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Politik

Spannende Wahl in Frankreich

23. April 2017

Rechtspopulistin Le Pen wird beim Kampf um den Präsidentenpalast wohl die erste Hürde überwinden. Erst im zweiten Wahlgang scheint sie zu stoppen zu sein. Doch die Frage ist, durch wen?

Bildkombo Kanditaten Frankreich Mélenchon, Macron, Fillon, Le Pen
Von ganz links nach ganz rechts: Kommunist Mélenchon, Liberaler Macron, Konservativer Fillon, Populistin Le Pen

Unter dem Eindruck des jüngsten Terroranschlages in Paris vom Donnerstag gehen die französischen Wählerinnen und Wähler an diesem Sonntag an die Urnen. Die Kandidaten von links bis rechts haben nach dem Anschlag letzte Großveranstaltungen abgesagt. Alle treten für eine Stärkung der Polizei und der Ermittlungsbehörden ein. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen warf der sozialistischen Regierung vor, sie habe im Kampf gegen den islamistischen Terror versagt. Innenminister Bernard Cazeneuve beschuldigte Le Pen, sie würde die dramatische Terrorgefahr für ihren Wahlkampf ausschlachten. 

Die größten Sorgen der Wähler sind Umfragen zufolge - nach der Angst vor wirtschaftlichem Abstieg - die Sicherheit und die Terrorbedrohung. Meinungsumfragen, die das neueste Attentat auf Polizisten im Herzen von Paris hätten berücksichtigen können, gibt es nicht. In Frankreich gilt weiterhin der Ausnahmezustand, der nach den islamistischen Anschlägen in Paris im November 2015 verhängt wurde. 

Viele unentschlossene Wähler

Das Rennen um das Präsidentenamt in Frankreich ist offen. Die Umfragen geben vier von elf Kandidaten realistische Chancen, in die entscheidende Stichwahl am 07. Mai vorstoßen zu können. Zwei Bewerber, die rechtspopulistische Front-National-Chefin Marine Le Pen und der liberale Emmanuel Macron, der mit einer neu gegründeten Partei antritt, werden seit Wochen als Favoriten für die Stichwahl gehandelt. In der einen Umfrage hat Le Pen einen minimalen Vorsprung, in einer anderen Macron. Es ist ein Kopf-an-Kopf Rennen. Aber auch der linksradikale Jean-Luc Mélenchon und der konservative Francois Fillon, der als einziger eine etablierte Partei vertritt, haben gute Chancen. Sie liegen in den Umfragen nur zwei oder drei Prozent hinter Le Pen und Macron. Dieser Abstand liegt im Bereich der Fehlermargen der Umfragen.

Im Grunde wisse man nichts Genaues, sagte der Wahlforscher Stéphane Wahnich im DW-Interview: "Etwa ein Viertel aller Franzosen entscheidet erst am Wahltag. Das heißt, wir befragen Leute, wen sie wählen werden, obwohl sie noch lange nicht entschieden haben, wem sie ihre Stimme geben werden." Die französische Wählerschaft sei nicht mehr stabil, beklagt der Professor für Wahlforschung. "Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Das macht es schwierig, zuverlässige Prognosen zu erstellen. Wenn man das bedenkt, werden Umfragen im aktuellen Wahlkampf komplett überbewertet."

Ziel der Wahlkämpfer: Der Élysée-Palast in Paris, feudaler Sitz des Präsidenten seit 1873Bild: AFP/Getty Images/Patrick Kovarik

Viele Kombinationen denkbar

Die Rechtspopulistin Le Pen scheiterte bei der letzten Wahl 2012 noch in der ersten Runde. Diesmal scheint ihr der Einzug in die entscheidende Stichwahl sicher zu sein. Die regierende sozialistische Partei des scheidenden und völlig unbeliebten Präsidenten Francois Hollande spielt im Wahlkampf keine Rolle mehr. Auch das ist neu in der französischen Politik. Die politische Linke ist zersplittert wie nie zuvor. Erstaunlich ist andererseits der Aufstieg des Alt-Kommunisten Jean-Luc Mélenchon, der besonders bei jungen Wählern mit seinen radikalen Parolen gegen die EU und mit einer 100-Prozent-Steuer für Reiche gut ankommt. Globalisierung und Handel lehnt er ab: "Alle Handelsverträge, die die beteiligten Länder verwüsten, müssen gestoppt werden."

Der Publizist Alfred Grosser nannte im Deutschlandfunk folgenden Grund für Mélenchons Aufstieg: "Es trifft sich eben, dass viele Jugendliche vor allen Dingen gewissermaßen angestachelt sind von der Idee, man könnte doch mal Revolte richtig machen - etwa mit dem Wahlzettel, wo doch die anderen auf der Linken alle Nullen sind. Der Vertreter der sozialistischen Partei ist so null, dass er total überholt wird von Mélenchon und vielleicht nicht einmal auf zehn Prozent kommt."

