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Politik

Auf dem Weg in "ergebnisoffene" Gespräche

9. Dezember 2017

Auf einem Bundesparteitag hat die SPD über ihre Zukunft diskutiert. Nach drei Tagen ist eines klar: Für eine Neuauflage der Großen Koalition gibt es keine Mehrheit. Sabine Kinkartz berichtet aus Berlin.

SPD-Parteitag in Berlin | Schlussabstimmung
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Es gibt Dinge in der SPD, die ändern sich nicht. Natürlich wurde zum Abschluss des Bundesparteitags wieder gesungen. "Wann wir schreiten Seit' an Seit'", das alte Lied der Arbeiterbewegung. Aber vielleicht sollte man "schreiten" besser durch "streiten" ersetzen. Denn auch nach drei Tagen intensiver Debatte über den zukünftigen Weg der SPD ist die Partei von einem Konsens weit entfernt. Zwar hat der Parteitag in Berlin grünes Licht gegeben für Gespräche mit der Union über den Weg zu einer neuen Bundesregierung. Trotzdem bleibt das Thema Streitpunkt Nummer eins. Es gärt in der SPD und das Misstrauen zwischen Basis und Parteiführung bleibt groß.

SPD-Chef Martin Schulz versprach den rund 600 Delegierten zum Abschluss des Parteitags noch einmal, die Partei werde "ergebnisoffene Gespräche" mit CDU und CSU führen und dabei "ausloten, welche Möglichkeiten es gibt". Mit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen hätten die anderen Parteien Deutschland in eine schwierige Lage gebracht.

"Es geht mir manchmal schon auf den Keks, dass andere das Land in eine Sackgasse bringen und wir nicht zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes die Verantwortung übernehmen müssen. Aber wie wir sie übernehmen, das entscheidet die SPD selbst, dazu lassen wir uns keine Lektionen von anderen erteilen", rief Schulz unter dem Beifall der Delegierten und verwahrte sich gegen den Vorwurf von Seiten der Union, die SPD sitze in einer "Schmollecke".

Durch die Partei ziehen sich Gräben

Allerdings ist in der SPD auch nach dem Bundesparteitag keineswegs klar, welchen Weg die Partei einschlagen wird. Ein erstes Spitzengespräch der Partei- und Fraktionschefs von Union und SPD soll am kommenden Mittwoch stattfinden. Zwei Tage später will der SPD-Vorstand entscheiden, ob eine Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union Sinn ergibt. "Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen", hatte Schulz vor seiner Wiederwahl zum Parteivorsitzenden am Donnerstag gesagt.

Der Streit über eine erneute Regierungsbeteiligung der SPD wird aber nicht nur zwischen der Basis und der Führung ausgefochten. Selbst durch den neu gewählten Vorstand der SPD zieht sich ein Graben. Während Partei-Vize Andrea Nahles alles für möglich hält, plädieren sowohl die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer als auch die ebenfalls stellvertretende Parteivorsitzende Natascha Kohnen dafür, "intensiv" über eine Minderheitsregierung zu diskutieren. "Ich plädiere dafür, andere Wege als eine Neuauflage von Schwarz-Rot zu suchen", so Kohnen. Dreyer schlägt vor, mit der Union einen Tolerierungsvertrag über Politikfelder zu schließen, bei denen eine breite Stimmenmehrheit unerlässlich ist. Beispiele seien Europa-Themen und die Außenpolitik.

SPD-Basis: Mitreden in jeder Etappe

Skeptisch ist auch die bisherige Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann, die in Berlin ebenfalls in den Parteivorstand gewählt wurde. "Wenn ich jetzt höre, dass die Union beschlossen hat, dass sie auf jeden Fall eine Große Koalition will, dann muss ich an der Stelle sagen, so wird es nicht gehen." Auch Angela Merkel sei in der Verantwortung, "andere Dinge auszuloten und sie ist auch in der Verantwortung, mal ein bisschen mutig zu sein und sich auch mal was zuzutrauen". Eine Große Koalition dürfe nur die Ausnahme sein, sagt Uekermann, weil dann der Richtungsstreit zwischen den beiden großen Volksparteien fehle. "Das wird als Konsenssuppe wahrgenommen."

