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Politik

Spaniens Flüchtlingshilfe vor dem Kollaps?

Santiago Sáez tön
21. Juli 2018

Als das Rettungsschiff "Aquarius" im Juni in Valencia anlegte, standen Hilfskräfte bereit. Doch wie ergeht es den Migranten, die ohne öffentliche Aufmerksamkeit in Südspanien landen? Santiago Sáez aus Madrid und Cádiz.

Spanien Die Lage der Flüchtlinge in Cadiz | San Carlos Borromeo in Madrid
Zumindest vorübergehend ein Dach über dem Kopf: afrikanische Migranten in der Carlos-Borromeo-Gemeinde in MadridBild: DW/S. Saez

An einer Haltestelle vor der Mission San Carlos Borromeo im Süden von Madrid warten 14 afrikanische Migranten auf den Bus. Sie wollen zum Roten Kreuz, um nach verfügbaren Betten zu fragen. Aliou aus dem Senegal war am Vorabend in der Gemeinde angekommen. Mit sanfter, fast flüsternder Stimme erzählt der Großgewachsene auf Französisch von seiner Ankunft in Spanien. Und von der vorausgegangenen Achterbahnfahrt der Gefühle: Von der "unfassbaren Freude", aus dem Meer gerettet worden zu sein. Und von der Frustration, die sich einstellte, nachdem er tagelang durch Madrid umhergeirrt war. "Ich und drei andere kamen früh morgens am Busbahnhof Süd an, nachdem wir die ganze Nacht unterwegs waren", erzählt Aliou. "Wir hatten keine Ahnung, wo wir hinsollten." Dann bekamen sie den Tipp, es bei der Borromeo-Mission zu versuchen.

Aliou und seine Freunde waren nicht die ersten, Am Abend des 27. Juni, gerade ging die Ankunft der "Aquarius" im Hafen von Valencia durch die Weltmedien, klopfte eine Gruppe von zwölf Flüchtlingen an die Tür von SOS Racismo, einer lokalen Anwaltsvereinigung. Auf der Webseite der Nichtregierungsorganisation heißt es dazu: In Malaga habe jemand den Migranten eine Busfahrkarte gekauft, ihnen die Adresse der NGO genannt, und sie dann sich selbst überlassen. Allerdings konnte SOS Racismo ihnen keine Unterkunft bieten.

Carlos Carvajal, Chef der Nichtregierungsorganisation "Asociación Cardijn" in Cadiz, fordert staatliche NotfallpläneBild: DW/A. Cancio

Carlos Carvajal wurde Zeuge einer ganz ähnlichen Szene, als Ende Mai 14 Flüchtlinge bei der Asociación Cardijn auftauchten, einer Migrantenschutzvereinigung im südspanischen Cadiz. "Sie waren von den Behörden völlig alleingelassen worden", erzählt Carvajal. "Wir waren zwar komplett überfüllt, haben sie aber trotzdem notdürftig beherbergt. Was hätten wir auch sonst tun sollen?" Für Carvajal hat Spanien in den letzten Jahren manche Fortschritte gemacht. Es bleibe aber viel zu tun. "Wir brauchen Notfallpläne, um Menschen in derlei Situationen zu helfen", sagt Carvajal gegenüber der DW.

Kaum Betten für Flüchtlinge

Das Gemeindehaus San Carlos Borromeo im Süden von Madrid Bild: DW/S. Saez

In der Madrilener Borromeo-Mission war es spät abends, als Aliou und seine Freunde ankamen, Priester Javier Baeza sie begrüßte und in den Saal führte, in dem die anderen schon schliefen. Baeza, ein energischer Mann, um die 60, ist eine Berühmtheit in Madrid. Man kennt ihn als den "Roten Pfarrer", dessen Ansichten der konservativen Kirchenführung regelmäßig übel aufstoßen.

