1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

SPD-Mitglieder für Walter-Borjans und Esken

30. November 2019

Die bisher weitgehend unbekannten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen neue SPD-Chefs werden. So haben es die Parteimitglieder entschieden. Wer sind die beiden und wofür stehen sie? Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Deutschland Berlin SPD | Saskia Esken & Norbert Walter-Borjans, Sieger Mitgliederentscheid
Bild: Reuters/F. Bensch

Sie haben für einen klaren politischen Kurswechsel gekämpft und damit haben der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die Bundestagsabgeordnete Saskia Esken die SPD-Basis überzeugt. In einer Urwahl gaben rund 215.000 der 425.000 Mitglieder ein gültiges Votum ab. 53,06 Prozent der Stimmen entfielen auf die Sieger. Ihre Konkurrenten, Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die brandenburgische Landespolitikerin Klara Geywitz, kamen auf 45,33 Prozent.

Walter-Borjans sagte nach der Verkündung des Ergebnisses, es sei klar, dass man nun dafür sorgen müsse, "dass wir zusammenbleiben". Esken und ihm sei bewusst, dass es keine Frage von Sieg oder Niederlage sei - zentral sei vielmehr, die SPD zusammenzuhalten. Auch Esken betonte: "Jetzt müssen wir zusammenstehen." Nur gemeinsam könne die SPD wieder stark gemacht werden. 

Ein Mann und eine Frau auf dem Chefsessel

"Diese Partei ist in den letzten 20 Jahren von rund 40 auf rund 14 Prozent gesunken, weil sie sich viel zu lange Rezepten hingegeben hat, die man wirklich neoliberal nennen muss", hatte Walter-Borjans zuletzt geschimpft. "Alles zu privatisieren was zu privatisieren ist, stolz darauf zu sein, dass man einen Niedriglohnsektor eingeführt hat." Die SPD müsse politisch wieder nach links rücken und sich für die Benachteiligten in der Gesellschaft ein setzen, so Esken. "Wir sind auch wirtschaftlich in der Situation, dass wir Arbeitnehmer-Rechte wieder in den Vordergrund stellen müssen, dass wir anständige Löhne in den Vordergrund stellen müssen und dass wir Kinderarmut unerträglich finden. Wir können nicht einfach so weitermachen."

Nach dem Willen der SPD-Mitglieder wird die SPD nun erstmals eine Doppelspitze haben. Offiziell gewählt werden soll das Duo auf dem SPD-Bundesparteitag am 6. Dezember. Dort will die Partei auch entscheiden, ob sie die Regierungskoalition mit CDU und CSU, die eigentlich noch bis zum Herbst 2021 laufen soll, weiterführen oder vorzeitig aufkündigen wird.

Die beiden Teams in der SPD-Zentrale in BerlinBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Die Koalition so weiterlaufen lassen wie bisher, das halte sie "fast schon für fahrlässig", so Esken. Ihre Forderung: Der Koalitionsvertrag müsse inhaltlich neu verhandelt werden mit dem Ziel, mehr sozialdemokratische Forderungen unterzubringen. "Wir brauchen wieder eine SPD, die in eigenen Visionen denkt und nicht in Kompromissen, die mit der Union durchsetzbar sind." Sollte die Union nicht nachverhandeln wollen, dann müsse die SPD die Koalition verlassen, so Esken. Das werde sie dem Bundesparteitag, der entscheiden muss, auf jeden Fall empfehlen.

Die Union kontert

Bei CDU und CSU stoßen die Forderungen auf Nachverhandlungen auf wenig Gegenliebe. Die Reaktionen reichen von einer klar ablehnenden Haltung bis hin zur Ankündigung, dann werde die Union ebenfalls neue Ziele in den Koalitionsvertrag aufnehmen wollen, wie zum Beispiel eine Steuerreform für Unternehmen. Nachverhandlungen seien keine Einbahnstraße, hieß es kämpferisch auf dem CDU-Parteitag am vergangenen Wochenende.

17 Kandidaten hatten sich ursprünglich für den SPD-Vorsitz gemeldetBild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Ob da noch Kompromisse möglich sind, oder nun ein schnelles Ende der GroKo naht? Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Union inhaltlich auf die politisch linken Forderungen der künftigen SPD-Vorsitzenden einlassen wird. Sie fordern eine klare Umverteilung von Reich zu Arm, plädieren für die Einführung einer Vermögenssteuer, deutlich schärfere Klimaschutzgesetze, die Abschaffung aller Sanktionen gegen Bezieher von Arbeitslosengeld, die sofortige Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro und das Ende der schwarzen Null im Bundeshaushalt. 