Am Samstag wurde über organisatorische Reformen in der Partei abgestimmtBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Was auch immer in den nächsten Wochen ausgehandelt wird, die SPD-Basis will in jedem Fall mitreden. "Die Partei muss bei jeder Etappe transparent eingebunden werden", fordert auch Kohnen. "Ein Geklüngel auf irgendwelchen Balkonen, hinter verschlossenen Türen oder Wasserstandsmeldungen auf Twitter darf es nicht geben", sagte sie in einem Zeitungsinterview mit Blick auf Vorgänge während der gescheiterten Jamaika-Sondierungen von Union, FDP und Grünen.

Die Jugend protestiert

Tatsächlich wurde auf dem Bundesparteitag in Berlin der Plan des Parteivorstands abgeschmettert, das Ergebnis der Sondierungsgespräche lediglich von einem Parteikonvent, also von in kleiner Runde hinter verschlossenen Türen tagenden SPD-Funktionären beraten und beschließen zu lassen. Stattdessen soll nun, abhängig von der Dauer der Gespräche, im Januar oder Anfang Februar ein Sonderparteitag einberufen werden. Dort wäre dann über die Aufnahme förmlicher Koalitionsgespräche zu entscheiden.

Beschlossen wurde auf dem Bundesparteitag in Berlin eine Erneuerung der Partei. Nach der empfindlichen Niederlage bei der Bundestagswahl im September, bei der die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte einfuhr, soll es eine neue programmatische Aufstellung geben. Sozialdemokratische Themen sollen für den Wähler nachvollziehbarer formuliert und besser zugespitzt werden. Dazu gehört auch, mit konkreten Inhalten in die Gespräche mit der Union zu gehen. Für die Gespräche wurden elf Leitlinien formuliert, von einer Stärkung Europas über eine Rentenreform und Milliardeninvestitionen in die Bildung bis hin zu einem besseren Pflegesystem.

Bürgerversicherung und Vereinigte Staaten von Europa

Ganz oben auf der Forderungsliste steht eine Krankenversicherung, in die alle Bürger einzahlen. "Der Einstieg in eine Bürgerversicherung muss her", fordert Fraktionschefin Andrea Nahles. Wichtig sei auch das Thema Altersarmut. "Sie muss bekämpft werden und für langjährig Versicherte brauchen wir eine Mindestrente." Zu den Forderungen der SPD gehören außerdem ein Einwanderungsgesetz und der Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus.

Parteichef Schulz mit seinem neuen Generalsekretär Lars Klingbeil (re)Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

In diesem Punkt dürfte die SPD bei der Union allerdings genauso auf Granit beißen wie bei dem Vorstoß von Parteichef Schulz, bis 2025 die Vereinigten Staaten von Europa schaffen zu wollen. Hinter der Idee, die Schulz auf dem Parteitag vorbrachte, steckt die Idee eines gemeinsamen EU-Budgets samt einem EU-Finanzminister. Für die Union ist das undenkbar. Ihr Fraktionschef Volker Kauder wies in einem Interview mit dem "Berliner Tagesspiegel" die Vorstellung zurück, die SPD könne die Union als Preis für eine Regierungsbeteiligung zu massiven Zugeständnissen zwingen. Die Lage sei nicht anders als vor vier Jahren, als CDU und CSU nach der Absage der Grünen ebenfalls nur mit den Sozialdemokraten verhandeln konnten.

Die kommenden Wochen und wohl auch Monate dürften also spannend werden. Nur in einem Punkt sind sich Union und SPD einig: Neuwahlen möchte niemand provozieren. Die könnten für die beiden Volksparteien nämlich böse ausgehen.

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