Hochburg des Front National

03:32

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Le Pen will EU und NATO verlassen

Die rechtspopulistische Front-Frau der Nationalisten, Marine Le Pen, arbeitete im Wahlkampf mit den gleichen Methoden wie US-Präsident Donald Trump und andere Populisten. Sie schürte Ängste und versprach Abschottung und eine Rückkehr zu den angeblich guten alten Zeiten. "Die nationalen Grenzen werden wieder aufgerichtet!", erklärt Marine Le Pen immer wieder unter großem Jubel auf ihren Kundgebungen. Einwanderung, legal oder illegal, will sie komplett stoppen. "Achten Sie auf die Welt, die sich gerade vor Ihren Augen ändert. Das ist unsere Chance!"

Von der NATO und der EU will sich Le Pen verabschieden. Mit diesen Ansichten ist die Rechte keineswegs allein im Kandidatenfeld. So richtig pro-europäisch tritt eigentlich nur der liberale Emmanuel Macron auf - ein früherer Sozialist, mit 39 Jahren mit Abstand der jüngste Kandidat. "Ich verteidige ein Europa der souveränen Staaten. Ich kann die Idee der Souveränität nicht der extremen Rechten oder Linken und ihren Lügen überlassen", sagte Emmanuel Macron in seiner blumigen Art bereits im Januar bei einer Rede in Berlin.

Etablierte Parteien abserviert

Stark abgefallen in der Wählergunst ist der Kandidat der konservativen Republikaner Francois Fillon. Nach Skandalen um die Scheinbeschäftigung von Verwandten auf Staatskosten musste Fillon seine Hoffnung auf einen sicher geglaubten Durchmarsch in die Stichwahl aufgeben. Fillon tritt eher Europa-skeptisch auf und hält deutsche Haushaltspolitik für einen Grund der wirtschaftlichen Schwäche Frankreichs. "Die Deutschen können nicht einfach ihren Haushaltsüberschuss behalten, während französische Soldaten ihr Leben in der Sahel-Zone riskieren, um Terror und Islamismus einzudämmen. Die Deutschen müssen akzeptieren, dass sie sich mehr an militärischen Operationen beteiligen und europäische Verantwortung teilen müssen", sagte Fillion in einer Wahlkampf-Debatte im französischen Fernsehen. Auch die Europa-Abgeordnete Marine Le Pen vom Front National hat einen Skandal um Veruntreuung von Parlaments-Geldern am Hals, der ihr aber offenbar nicht geschadet hat.

Am Ende: Präsident Macron?

Wahnich: Überraschung ist möglichBild: privat

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am Sonntag sind viele Kombinationen für die Stichwahl möglich. Am wahrscheinlichsten ist im Moment das Duo Macron/Le Pen. Sollte es so kommen, dann würde Emmanuel Macron nach heutigen Umfragen die Rechtspopulistin Le Pen mit 65 zu 35 Prozent schlagen. Doch eine Garantie für diesen "Wahlerfolg der Vernünftigen", wie der Publizist Alfred Grosser das nennt, gibt es nicht.

Der französische Professor für Meinungsforschung Stéphane Wahnich bleibt vorsichtig: "Sollten Umfragen weiterhin Emmanuel Macron als klaren Sieger einer Stichwahl gegen Marine Le Pen sehen und sollte die Presse das auch so wiedergeben, dann könnte es tatsächlich anders kommen", warnte Wahnich im DW-Interview. "Die Prognosen, die Macron als klaren Gewinner sehen, könnten dazu führen, dass viele potentielle Macron-Wähler in der zweiten Runde nicht zur Wahl gehen. Macron hat als Politik-Neuling keine Stammwähler, auf die er sich verlassen kann. Marine Le Pen und ihr Front National haben hingegen sehr treue Wähler."

Die Wahlbeteiligung lag bei den letzten Wahlen 2012 noch bei 80 Prozent. Diesmal wird sie voraussichtlich auf 65 Prozent sinken. Das macht Vorhersagen ebenfalls schwer. Vielen Menschen würde das ganze etablierte System zum Hals heraushängen, sagte der Unternehmer Frederic Coudray im Gespräche mit der DW. "Die Stimmung war noch nie so schlecht. Die Leute haben die Schnauze voll. Alle beklagen sich." Frederic Coudray wählt in dem Städtchen Donzy, das statistisch gesehen traditionell so abstimmt wie ganz Frankreich. Erste Prognosen zum Ausgang der Vierer-Wahl am Sonntag werden um 20 Uhr MESZ nach Schließung der Wahllokale erwartet.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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