1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Menstruationsurlaub - Fluch oder Segen?

Sonya Angelica Diehn
18. Mai 2022

Spanien könnte das erste europäische Land werden, das Frauen bei Menstruationsproblemen bezahlte Urlaubstage gewährt. Der vom Minsiterrat beschlossene Gesetzentwurf muss noch vom Parlament bestätigt werden.

Symbolbild Entlassung
Schmerzen während der Periode - ein vielerorts tabuisiertes ThemaBild: Robert Kneschke/Zoonar/picture alliance

Judy Birch erinnert sich noch genau an die Situation: "Ich war im Klassenzimmer und hielt eine Schulstunde. Ich hatte solche Schmerzen, dass mir die Tränen kamen. Ich musste heimgehen." Birch leitet heute eine Therapiestelle für Beckenschmerzen im Vereinigten Königreich. Sie gehört zu den Milliarden von Frauen mit starken Menstruationsschmerzen. Dazu gehören heftige Blutungen, Krämpfe und Müdigkeit, bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Bis zu 90 Prozent der Frauen im gebährfähigen Alter, so aktuelle Studien, kennen solche Symptome, bei rund 30 Prozent handelt es sich um ausgesprochen starke Schmerzen. Und ein rundes Fünftel der Frauen, so die Amerikanische Akademie der Hausärzte, sagt, dass sie den Anforderungen des Alltags während der Menstruation nicht mehr gewachsen sind. 

Wie kommen die Frauen damit zurecht?

"Ich habe mich einfach durchgekämpft", so Judy Birch. "Ohne mich zu konzentrieren, ohne bei der Sache zu bleiben zwar - ich habe schlicht nicht funktioniert." In manchen Ländern der Erde können sich Frauen während der Menstruation ganz regulär freinehmen. Der "Menstruationsurlaub" ist aber umstritten. Frauen befürchten Stigmatisierung und Diskriminierung. Trotzdem könnte Spanien hier jetzt zum Vorreiter werden - mit drei Tagen bezahltem Extraurlaub pro Monat.

Schmerzen, die kein normales Funktionieren mehr zulassen: Während ihrer Periode kennen das viele FrauenBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Das sieht ein Gesetzentwurf vor, der von der spanischen Regierung am Dienstag gebilligt wurde. Demnach sollen Frauen, die unter starken Regelschmerzen leiden, bezahlten Urlaub in Anspruch nehmen können. Sie müssen dafür ein ärztliches Attest vorlegen. Die Zahl der Urlaubstage ist nicht mehr auf drei Tage begrenzt, wie ursprünglich in dem Eingangstext vorgeschlagen wurde. Toni Morillas, die Direktorin des Spanischen Instituts für Frauen, einer Regierungsorganisation, sagte dem Onlineportal Politico: "In unserem Land haben wir Probleme, Menstruation als einen physiologischen Prozess anzusehen, der bestimmte Rechte nach sich ziehen muss." Ebenfalls präsentierte Morillas eine Statistik, laut der in Spanien ein Drittel aller Frauen unter derartigen Menstruationsproblemen leidet. Die DW hatte vor dem Kabinettsbeschluss versucht, beide Institutionen, das Institut für Frauen und das Spanische Ministerium für Gleichberechtigung, zu erreichen, beide wollten sich jedoch nicht zu dem Vorhaben äußern.

Das Gesetzesvorhaben ist Teil eines neuen Gesundheitsgesetzes, das des Weiteren Urlaubstage für Frauen vorsieht, die eine Schwangerschaft abbrechen sowie die Zustimmungspflicht der Eltern abschafft, wenn 16 oder 17 Jahre alte Frauen abtreiben möchten. Die ursprünglich in dem Gesetzentwurf vorgesehene Senkung der Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte wie Binden und Tampons von 10 auf 4 Prozent scheiterte hingegen am Widerstand des Finanzministeriums, das Mindereinnahmen in Höhe von bis zu 30 Millionen Euro befürchtet. Das Reformvorhaben muss noch im Parlament abgesegnet werden, wo die linke Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez auf die Unterstützung katalanischer und baskischer Regionalparteien angewiesen ist. 

