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PolitikEuropa

Die EU und das Gas: Sparen, speichern, hoffen

26. Juli 2022

Freiwillig verzichten, damit die anderen Gas im Krisen-Winter haben. Diesem Prinzip stimmen nicht alle EU-Staaten zu, aber doch die meisten. Im Notfall soll es verpflichtende Ziele geben. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Deutschland Lubmin | Start der Wartungsarbeiten an Nord Stream 1
Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Die EU nimmt sich vor, von nächster Woche an, ihren Gasverbrauch um 15 Prozent zu senken. Das beschlossen die Energieministerinnen und -minister auf einer Sondersitzung in Brüssel. Das nicht verbrauchte Gas soll in die unterirdischen Speicher in den EU-Mitgliedsstaaten wandern, um im Winter einen ausreichenden Vorrat zu haben. "Wir werden unseren Verbrauch vorsorglich reduzieren. So können wir die zukünftige Lücke zwischen Angebot und Verbrauch schließen", erklärte die EU-Energiekommissarin Kadri Simson das beschlossene Vorgehen.

Vorerst sollen die Mitgliedsstaaten freiwillig mitmachen. Erst wenn das Sparziel verfehlt wird und die Lücke zwischen Bedarf und verfügbarem Gas nicht mehr geschlossen werden kann, soll der Notfall ausgerufen werden. Dazu wäre wiederum ein Mehrheitsbeschluss der 27 Mitgliedsstaaten notwendig. Erst dann könnten die Einsparungen zwingend vorgeschrieben werden.

Robert Habeck (2.v.li.) beim Energieministerrat in Brüssel: Lange Liste von AusnahmenBild: picture alliance/dpa/AP

Um sich von Erpressung mit der Gaslieferungen aus Russland zu befreien, rechnet die EU-Kommission jetzt bei der Versorgung Europas mit Null Zufluss durch die Pipelines, auch wenn tatsächlich noch etwas Gas durch Nord Stream 1 geliefert wird. "Putin ist bereit, das Gas als Waffe einzusetzen. Dieses gefährliche Spiel dürfen wir nicht mitspielen", meinte die Energieministerin von Österreich, Leonore Gewessler. Mit einer Reduktion des Gasverbrauchs um 15 Prozent in der gesamten EU, mehr alternativen Lieferanten, Gasimporten über Flüssiggasterminals und einer Umstellung der Stromerzeugung von Gas auf Kohle, Öl und Atomenergie sollte es möglich sein, komplett ohne Lieferungen aus Russland auszukommen. Das zumindest sieht der Notfallplan der EU-Kommission vor, dem die Mitgliedsstaaten mehrheitlich zugestimmt haben.

Polen pfeift auf Solidarität beim Gas

Aus dieser Solidarität, die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen immer wieder beschworen wurde, haben sich allerdings Ungarn und Polen komplett ausgeklinkt. Ungarn stimmte gegen den Plan und will überhaupt keine Energie mehr über seine Grenzen in europäische Nachbarstaaten exportieren. Das Land hat einen exklusiven Gas-Deal mit dem Kreml abgeschlossen, sehr zum Missfallen der restlichen EU-Staaten. Die polnische Energieministerin Anna Moskwa verwahrte sich dagegen, dass die EU ihrem oder anderen Ländern etwas aufzwingen wolle. "Ich glaube, wenn es um Energiesicherheit geht, ist das hauptsächlich die Verantwortung der nationalen Regierungen. Wenn wir von Solidarität reden, meinen wir die Freiheit, selbst zu entscheiden." Polen habe sich, so Moskwa, rechtzeitig unabhängig von russischer Energie gemacht. Allerdings vergaß sie zu erwähnen, dass auch polnische Gasspeicher über den Umweg Deutschland teilweise mit russischem Gas gefüllt wurden. Diese Speicher sind zu 90 Prozent voll, woraus der Europaabgeordnete Markus Ferber ableitete, dass Polen im Notfall solidarisch Gas auch an Deutschland abgeben müsste.

Polen Energieministerin Anna Moskwa: Keine Maßnahmen aufzwingen lassen (Archivbild)Bild: Monika Sieradzka

Andere Mitgliedsstaaten wie Portugal, Spanien, Malta, Zypern und Irland haben Ausnahmen in den Notfallplan hineinverhandelt. Sie müssen das generelle Sparziel von 15 Prozent nicht erfüllen, da sie entweder gar nicht mit dem europäischen Gasnetz verbunden sind oder kein russisches Gas bezogen haben. Weitere Ausnahmen gibt es beim Gasverbrauch in der Lebensmittelindustrie. Frankreich bestand darauf, dass Erdgas weiterhin zur Stromerzeugung verbrannt werden kann, wenn andernfalls die Stromversorgung in Gefahr wäre. Auf Deutschland wächst der Druck, seine letzten drei Atomkraftwerke weiter zu betreiben und nicht mitten im Winter abzuschalten. Auch so könnten Gaskraftwerke entlastet werden, argumentieren französische EU-Diplomaten.

