Spannungen im Unionsstaat
4. Dezember 2008Eigentlich wollten sich die Staatschefs und Regierungen von Belarus und Russland am 1. Dezember in Moskau treffen. Dabei sollte unter anderem ein bilaterales Abkommen über ein gemeinsames Luftabwehrsystem unterschrieben werden. Doch das Treffen wurde in letzter Minute auf unbestimmte Zeit verschoben. Aus Regierungsquellen beider Staaten, die nicht genannt werden wollen, ist zu hören, dass sich nun beide Seiten für das Scheitern der Sitzung des Höchsten Staatsrates des Unionsstaats verantwortlich machen.
Belarus zwischen zwei StühlenWeißrussische Experten sprechen von zunehmenden Spannungen zwischen Minsk und Moskau, die durch die Annäherung von Weißrussland an die EU verstärkt würden. Der belarussische Politikwissenschaftler Aleksandr Klaskowskyj sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle, das Treffen sei „mit einem heftigen Knall“ kurzfristig abgesagt worden. „Das ist ein großer Skandal in den belarussisch-russischen Beziehungen“, so Klaskowskyj. Überrascht ist er von dieser Entwicklung aber nicht: „Eine solche Kollision war abzusehen, weil seit Mitte dieses Jahres das offizielle Minsk deutlich Kurs auf eine Normalisierung der Beziehungen mit dem Westen, in erster Linie mit der Europäischen Union, genommen hat.“
Grund dafür sei der latente Druck Moskaus auf Minsk. „In einer Situation, in der Moskau Belarus den russischen Rubel aufzwingen will und die besten Stücke des belarussischen Eigentums fordert, nimmt die belarussische Führung eine Widerstandshaltung ein. Und um sicheres Hinterland zu haben, muss man die Beziehungen zu Europa normalisieren“, so Klaskowskyj. Auf der anderen Seite habe sich die EU vor dem Hintergrund des Krieges in Georgien für einen pragmatischen Dialog mit der Führung in Minsk entschieden.
Tanz mit wechselnden Partnern?Der belarussische Oppositionspolitiker Anatolij Lebedko, Führer der Vereinigten Bürgerpartei, ist hingegen überzeugt davon, dass Lukaschenko die Lage nur ausnutze. „Das Ringen zwischen Brüssel und Moskau um mehr politische und wirtschaftliche Präsenz in Belarus hat zugenommen. Lukaschenko gibt zu verstehen, dass er bereit ist, an den geraden Tagen mit José Manuel Barroso und an den ungeraden mit Dmitrij Medwedjew zu tanzen. Aber sowohl Moskau als auch Brüssel sollen für den Tanz zahlen“, so Lebedko.
Der einzige starke Hebel Moskaus gegen Lukaschenko sei der Preis für russische Energieträger. Darauf verweist der belarussische Experte Leonid Saiko. Allerdings werde Russland nicht wie vor zwei Jahren zum Gashahn greifen: „Sie werden nichts zudrehen. Der Ölpreis ist um das Zwei- bis Dreifache gefallen. Und die Russen haben immer gesagt, dass der Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt ist. Deswegen kann die russische Seite nicht ernsthaft von einer Erhöhung des Gaspreises reden.“ Deswegen, so Saiko, habe es aus belarussischer Sicht auch keinen Grund gegeben, zu Gesprächen nach Moskau zu reisen.
Spannungen in militärischen Fragen
Nach Ansicht von Experten in Minsk wird auch die militärische Zusammenarbeit zunehmend zu einer Quelle für Spannungen im belarussisch-russischen Verhältnis. Pawel Kusmentschak, stellvertretender Leiter der Vertretung des Ständigen Ausschusses des Unionsstaats, bestätigte, dass es zwischen den Verbündeten ungeklärte Fragen gebe. Auf der Tagesordnung steht die Frage des Aufbaus einer Luftabwehr von beiden Ländern. Dabei geht es auch um die Lieferung russischer Iskander-Raketen. Auffällig dabei ist, dass Lukaschenko über dieses Thema in letzter Zeit immer wieder mit der westlichen Presse gesprochen hat. Weißrussische Experten sehen darin ein Signal, dass der belarussische Präsident nicht vollständig mit dem Moskauer Plan einverstanden ist. Auch sorgt weiterhin Lukaschenkos Entscheidung, die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens vorerst nicht anzuerkennen, für Spannungen. „Aus Moskau war Donnern zu hören, als Minsk, ein vermeintlich treuer Verbündeter, die Anerkennung der abtrünnigen georgischen Gebiete verweigerte“, so der Politologe Klaskowskyj.
Die Sitzung des Höchsten Staatsrates wurde jetzt bereits zum zweiten Mal verschoben. Das ursprünglich für den 3. November geplante Treffen hatten die Präsidenten Medwedjew und Lukaschenko noch im Oktober in einem Gespräch auf Anfang Dezember verlegt. Auch damals wurden dafür keine Gründe genannt. Die Union wurde von Lukaschenko gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin ins Leben gerufen. Bis heute ist sie nur ein sehr begrenzt verwirklichter Staatenbund, der sich auf eine Verteidigungs- und Wirtschaftsgemeinschaft sowie auf politische Konsultationen stützt. (mo)