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Politik

SPD: Ein Hochgefühl namens Schulz?

Richard A. Fuchs
30. Januar 2017

Martin Schulz ist als SPD-Kanzlerkandidat nominiert. In der Partei wirken viele geradezu euphorisch - und auch die Umfragewerte steigen. Wie verändert diese Zuversicht die SPD? Ein Stimmungsbericht von Richard Fuchs.

Deutschland Martin Schulz SPD Kanzlerkandidat im Willy Brandt Haus in Berlin
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Die Parteizentrale der Sozialdemokratischen Partei im Berliner Willy-Brandt-Haus war in den letzten Monaten eher ein Ort der Verteidigung, an dem Niederlagen klein geredet werden mussten. Die Umfragewerte der SPD verharrten über Monate auf historisch niedrigem Niveau - bei rund 20 Prozent. Und auch bei den zurückliegenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt büßte die Partei über zehn Prozent der Wählerstimmen ein. Die Folgen waren ein quälender Richtungsstreit der Parteiflügel und eine bleierne Lethargie, die viele Parteimitglieder zwischen Resignation und Ratlosigkeit beinahe verzweifeln ließen.

Martin Schulz vermittelt das Gefühl: Da geht noch was!

Doch das scheint Schnee von Gestern zu sein. Mit dem Auftritt von Martin Schulz am Montagmittag soll dieses Kapitel einer SPD im Dornröschenschlaf beendet sein. Schulz ist am vergangenen Wochenende offiziell als neuer Parteichef und SPD-Kanzlerkandidat ernannt worden. Am Tag Eins nach seiner Nominierung gibt er sich gewohnt kämpferisch. "Ich will praktische Lösungen suchen, für die unmittelbaren Sorgen und Nöte der hart arbeitenden Menschen." Deshalb gebe es für ihn nur ein sinnvolles Ziel: Er wolle Kanzler werden - für die SPD und mit der SPD.

Für Sätze wie diesen erntete er tags zuvor stehende Ovationen von seinen Parteikollegen. Viele Insider sprechen schon von den Schulz-Festspielen, denn der frühere Präsident des Europäischen Parlaments hat durch seine markigen Worte und seine klare Botschaft an politische Gegner eine Welle der Zuversicht bei den Genossen ausgelöst. Das spiegelt sich auch in Wahlumfragen wieder. Die SPD legt um satte drei Prozentpunkte in der Wählergunst zu - was für Monate undenkbar erschien. "Die Stimmung ist wunderbar", sagt Schulz dazu. Und die heiteren Mienen vieler SPD-Mitarbeiter auf den Tribünen des Willy-Brandt-Hauses scheinen wie eine Staffage, um diese Aussage mit Leben zu füllen.

Das linke Profil soll auf Hochglanz poliert werden

Parteienforscher Ulrich Eith von der Universität Freiburg erklärt sich die Aufbruchsstimmung innerhalb der SPD mit dem Aufbrechen der verkrusteten Strukturen der Großen Koalition von Union und SPD. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vize Sigmar Gabriel (SPD) kannten und schätzten sich durch viele Jahre der gemeinsamen Arbeit. "Martin Schulz grätscht in diese Konstellation hinein als ein neues, unverbrauchtes Gesicht, mit eigener Persönlichkeit, eigenem Sprachstil und unverwechselbaren Ansichten", sagt Eith der DW.

Parteienforscher Ulrich Eith aus FreiburgBild: Eith/Studienhaus Wiesneck

Das macht ihn in den Augen vieler Genossen zur idealen Frischzellenkur im festgefahrenen Parteienwettbewerb. Dass Schulz zudem authentisch, bürgernah und bodenständig rüberkomme, gebe der innerparteilichen Euphorie weiteren Schub, so Eith. "Viele in der SPD sehen, dass man enttäuschte Wähler nicht über einen Maßnahmenkatalog mit rationalen Argumenten zurückgewinnen kann." Schulz verkörpert einen empathischen Politikstil, was gut zur Situation der SPD passt, glaubt der Parteienforscher.

Hilde Mattheis, SPD-Gesundheitspolitikerin im Bundestag, ist überzeugt, dass der Rückhalt für den neuen SPD-Kanzlerkandidat auch nach den ersten Jubel-Arien anhalten wird. "Er rückt das Thema der sozialen Gerechtigkeit wieder genau dahin, wo es bei der SPD hingehört, nämlich ganz ins Zentrums unseres Tuns", sagt Mattheis im DW-Interview. "Wir sind uns aber sehr wohl bewusst, dass noch Einiges an inhaltlicher Arbeit folgen muss."

Schulz klingt anders, wenn er wie Gabriel redet

Das merken auch die Journalisten, die Martin Schulz am Montag zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten der Kanzlerkandidatur befragen. Noch fehlen klare Aussagen, wie Schulz die Gesellschaft wieder gerechter machen will. Er bleibt bei vielen Aussagen vage: Die SPD wolle Steuerflucht bekämpfen und große Vermögen stärker für den Zusammenhalt der Gesellschaft heranziehen. Altersarmut müsse bekämpft werden, ebenso wie die Einhaltung der Mindestlohnregeln. Für viele SPD-Mitglieder klingt all das verdächtig nach Aussagen, die auch Sigmar Gabriel gemacht hat. Aber, wenn Martin Schulz als früherer Bürgermeister der Mittelstadt Würselen darüber spricht, dann scheint dieses altbekannte Programm eine ganz andere Wirkung zu entfalten.

Sozialer Zusammenhalt soll sein Wahlkampf-Thema sein. Maßnahmen verrät SPD-Kanzlerkandidat Schulz noch nicht Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Martin Rivoir empfindet es genau so. Der SPD-Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg glaubt, dass Schulz das Zeug dazu hat, seine zerrissene Partei wirklich zu einen. Das sei eine ganze Menge, wenn man sich in Erinnerung rufe, welche Grabenkämpfe die Partei in den vergangenen Jahren durchlebte. "Er ist zudem ein Politiker, der durch seine Europa-Kompetenz genau das mitbringt, was wir aktuell brauchen", sagt Rivoir. 

Martin Schulz - der Bürgermeister für Deutschland?

Und so schickt sich Martin Schulz an, als Gegenentwurf zu Angela Merkel das Rennen ums Kanzleramt zu eröffnen. Sieben Monate und drei Wochen bleiben ihm, um seine Genossen und vor allem unentschlossene Wähler zu mobilisieren. Dazu legt er sein Mandat im Europäischen Parlament nieder, um als Handlungsreisender in Sachen Kanzlerschaft durch die Republik zu ziehen. Das werde ein "Langstreckenlauf", schwört Schulz seine Partei darauf ein.

Schritt für Schritt, Wahlsieg für Wahlsieg, solle dieser Marathon ihn aber ins Kanzleramt tragen. Auf einem Parteitag im März soll er offiziell zum Herausforderer der Kanzlerin gewählt werden. Ende Mai folgt dann die Ausarbeitung des Wahlprogramms, danach startet die heiße Phase des Wahlkampfs. Und wenn es wider Erwarten doch schwierig werden sollte im Wahlkampf, dann hat Martin Schulz schon jetzt eine Botschaft an seine SPD: "Nicht vergessen, wir sind die Meister im Endspurt."

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