"Starkes Zeichen gegen Spötter" 

Trotz der zahlreichen Ausnahmen lobte der deutsche Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck den nach nur einer Woche Diskussion beschlossenen Kompromiss der Europäischen Union. "Insgesamt ist es ein vernünftiger, guter, weiterer Schritt", sagte Habeck in Brüssel. "Er zeigt, dass Europa geschlossen ist." Die Einigung sei auch ein "starkes Zeichen gegen alle Spötter und Verächter der EU." Der Minister kündigte an, Deutschland werde sogar noch mehr als die vereinbarten 15 Prozent einsparen können. Wie das genau funktionieren soll, muss jeder Mitgliedsstaat in nationalen Notfallplänen festlegen. Private Verbraucher, die Industrie, die öffentliche Verwaltung sollen in die Sparpflicht genommen werden. Vieles werde über den weiter steigenden Gaspreis geregelt werden, meinten EU-Beamte. Das heißt, es wird noch viel teurer als heute Gas zu konsumieren.

Keine Windkraft ohne Gas

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"Das wird sicherlich nicht das letzte Paket im Gasbereich gewesen sein", kündigte Robert Habeck in Brüssel an. "Die Sorge, die man haben kann, ist, dass es so viele Ausnahmen gibt und man solange herumrechnet, bis die Krise dann vorbei ist. Das wäre natürlich fürchterlich." Die Frage ist auch, wie die Einsparungen berechnet und kontrolliert werden. Habeck zum Beispiel meinte, Deutschland habe schon fast 15 Prozent weniger verbraucht verglichen mit dem Vorjahr. Die österreichische Ministerin sprach von 10 Prozent, die schon weniger in Österreich verbrannt wurden. Die EU-Kommission geht allerdings davon aus, dass seit Anfang des Jahres der Gasverbrauch in allen 27 Mitgliedsstaaten erst um fünf Prozent gesunken ist, was nicht ausreiche. Oberstes Ziel sei es jetzt, die Gasspeicher zu füllen. In Deutschland gibt es davon 23. 18 sind nach Angaben des Bundeswirtschaftsministers bereits gut gefüllt. Andere große Speicher, die bislang vom russischen Gaskonzern "Gazprom" gemanagt wurden, seien hingegen leer. Das werde sich jetzt ändern. Die österreichische Energieministerin Leonore Gewessler kündigte an, einer der größten Gasspeicher in Haidach werde "Gazprom" jetzt entzogen und neben dem deutschen auch ans österreichische Gasnetz angeschlossen. Das sei mit Deutschland schon lange vereinbart.

Gasspeicher Haidach in Österreich: Gazprom ist raus, jetzt soll mehr eingelagert werdenBild: Andrey Gurkov/DW

Deutschland bleibt Gas-Drehscheibe

Deutschland ist ein wesentliches Transitland für Erdgas in Europa und soll es auch bleiben, so der deutsche Minister Robert Habeck: "Deutschland ist darauf angewiesen, dass Gas aus Norwegen, den Niederlanden  und den LNG-Terminals in Belgien kommt. Wir leiten es aber auch weiter. Österreich, die Tschechische Republik, ja auch die Ukraine werden durch Deutschland mitversorgt. Wir begreifen uns voll als Teil der europäischen Solidarität und werden das Gas auch weitergeben." Sollte es zu Versorgungsengpässen in benachbarten Staaten kommen, ist allerdings nicht rechtlich geregelt, wer wem Gas liefern und möglicherweise eigene Verbraucher abschalten muss. Eine zentrale Steuerung oder gar Quotenregelung gibt es im europäischen Gasmarkt nicht.

Der Chef der Internationalen Energieagentur Fatih Birol geht davon aus, dass die EU mindestens 20 und nicht 15 Prozent ihres Gasverbrauchs reduzieren müsse. "Wenn wir keine ernsthaften Maßnahmen ergreifen, könnten wir mit einer großen Gasversorgungskrise konfrontiert werden", sagte Birol der Online-Plattform ZDFheute. Der Winter werde ein historischer Test für Europa, meinte der Direktor der zwischenstaatlichen Energiebehörde, die 1974 nach der ersten Ölkrise gegründet wurde.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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