertag könnte zum Tag der Einheit werden

Der friedliche Aufmarsch des Militärs in Madrid und die relative Ruhe in Barcelona machen deutlich, dass es immer noch Raum gibt für Spanien, diesen Konflikt mit Katalonien friedlich zu lösen. Am Tag des spanischen Nationalfeiertags sieht man auch Pedro Sánchez, Albert Rivera von der liberalen, in Katalonien entstandenen Partei Ciudadanos und Rajoy zusammen. Ein gutes Zeichen: In den vergangenen Jahren gab es keinen Pakt zwischen den spanischen Parteien, jetzt könnte es ihn geben. Robles fordert deswegen in ihrem Diskurs gestern auf, Klarheit in den Dialog zu bringen: "Wir brauchen Gewissheit darüber, was mit dem Artikel 155 genau passiert." Alles hängt wahrscheinlich von der Antwort Puigdemonts morgen ab. "Hoffen wir auf eine Ende der Zweideutigkeiten", sagt die Juristin.

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