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Literatur

Dieter Ingenschay: Kataloniens Kulturszene erschüttert

19. August 2017

Der Terror von Barcelona hat auch seine Kulturschaffenden geschockt: Auswirkungen auf die katalanische Autonomiebewegung hält der Kulturwissenschaftler und Spanienkenner Dieter Ingenschay jedoch für unwahrscheinlich.

Spanien Barcelona Fundacio Joan Miro
Bild: picture-alliance/dpa/M. Read

Deutsche Welle: Herr Professor Ingenschay, Sie waren mit Ihrer Familien erst kürzlich in Barcelona. Haben Sie geahnt, dass es mit der Ruhe dort bald vorbei sein würde?

Dieter Ingenschay: Nein. Es gibt Leute, die sagen, das war zu erwarten. Aber wenn man so etwas erlebt, ist man überrascht, weil man diese Dinge verdrängt. Ich war am 4. März 2004 in Madrid, als dort die Attentate geschahen. Damals habe ich hautnah miterlebt, wie unverständlich so ein Erlebnis ist. Das war auch die Reaktion, die ich jetzt auf den Twitter-Accounts vieler Schriftsteller wahrgenommen habe, die alle sagten: Damit war zu rechnen. Aber wir sind völlig überrascht.

Gerade ist die baskische ETA passé. Nun kehrt der Terror zurück, der IS reklamiert diese Attacken für sich. Was macht das mit den Kulturschaffenden von Katalonien?

Trauer in Barcelona nach den AnschlägenBild: picture alliance/AP Photo/E. Morenatti

Durch die Erfahrung mit der ETA hatte Spanien schon eine Umgangsweise mit dem Terror, als andere Länder das noch nicht hatten. Das hat vielleicht eine gewisse Neutralität oder besser Objektivität nach den Madrider Anschlägen von 2004 ausgelöst. Die Reaktionen in Spanien seitens der Intellektuellen waren längst nicht so heftig wie die der Nordamerikaner nach 9/11.

 

"Die Kinder von Joan Miró werden nie lernen, zu hassen"

Dieter IngenschayBild: Privat

Es gab eine ganze Reihe von Romanen, die dieses Ereignis ins Zentrum stellten - darunter sehr traurige, dysphorische Romane. Trotzdem: wenn ich in den Bahnhof Atocha gehe, diese Gedenkstätte bei Madrid, habe ich den Eindruck, ich bin der Einzige, der da hingeht. Das Erinnern ist nicht so präsent wie anderswo. Die Appelle, die man heute liest, gehen alle in diese Richtung. Sie sagen, wir werden weiterleben müssen und sollten uns die Lebensfreude nicht nehmen lassen. Viele verweisen auf die Geschichte der katalanischen Kultur. Ich denke etwa an Javier Vidal Foche, der schreibt, dass die Kinder von Joan Miró niemals lernen werden zu hassen. Also eine Selbstdefinition, die sich abtrennt von solch terroristischen Aktionen.

Hat der Anschlag die Kulturszene Kataloniens erschüttert?

Ja. Javier Cercas, ein Schriftsteller, der auch in Deutschland viel gelesen wird, hat etwa geschrieben: Ich muss morgen nach Polen reisen und werde das auch tun. Denn es hat keinen Zweck, dass wir aufgeben. Es ist unmöglich, sich zu verteidigen.

"Viele Autoren verarbeiten den Terror in ihren Werken"

Was mir an Reaktionen auch noch auffiel: Die Stiftungen und Institutionen twitterten sehr schnell. Interessant fand ich, dass die katalanische Jordi Savall-Stiftung daran erinnert hat, dass die Solidarität mit geflüchteten Menschen nicht verloren gehen sollte angesichts dieses Attentats.

Wie wirkt sich diese Angst vor Anschlägen und Gewalt auf die Arbeit von Schriftstellern aus?

Dazu fallen mir die Autoren ein, welche die Ereignisse von Atocha verarbeitet haben. Schon 2004 gab es sehr intensive Auseinandersetzungen. Das waren ja schon islamistische Attentate. Aber das war Madrid und nicht Barcelona. Barcelona stellt sich immer als besonders weltoffen dar.

Schriftsteller Eduardo MendozaBild: Imago/VIADATA

Einen interessanten Artikel habe ich von Fausto Muñoz de Cote in der Zeitschrift El Economista gefunden. Er verweist auf die lange Tradition der Barcelonaer Stadtliteratur – also Eduardo Mendozas "Stadt der Wunder" oder Juan Marses "Letzte Nachmittage mit Theresa". Er schreibt beispielsweise über den Brunnen Canaletas oben an der Rambla, genau da, wo der Anschlag passierte. Er erinnert an die Tradition, dass Touristen Wasser aus dem Brunnen trinken, damit sie dahin zurückkehren. Erinnert an die große internationale Tradition, die jetzt einen Knacks bekommen habe. Er verbindet das mit der politischen Situation Barcelonas, die von der Zentralregierung in Madrid nicht geliebt wird, und die selbst auf der Suche nach einer Identität ist. Ich weiß nicht, ob man islamistischen Terror mit der innenpolitischen Situation verbinden kann. Aber der Artikel hat mir gezeigt, dass es eben geschieht.

Hat der Anschlag Folgen für die Autonomiebewegung, an der ja auch viele Kulturschaffende beteiligt sind?

Ich glaube es nicht. Das sind zwei Paar Schuhe. Der Wunsch nach ein einer vollen staatlichen Selbstständigkeit bleibt von einem solchen Attentat unberührt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Schockereignis dazu führt, dass jemand sagt, 'jetzt wollen wir aber auf unsere staatliche Eigenständigkeit verzichten. Jetzt wollen wir weiter in Frieden leben ohne solche Anschläge'. Die Instanz auf die man setzt, um Anschläge zu vermeiden, sind ja internationale Instanzen, vor allem die Europäische Union.

Sie glauben nicht, dass das Referendum in Katalonien platzen wird?

Ich denke nicht, zumindest nicht wegen dieses Attentats.

Der Kulturwissenschaftler Prof. Dieter Ingenschay ist Experte für spanische und lateinamerikanische Literatur und gilt als bestens vernetzt. Bis 2015 lehrte er an der Berliner Humboldt-Universität.

Mit ihm sprach Stefan Dege.