"Wir erklärten Aliou und den anderen, wo sie essen und sich informieren können. Und, dass sie hier vorerst, aber nicht für immer schlafen dürfen", berichtet Baeza. Für ihn hat sich hier erneut ein Komplettversagen der öffentlichen Verwaltung offenbart. Den ganzen Juni über habe seine Gemeinde Flüchtlinge beherbergt und sie nahezu täglich zum Roten Kreuz begleitet. Dort war die Antwort stets gleichlautend: "Kein Bett frei!"

Der "Rote Priester": Javier Baeza, streitbarer Pfarrer der Gemeinde San Carlos Borromeo Bild: DW/S. Saez

Für Baeza ist es ein besorgniserregendes Armutszeugnis, dass eine Stadt wie Madrid nicht in der Lage sei, ein paar Dutzend Menschen unterzubringen. Eine Sprecherin der Stadt räumte gegenüber der DW ein, dass die Unterbringungsmöglichkeiten seit einigen Wochen erschöpft seien. Die Kommune kümmere sich um obdachlose Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität. 300 zusätzliche, eigentlich für den Winter bestimmte Schlafstätten habe man nun geöffnet, so die Sprecherin. Die gegenwärtige Lage resultiere aus der unzureichenden und langsamen Bearbeitung der Asylanträge durch die Zentralregierung.

Viele Migranten wähnen sich nach ihrer Ankunft in Spanien am Ende ihrer Reise. Doch die vielen Dutzend Menschen, die es täglich an die spanische Küste schaffen, stehen sogleich vor unzähligen neuen Herausforderungen. So wie Aliou. Oder sein Freund Lamine, ein Wirtschaftswissenschaftsstudent aus Guinea. Oder Claude, der sagt, er sei als politisch Verfolgter aus Kamerun geflohen und der nun auf seine Asyl-Anhörung wartet. Oder Drissa mit seinen heftigen Zahnschmerzen, der sich aber keinen Zahnarztbesuch leisten kann.

Jenseits der "Aquarius" 

So wie sie sind alleine im vergangenen Monat beinahe 5.000 Menschen über das Meer illegal nach Spanien eingereist. "Keine unerwartete Situation", sagt Carvajal. "Mit einem Anstieg der Einreisen über die Seeroute war in diesem Jahr zu rechnen". Zwar versuchten insgesamt weniger Menschen nach Europa zu gelangen, aber, so Carvajal: "Die, die kommen, kommen mittlerweile übers Meer zu uns - weil wir die Türkei und Libyen weiter östlich bezahlen, sie uns vom Leib zu halten."

Bei den Bewohnern der Küste bei Cadiz traf der Umgang mit den Migranten auf der "Aquarius" auf breite Zustimmung. Zugleich waren sie aber enttäuscht, dass denjenigen, die abseits des Scheinwerferlichts der Weltöffentlichkeit bei ihnen anlandeten, nicht die gleichen Mittel zur Verfügung gestellt wurden.

Elena Tajuelo ist Präsidentin von Andalucia Acoge. Auch ihre Organisation widmet sich der Integration und Unterstützung von Migranten in Südspanien. In diesem Jahr, berichtet Tajuelo, seien bereits 18.000 Menschen an Spaniens Küsten gelandet. Und die Umstände im Land ließen sehr zu wünschen übrig. "Wir können an der Einwanderungsproblematik nicht länger nur herumdoktern und das ganze weiter nur wie einen Ausnahmezustand angehen. Das ist längst ein struktureller Teil unserer Gesellschaft.

Das sieht auch Ana Rosado so. Sie ist Aktivistin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der andalusischen Menschenrechtsorganisation APDHA in Algeciras, nur 14 Kilometer vom afrikanischen Festland entfernt. "Jeder soll eine Chance haben, legal und sicher einwandern zu können", sagt sie. Solange die Dinge aber seien, wie sie sind, müsse jedem wenigstens eine gute Behandlung garantiert werden können.

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