Die SPD wieder glaubwürdiger machen

Der Staat müsse endlich wieder mehr investieren: 500 Milliarden Euro seien allein für Kommunen, Schulen und die Digitalisierung nötig. Wer viel verdiene oder Vermögen habe, müsse deutlich mehr zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben beitragen und auch mehr Geld in die Rentenkasse einzahlen. Auch für Vermietungen, Verpachtungen und Kapitalerträge sollten zukünftig Beiträge abgeführt werden.

"Der größte Wert in der Politik ist, dass Menschen an uns glauben", sagt der Nordrhein-Westfale Walter-Borjans. "Das deutlich zu machen, ist Aufgabe der SPD." Ihren erkennbar linken Kurs vertrat das Duo während der Kandidatentour in klar verteilten Rollen. Er, stets freundlich, verbindlich und moderat. Sie, unverblümt und angriffslustig. Doch so unterschiedlich die beiden in ihrem Auftreten sind, so unterschiedlich verlief auch ihr bisheriges Leben und ihr politischer Werdegang.

Von der Paketbotin zur Softwareentwicklerin

Saskia Esken kommt aus dem nördlichen Schwarzwald in Baden-Württemberg. Nach dem Abitur jobbte sie als ungelernte Kraft zunächst acht Jahre lang als Paketbotin, Putzfrau, in der Gastronomie und als Schreibkraft. Sie brach ein Studium in Stuttgart ab, machte ein Ausbildung zur Informatikerin und erzog drei Kinder. 1990 trat sie in die SPD ein. Zur aktiven Politik fand sie aber erst viel später.

2007 wurde Esken Gemeinderätin, 2009 Abgeordnete im Kreistag von Calw. 2013 gelang ihr im zweiten Anlauf der Einzug in den Bundestag. Dort beschäftigte sie sich vorwiegend mit Digital- und Bildungspolitik und gehört der parlamentarischen Linken in der SPD-Fraktion an. Erfahrung in politischen Führungsämtern hat sie nicht. Das sieht Esken aber nicht als Nachteil. "Ich weiß nicht, ob das immer hilfreich ist, schon so lange in Führungspositionen zu sein. Weil man sich dann an die Rolle gewöhnt und eine gewisse Haltung gegenüber der Basis entwickelt hat", sagte sie kürzlich gegenüber ZEIT Online.

Sieben Milliarden Euro Steuernachzahlungen

Der heute 67-jährige Norbert Walter-Borjans war schon vor seiner Kandidatur für den SPD-Vorsitz durchaus bekannter. Von 2010 bis 2017 war der promovierte Volkswirt Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Dort erwarb er sich den Beinamen "Robin Hood der Steuergerechtigkeit", weil er nicht davor zurückschreckte, aus der Schweiz CDs mit den Namen von deutschen Steuerflüchtlingen zu kaufen. Sieben Milliarden Euro Nach- und Strafzahlungen habe er damit in die deutsche Staatskasse zurückgeholt, so Walter-Borjans.

Norbert Walter-Borjans 2015 als Finanzminister in NRWBild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Sozialdemokratische Politik macht "Nowabo", wie sein Spitzname lautet, seit 1984. Er arbeitete als Regierungssprecher und Staatssekretär in der nordrhein-westfälischen Landesregierung und später als Kämmerer für die Stadt Köln.

Mit 67 in die zweite Karriere

Eigentlich hatte Norbert Walter-Borjans mit seiner politischen Karriere abgeschlossen, als ihn Saskia Esken im Spätsommer dieses Jahres fragte, ob er mit ihr für den SPD-Vorsitz kandidieren würde. Nun sieht es so aus, als wenn Nowabo an der Seite seiner Co-Vorsitzenden eine zweite Karriere erleben wird. Mit einer Einschränkung allerdings. "Einen Kanzlerkandidaten können wir erst wieder aufstellen, wenn die SPD solche Zustimmungswerte erreicht hat, dass sie für den Anspruch auf die Regierungszentrale nicht ausgelacht wird", sagt Esken.