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Politik

Spanische Regierung pocht auf Gesetze

30. Oktober 2017

Es ist offiziell: Kataloniens Ex-Regierungschef Puigdemont ist nach Brüssel geflohen. Viele katalanische Politiker sind ihres Amtes enthoben. Madrid handelt strategisch statt brachial. Stefanie Claudia Müller berichtet.

Spanien Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Puigdemont
Bild: Reuters/Y. Herman

Bei der Demo am Sonntag in Barcelona gegen die unilaterale Erklärung der Unabhängigkeit im katalanischen Parlament schrien etliche der Demonstranten "Puigdemont in den Knast". Sie können wie auch viele Menschen in Madrid nicht verstehen, dass der Ex-Regierungschef Kataloniens nicht schon längst wegen der vielen Gesetzesüberschreitungen seiner inzwischen entmachteten Regierung festgenommen wurde. Aber genau in diese Falle vor laufenden Kameras will Rajoy nicht tappen und wählt deswegen den Weg über die gerichtlichen Instanzen. Sie sollen Carles Puigdemont (Artikelbild oben) als das abstempeln, was er seiner Meinung nach ist: ein Betrüger. Der spanische Premier hatte schon am 1. Oktober, bei dem illegalen Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens den Fehler begangen, die Macht der sozialen und visuellen Medien zu unterschätzen und hatte deswegen ein Heer von Polizisten (policia nacional) als Rechtsstaatshüter vorgeschickt.

"Statt gegen Rebelierende einfach draufzuhauen, will er nun durch rechtsstaatliches Handeln vor den Wahlen zu einem neuen Regionalparlament am 21. Dezember die Zögernden in der katalanischen Gesellschaft noch auf seine Seite bringen. Es wird dabei hoch gepokert, aber es gibt keine andere Alternative mehr zur Umsetzung des Artikels 155," glaubt Santiago Casal von der linken Bürgerbewegung "Recortes Cero". Selbst Rajoys politische Gegner, zu denen auch "Recortes Cero" gehören, sehen die Schuld für die dramatischen Wochen in Katalonien inzwischen allein bei Puigdemont, dem viele Unabhängigkeits-Sympathisanten inzwischen komplett den Rücken zugekehrt haben: "Er ist ein feiger Betrüger und er allein hat zu verantworten, dass dieser schmerzliche Prozess der Spaltung so weit getrieben wurde," sagt Joanen Cunyat, Kampagnenleiter von "Recortes Cero".

Hohe Gefängnisstrafen drohen

Auch die Mehrheit der spanischen Medien hält Rajoys vorsichtiges Handeln in Katalonien, das von seiner Vize María Soraya Sáenz de Santamaría koordiniert wird, inzwischen für weise: "Mit allen Mitteln soll nach den dramatischen Bildern der Polizeieinsätze vom 1. Oktober, die um die Welt gegangen sind, vermieden werden, dass international und auch in Katalonien erneut der Eindruck entstehen könnte, der spanische Staat würde die Katalanen unterdrücken oder gar - wie es Puigdemont mehrfach sagte - auf totalitäre Weise behandeln und damit, wie sie es Madrid immer wieder vorwarfen, in alte Handlungsschemata der Franco-Diktatur verfallen."

Mariano Rajoy Bild: Reuters/S. Vera

Eingesetzt wird dafür die "Guardia Civil", welche sichern sollen, dass die öffentlichen Institutionen "gesäubert" werden von "Propaganda-Gut" wie es die Regierungs-Offiziellen immer wieder in Presserklärungen darstellen. Sollten die regionalen Beamten den Zugang zu Gebäuden wie dem Parlament, der Polizei und den Gerichten vermeiden, dann werden sie einschreiten, ansonsten räumen sie einfach nur auf, heißt es aus Madrider Regierungskreisen. Alle Beamten, die sich den Befehlen widersetzen und nicht zu dieser "Säuberung" beitragen, müssen mit strafrechtlichen Verfahren und Entlassungen rechnen. Gerade wurde auf diese Weise bereits der Chef der katalanischen Polizei (den Mossos) Josep Lluis Trapero entmachtet und durch seinen Nachfolger Ferran López ersetzt.

Bild: Reuters/Y. Herman

Puigdemont als Betrüger entlarvt ?