Ostasiatische Länder sind Vorreiter

Auch Italien hatte 2017 einen ähnlichen Gesetzesvorstoß geplant, der allerdings starke Diskussionen auslöste, ob hierdurch nicht erst Diskriminierung am Arbeitsplatz verstärkt würde. Am Ende kam der Antrag nicht durch.

Keine oder ermäßigte Mehrwertsteuer auf Hygieneprodukte - auch das würden viele Frauen begrüßenBild: Science Photo Library/imago images

Nur eine Handvoll Länder hat Stand heute vergleichbare Regelungen: Japan, Südkorea, Taiwan, Indonesien und Sambia. Veve Hitipeuw, CEO bei Kiroyan Partners in Indonesien, ist als Arbeitgeberin sowohl verpflichtet, die freien Tage anzubieten, hat aber auch selbst schon davon profitiert: "Ich war an solchen Tagen nicht mal imstande, gerade auf meinem Stuhl zu sitzen. Ich konnte nicht acht oder neun Stunden am Rechner sitzen", berichtet sie. Der bezahlte Urlaub habe ihr deshalb sehr geholfen. Zwar hatte sie weder Probleme, die Tage zu beanspruchen, noch dabei, sie als Arbeitgeberin zu gewähren, aber sie sagt auch: "Da gibt es immer noch dieses Stigma. Die Leute denken, die Frauen seien einfach nur faul."

Ein Blick nach Japan bestätigt das. Eine jüngste Nikkei-Umfrage zeigte, dass gerade mal 10 Prozent der Frauen diese Tage, die ihnen zustehen, auch tatsächlich nehmen. 48 Prozent der Befragten sagen, dass sie die Tage durchaus schon mal hätten nehmen wollen, dann aber davon abgesehen hätten, weil sie mit dem Anliegen nicht zu ihrem männlichen Vorgesetzten gehen wollten - oder schlicht, weil so wenige andere Frauen den Anspruch wahrnehmen.

Auch in europäischen Ländern, in denen oft recht liberale Urlaubsregelungen gelten, ist es eher ungewöhnlich, Menstruationsprobleme als Grund für das Fehlen anzugeben. In den Niederlanden gaben 2019 bei einer Umfrage zwar 14 Prozent der Frauen an, sich schonmal wegen Menstruationsschmerzen krankgemeldet zu haben - allerdings nur ein Fünftel derjenigen hatten den wahren Grund angegeben. 

Frauen fürchten Nachteile

Können Impfungen den Menstruationszyklus beeinflussen?

03:52

This browser does not support the video element.

Judy Birch berichtet von ihrer Arbeit im Netzwerk, dass sie oft von Frauen hört, die lieber nicht der Menstruation wegen der Arbeit fernbleiben. "Viele Frauen haben Nachteile, wenn sie jeden Monat freinehmen, regelmäßig", so Birch. Sie müssten Disziplinarmaßnahmen fürchten oder gar die Entlassung. Die Möglichkeiten, wegen Menstruationsproblemen freizukriegen, seien sehr unterschiedlich von Land zu Land - in den USA zum Beispiel ist es schwierig, da es ja generell weniger Möglichkeiten gibt, bezahlt der Arbeit fernzubleiben.

Spaniens Vorstoß reicht Birch nicht. "Wenn Du jeden Monat diesen Schmerz hast, dann reichen drei Tage nicht. Das ist erbärmlich". Viel mehr müsse sich die ganze Arbeitswelt verändern und flexibler zeigen, um Frauen mit Menstruationsproblemen entgegenzukommen. 

Veve Hitipeuw aus Indonesien findet aber, dass ein solches Gesetz "einfach ein Anerkennen des Problems und eine Unterstützung für Frauen" darstelle. "Unternehmen müssen Frauen ermöglichen, ihre Arbeit zu machen und gleichzeitig ihre Rolle in der Gesellschaft zu erfüllen - als Mensch, Frau und Mutter". 

Friedel Taube hat diesen Text aus dem Englischen übersetzt. Dieser Artikel wurde am 15.05.2022 veröffentlicht und am 18.05.2022 aktualisiert.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen