Die erste Ampel-Koalition auf Bundesebene hat ihr Regierungsprogramm besiegelt. Hierzu wählten SPD, Grüne und Liberale einen symbolträchtigen Ort, das Futurium in Berlin.
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"Das soll ein Morgen sein, bei dem wir aufbrechen zu einer neuen Regierung." Mit diesen Worten leitete der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeremonie zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags von Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten ein. Der Kampf gegen die Corona-Krise werde zunächst die ganze Kraft der neuen Koalition erfordern, sagte Scholz im Futurium in Berlin, einem Zentrum für Ausstellungen zum Thema Zukunftsgestaltung. FDP-Chef Christian Lindner erklärte: "Jetzt beginnt die Zeit der Tat. Ab dieser Woche wollen wir am Fortschritt arbeiten." Grünen-Chef Robert Habeck betonte die Herausforderung, in der größten Industrienation Europas und viertgrößten Volkswirtschaft der Welt Klimaneutralität und Wohlstand zusammenzubringen. Habeck ist in der neuen Bundesregierung nicht nur als Wirtschafts- und Klimaschutzminister vorgesehen, sondern auch als Vizekanzler. Seine grüne Co-Vorsitzende Annalena Baerbock, die das Amt der Außenministerin übernimmt, sprach von einem Koalitionsvertrag "auf der Höhe der Wirklichkeit, auf der Höhe der gesellschaftlichen Realität". Danach unterzeichneten jeweils fünf Vertreterinnen und Vertreter von SPD und Grünen sowie drei von der FDP das Vertragswerk.
Erste Auslandsreise geht nach Frankreich
In einer Bundespressekonferenz bekräftigte Scholz anschließend, zu den außenpolitischen Schwerpunkten der Koalition zähle eine starke, souveräne Europäische Union. Deshalb werde seine erste Reise als Kanzler ihn auch nach Paris führen. Scholz lobt US-Präsident Joe Biden dafür, dass dieser die Gemeinschaft demokratischer Staaten stärken wolle. Zugleich müsse es aber auch darum gehen, mit Ländern mit anderen Regierungsformen multilateral zusammenzuarbeiten, erklärte er mit Blick auf Russland und China. Besorgt zeigte sich Scholz über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Die Unverletzbarkeit der Grenzen müsse beachtet werden. Beim Thema Corona-Pandemie betonte der SPD-Politiker nochmals die Bedeutung einer Impfung.
Auch Habeck bezeichnete vor den Journalisten das Impfen als den Weg zurück "zur offenen, freien Gesellschaft mit möglichst wenig Einschränkungen". Die Politik müsse deshalb im Sinne des Landes und der Freiheit die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Im Konflikt mit den USA um das Energieprojekt Nord Stream 2 wies Habeck darauf hin, dass die Ostsee-Gas-Pipeline noch nicht genehmigt worden sei. Die politischen Gespräche darüber würden fortgesetzt.
Die FDP wird nach den Worten von Parteichef Lindner im Bundestag nicht geschlossen für oder gegen eine allgemeine Corona-Impfpflicht stimmen. Im Hinblick auf die künftige Politik seines Finanzministeriums sagte er, Leitplanken würden sein, Steuererhöhungen zu vermeiden und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten.
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Am Mittwoch wird Scholz zum Kanzler gewählt
Nach SPD und FDP hatten am Montag auch die Grünen dem 177 Seiten starken Koalitionsvertrag mit dem Titel "Mehr Fortschritt wagen" zugestimmt. Die künftige Ampel-Regierung will ein "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" sein. Alle Ministerinnen und Minister sind benannt. In einem letzten Schritt soll Scholz am Mittwoch im Bundestag zum Bundeskanzler gewählt und sein Kabinett vereidigt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte.
In ihrem über Wochen ausgehandelten Koalitionsvertrag versprechen die Ampel-Parteien unter anderem große Anstrengungen beim Klimaschutz und einen Umbau der Industrie. Zugleich sind Verbesserungen etwa für Geringverdiener, Mieter und Familien vorgesehen.
So soll auf Bundesebene der Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro auf zwölf Euro steigen. Langzeitarbeitslose sollen statt Hartz IV künftig das sogenannte Bürgergeld bekommen. In den ersten zwei Bezugsjahren fällt dabei die Prüfung des Vermögens oder der Wohnung weg.
Jährlich sollen 400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Die Mietpreisbremse für Neuvermietungen soll verlängert werden.
Im Kampf gegen die Klimakrise haben sich SPD, Grüne und FDP zum Ziel gesetzt, dass bis 2030 Deutschland 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht. Der öffentliche Nahverkehr soll gestärkt werden.
Das umstrittene Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche (Paragraf 219a des Strafgesetzbuches) soll abgeschafft werden. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.
Schröder mahnt: Kurs in Außenpolitik beibehalten
Der sozialdemokratische Altbundeskanzler Gerhard Schröder warnte die neue Bundesregierung vor einem Kurswechsel in der Außenpolitik. Wenn man etwa mit China Weltklimapolitik machen wolle, könne man das Land nicht jeden zweiten Tag "in den Senkel stellen", sagte der 77-Jährige dem Nachrichtenportal T-Online. Gleiches gelte auch für die Beziehungen zu Russland, der Türkei und Saudi-Arabien. Es brauche in internationalen Fragen mehr Sensibilität, als sie die Grünen derzeit an den Tag legten, so Schröder weiter.
se/sti (ntv live, dpa, afp, rtr)
Deutschlands neue Regierung
Der Koalitionsvertrag ist veröffentlicht, die Besetzung der Kabinettsposten steht fest. Ein Blick auf die Gesichter der künftigen Bundesregierung.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Baumgarten
Scholz löst Merkel ab
Olaf Scholz (63) hat seine Partei zum Wahlsieg geführt; nun wird er Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gewählt wird der Volljurist in der Nikolauswoche. Scholz kennt den Politikbetrieb: Jahrelang war er Minister und Erster Bürgermeister von Hamburg. Ein zentrales Projekt ist die Erhöhung des Mindestlohns.
Bild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa
Schmidt, der Strippenzieher
Wolfgang Schmidt (51) wird Kanzleramtsminister werden. Das scheint folgerichtig: Schmidt wird nachgesagt, dass niemand Olaf Scholz besser kenne als er. Seit 20 Jahren arbeiten die beiden Hamburger Seite an Seite. Schmidt glaubte schon an Scholz als Bundeskanzler, als das für viele andere noch aussichtslos erschien. Nun versprach er Scholz, ihm "den Rücken freihalten" zu wollen.
Bild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa
Der Kämpfer gegen die Pandemie
Karl Lauterbach ist die Überraschung im Kabinett. Viele in der Bevölkerung und Politik hatten sich ihn als Gesundheitsminister gewünscht. Doch er war zunächst nicht vorgesehen. Nun lobte ihn Olaf Scholz als "einen vom Fach". Der 58-Jährige ist Mediziner und Gesundheitsökonom. In der Pandemie war er medial omnipräsent, warnte und eckte an. Sein Ressort habe jetzt "erste Priorität", wie es hieß.
Bild: picture alliance/dpa
Wieder eine Chefin für die Bundeswehr
Christine Lambrecht war zuvor Justizministerin, nun wird sie Verteidigungsministerin. Die 56-jährige Rechtsanwältin übernimmt ein traditionell schwieriges Ressort. Sie will den militärischen Beruf attraktiver machen. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen zukünftig ständig evaluiert und mit einer Exit-Strategie versehen werden. Sie ist die dritte Frau in Folge auf diesem Posten.
Bild: Hannibal Hanschke/REUTERS
Heil bleibt im Amt
Der 49 Jahre alte Hubertus Heil macht das, was er zuletzt auch schon tat: Er ist weiterhin für das Ressort "Arbeit und Soziales" zuständig. Er gilt als bodenständig und pragmatisch. Grundrente und Mindestlohn gehören zu seinem politischen Profil. Für die neue Legislatur hat er angekündigt, für mehr Recht auf Home-Office zu kämpfen
Bild: Uwe Koch/Eibner-Pressefoto/picture alliance
Geywitz übernimmt völlig neues Ressort
Klara Geywitz ist eine von nur zwei Ostdeutschen im Kabinett. Sie bekommt das neu geschaffene Ministerium für Bauen und Wohnen. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr sollen entstehen. Die 45-Jährige stammt aus Brandenburg, ist dort seit vielen Jahren kommunal und in der Landespolitik aktiv. In der Bundes-SPD ist sie Vize-Chefin. Scholz sieht in ihr "ein ganz großes Talent".
Bild: Reuters/A. Hilse
Starke Frau aus Hessen für die Innenpolitik
Erstmals wird das Innenministerium von einer Frau geführt. Die 51-jährige Juristin Nancy Faeser kommt aus Hessen, war dort Partei- und Fraktionsvorsitzende. Sie will ihren Schwerpunkt auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus legen und versprach eine gut ausgestattete Bundespolizei. Die Menschen hätten einen Anspruch auf Sicherheit im Land.
Bild: Hannibal Hanschke/REUTERS
Schulze: neue Perspektive auf globale Themen
Die 53-jährige Svenja Schulze war vorher Umweltministerin - nun übernimmt sie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. "Globale Themen haben sie schon immer umgetrieben", sagte Scholz bei der Vorstellung des Kabinetts. Sie beherrsche "das internationale Parkett". Vor allem beim Klimaschutz hat sich Schulze einen Namen gemacht.