Am Montag wurde nicht nur bekannt, dass die Madrider Staatsanwalt die Ex-Vertreter der katalanischen Regierung und die Verantwortlichen des katalanischen Parlaments wegen Rebellion, Aufruhr und Mittelmissbrauch anklagt, sondern auch dass Puigdemont zunächst nach Frankreich mit dem Auto und von dort mit dem Flugzeug nach Brüssel geflogen ist, begleitet von sechs weiteren Mitgliedern seiner entmachteten Regierung. Spanische Medien spekulieren, dass er dort politisches Asyl beantragen könnte.

Um nicht sofort zur Untersuchungshaft ins Gefängnis zu wandern, müssen er und die anderen Angeklagten insgesamt eine Summe von mehr als 6 Mio. Euro aufbringen. "Was Rajoy will, ist, dass die Rebellen in der Suppe, die sie sich eingebrockt haben, selber ertrinken", sagt Javier Morillas, Wirtschaftsprofessor an der katholischen Madrider Privatuni San Pablo Ceu. Niemand soll zum Helden werden, Rajoy wolle keine Tragödie. Der Galizier wolle, wie es sein Naturell ist, sehr bedacht vorgehen.

Bis zu den Wahlen will Rajoy die Institutionen "säubern"  

"Die gerade entlassene katalanische Regierung hat in so vielen Momenten die Gesetze missachtet, dass man schon davon sprechen kann, dass sich Katalonien in einem totalitären und nicht mehr demokratischem Zustand befand. Eine Normalisierung der Rechtslage und eine Wiederherstellung der öffentlichen Funktionen kann nur erreicht werden, wenn der spanische Staat vor Ort durchgreift, aber es ist verständlich, dass er das leise macht," sagt Tim Wirth, deutscher Rechtsanwalt auf Mallorca, wo es am Wochenende zu kleineren Sympathiebekundungen bezüglich der katalanischen Unabhängigkeit und Forderungen nach einem ähnlichen "balearischen Weg" kam.

Unzufriedenheit mit Puigdemont machte sich am Wochenende breitBild: Reuters/Y. Herman

Bisher geht Rajoys Rechnung auf. Es gab bisher keine Ausschreitungen auf den Strassen, alles ist ruhig. Viele Sympathisanten mit der katalanischen Kultur und Autonomie, so Wirth, haben sich aufgrund der zahlreichen Gesetzesverstösse der gerade entmachteten katalanischen Reigerung in den vergangenen Monaten immer mehr auf die Seite von Rajoy geschlagen, das gilt auch für "Recortes Cero": "Wir haben Rajoy in der Vergangenheit für vieles kritisiert, aber an der aktuellen Situation in Katalonien hat er keine Schuld. Die einzigen Schuldigen sind Puigdemont & Co.," sagt Cunya von "Recortes Cero".

Die Lage in Katalonien ist wieder entspannt

Die Ausrufung der regionalen Wahlen für den 21. Dezember 2017 ist eine logische, aber nicht ungefährliche Konsequenz der Entmachtung des katalanischen Parlaments. Der kurze Zeitraum hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite kann so bei einem klaren Sieg der pro-spanischen Kräfte, womit man in Madrid rechnet, schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen werden. Auf der anderen Seite bleibt nicht viel Zeit, Katalonien wieder zu demokratisieren und von der Propaganda der Separatisten zu bereinigen. "Sieben Wochen sind eine sehr kurze Zeit, um die Institutionen wieder so herzustellen, dass wir normale und freie Wahlen garantieren können," heisst es aus spanischen Regierungskreisen.

Die Partei von Puigdemont PDeCAT und ERC, derzeit zusammen im Bündnis "Junts pel Sí" vertreten, hat bereits entschieden, dass sie bei den Wahlen im Dezember antreten werden. Esquerra Republicana (ERC) und die linksradikale Partei CUP  überlegen noch. "Für Rajoy wäre es natürlich ideal, wenn sie erst gar nicht antreten würden," sagt Suárez von der "Recortes Cero". Die Katalanin ist seit langem wieder guter Dinge: "In den vergangenen Woche sind viele Katalanen, die sich bisher nicht getraut haben zu sprechen, wieder auf die Strasse gegangen und haben lautstark geäussert, was sie denken und wie sie zu Spanien stehen. Das ist in jedem Fall eine gute Entwicklung, auch in Hinblick auf die Wahlen im Dezember. Momentan sind die Separatisten in der klaren Minderheit." 

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