Bild: Toni Kretschmer/BMU/dpa/picture alliance
Lindner hütet bald die Kasse
Christian Lindner hat einen Coup gelandet: Das Amt des Finanzministers gilt als wichtigster Posten nach dem Bundeskanzler. Der 42-Jährige führt seit 2013 die liberale FDP - auch durch schwierige, außerparlamentarische Zeiten (2013-2017). Nun übernimmt der Liberale das Finanzministerium - obwohl die Grünen bei der diesjährigen Bundestagswahl mehr Stimmen erhalten haben als die FDP.
Marco Buschmann: Der 44-jährige Jurist wird neuer Justizminister. Als erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion kennt er die Partei gut; er hatte sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag mit neu aufgebaut. Im Wahlkampf warb er für eine liberalere Corona-Politik.
Der dritte FDP-Posten geht an den aktuellen Generalsekretär der Partei: Volker Wissing (51) übernimmt das Ministerium für Verkehr und Digitales. Er kennt sich aus mit Ampel-Koalitionen. Im Bundesland Rheinland-Pfalz war er bereits Mitglied eines solchen Dreierbündnisses. Auf Bundesebene gehörte Wissing dem kleinen Kreis an, der erste Sondierungen angestoßen hat.
Bild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa
Stark-Watzinger möchte "Bildungsrevolution"
Das vierte Ministerium für die FDP ist Bildung und Forschung. Es geht an Bettina Stark-Watzinger (53). Seit vier Jahren sitzt sie für die FDP im Bundestag und verhandelte den Koalitionsvertrag mit. Bereits im Wahlkampf äußerte sie sich zu bildungspolitischen Themen und veröffentlichte einen Artikel, in dem sie ihre Vision darlegte. Sie plädiert für einen "grundlegenden Systemwechsel".
Bild: Michael Kappeler/picture alliance/dpa
Außenamt statt Kanzleramt für Baerbock
Annalena Baerbock (40) hat als Kanzlerkandidatin die Grünen in den Wahlkampf geführt und konnte auch das Wahlergebnis von 2017 steigern. Für das Kanzleramt reichte es aber nicht, auch weil sie sich Patzer im Wahlkampf erlaubte. Nun wird sie Außenministerin - als zweite Grüne, die dieses Amt übernimmt. Zuvor war bereits Joschka Fischer um die Jahrtausendwende Außenminister.
Bild: Bernd Settnik/picture alliance/dpa
Habeck, der neue Super-Minister
Robert Habeck ist seit 2018 Ko-Vorsitzender der Grünen. Im Rennen um die Kanzlerkandidatur war er Baerbock unterlegen. Deren Wahlergebnis blieb hinter den Erwartungen zurück. Nun wurde der gelernte Philosoph und ehemalige Landesminister aus Schleswig-Holstein als Bundesminister des neugeschaffenen Ressorts für Wirtschaft und Klimaschutz auserkoren. Auch wird der 52-Jährige Vizekanzler.
Bild: Reuhl/Fotostand/picture alliance
Özdemir gewinnt Postengerangel
Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir (55) soll in der künftigen Bundesregierung das Ressort für Ernährung und Landwirtschaft übernehmen. Der Entscheidung vorausgegangen war ein erbittertes Ringen um die Kabinettsposten. Fraktionschef Anton Hofreiter, der dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, geht nun leer aus. Der "Realo" Özdemir ist der erste Bundesminister mit türkischem Migrationshintergrund.
Bild: Getty Images/AFP/J. MacDougall
Lemke nimmt sich der Umwelt an
Für das Ressort Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz ist Steffi Lemke (53) vorgesehen. Die Ostdeutsche lenkte als Bundesgeschäftsführerin der Grünen elf Jahre lang (2002-2013) die Geschicke der Partei. Lemke ist studierte Agrarwissenschaftlerin und ausgebildete Zootechnikerin. Im Bundestag war einer ihrer Schwerpunkte der Kampf gegen die Zerstörung des Lebensraums Meer.
Bild: Hendrik Schmidt/picture alliance/dpa
Spiegel wechselt von Mainz nach Berlin
Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Das dafür zuständige Bundesministerium bekommt Anne Spiegel als Chefin. Das Thema dürfte ihr bekannt vorkommen, war sie doch in Rheinland-Pfalz schon als Landesministerin unter anderem für Familie, Frauen und Jugend zuständig. Die 40-Jährige gehört dem linken Flügel der Grünen an.
Bild: Armando Babani/AFP
Roth soll die Bundeskultur lenken
Claudia Roth rückt ins Rampenlicht bundesdeutscher Kulturpolitik. Die 66-Jährige soll als Kulturstaatsministerin ins Kanzleramt einziehen, wodurch sie dann auch für die DW zuständig sein wird. Ex-Parteichefin Roth ist eines der prominentesten Gesichter der Grünen. Zuletzt war die frühere Managerin der Anarchoband "Ton Steine Scherben" Vizepräsidentin des Bundestages.