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Politik

Gedenkort für Polen, bevor die Zeugen sterben

13. November 2020

In Berlin soll ein Gedenkort für polnische Opfer des Zweiten Weltkriegs entstehen. Der SPD-Politiker Dietmar Nietan, Mitinitiator des Vorhabens, hofft, das Denkmal wird fertig, bevor die letzten Zeitzeugen sterben.

Deutschland 28. Jahrestagung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband in Homburg | Vorsitzender Dietmar Nietan
Dietmar Nietan, SPD, MdB, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen GesellschaftBild: Imago Images/photothek/F. Gaertner

DW: Der Deutsche Bundestag hat nach mehrjährigen Debatten einen Antrag angenommen, in dem er die Bundesregierung auffordert, an prominenter Stelle in Berlin einen Erinnerungs- und Begegnungsort für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs einzurichten. Sie haben sich vom Anfang an für dieses Projekt eingesetzt. Haben Sie Ihr Ziel nun erreicht?

Dietmar Nietan: Wir haben das Ziel natürlich noch nicht erreicht, weil es das Denkmal oder einen Gedenkort für Polen noch nicht gibt, aber wir haben den entscheidenden Schritt vollzogen, damit wir dieses Ziel erreichen. Hinter diesen Beschluss des Parlamentes kann niemand mehr zurück. Jetzt geht es darum, den Beschluss Wirklichkeit werden zu lassen. Dazu wird die Bundesregierung, in diesem Falle das Auswärtige Amt, dem Parlament bis zu Beginn des kommenden Jahres einen Vorschlag unterbreiten.

Nicht nur in Polen, auch in Deutschland hatten viele Menschen gehofft, dass zum 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs im vergangenen Jahr wenigstens ein symbolisches Zeichen für den polnischen Gedenkort gesetzt wird. Dazu kam es leider nicht. Warum? Woher kam der Widerstand?

1. September 1939 - Einmarsch deutscher Truppen in PolenBild: picture-alliance/dpa

Ich finde es sehr traurig und unglücklich, dass wir es nicht geschafft haben, den Beschluss bis zum 1. September 2019 zu realisieren. Das hatte viele Gründe. Einer war, dass es lange Diskussionen gab, ob man zwei Anträge stellt: einen, in dem es um ein Dokumentationszentrum für das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs insgesamt geht, und einen zum Gedenkort für die polnischen Opfer. Die Frage, ob man das an einem Ort macht und wie man das macht, wurde in den Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD lange kontrovers diskutiert. Der zweite Grund ist, dass durch die Corona-Pandemie die schnelle Umsetzung eines Polen-Antrags nicht mehr oberste Priorität der parlamentarischen Arbeit war. Beides zusammen hat zu dieser unglücklichen Situation geführt. Ich bedauere das sehr, aber ich hoffe, dass unsere polnischen Freunde dafür ein wenig Verständnis finden können.

Deutsch-polnischer Dialog für den Gedenkort

Spielte die Angst vor der Renationalisierung des Gedenkens eine Rolle?

Nein. Es gab Meinungen dazu, aber es war nicht das bestimmende Thema. Wie immer gibt es im Parlament und auch innerhalb der Parteien, darunter auch in der SPD und in der CDU, unterschiedliche Meinungen. Einige befürchteten tatsächlich eine Renationalisierung des Gedenkens. Das war aber nicht das Entscheidende, warum sich alles so lange hingezogen hat.

Im Aufruf vom 15. November 2017, den Sie mitunterzeichnet haben, war von einem "Polen-Denkmal" die Rede. Im Beschluss des Bundestags lesen wir nun von einem "Erinnerungs- und Begegnungsort". Gibt es eine Chance, dass ein klassisches Denkmal entsteht, an dem man eine Kerze für die Toten anzünden kann, wie sich das viele Polen wünschen?

Wir haben im Aufruf vom 15. November 2017 bewusst den Fokus nicht schon ganz eng nur auf ein Denkmal gelegt, sondern absichtlich breit formuliert, indem wir von einem Gedenkort, einem Begegnungsort sprechen. Die Frage, wie wir diesen Ort ausgestalten, wollten wir nicht im Parlament vorwegnehmen. Wir wollen die Frage, wie dieser Ort aussieht, ob es eine Begegnungsstätte mit einem Denkmal oder was auch immer sein soll, gemeinsam mit Expertinnen und Experten, aber auch mit der Zivilgesellschaft in Deutschland und Polen diskutieren. Wir wollten keinen Beschluss fassen, der das Ergebnis eines solchen deutsch-polnischen Dialogs vorwegnimmt. Es kann ein Denkmal werden, es kann auch ein Gedenkort werden, das genau soll jetzt erarbeitet werden.

"Es gibt Gründe für ein besonderes Gedenken an die polnischen Opfer"

Der Bundestag hat im Oktober beschlossen, in Berlin auch ein Dokumentationszentrum für die Opfer der deutschen Besatzung in ganz Europa zu schaffen. Stellt dieses Projekt eine Konkurrenz zum Gedenkort für Polen dar, oder können sich beide Vorhaben ergänzen?

Ein Foto, das die Welt entsetzte: Das historische Bild der 12-jährigen Kazimiera Mika und ihrer toten Schwester AndziaBild: Julien Bryan Archive

Das sind keine Konkurrenzprojekte. Die Deutschen haben nicht nur schlimme Verbrechen in Polen begangen, sondern es gab auch einen Vernichtungskrieg im Osten. Ich finde, man muss beides tun. Zum einen ein Dokumentationszentrum schaffen, das es ermöglicht, das ganze Ausmaß der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu dokumentieren, zum anderen der polnischen Opfer in besonderer Weise gedenken, was ich nicht als Renationalisierung empfinde. Es gibt viele Gründe, beides zu tun - das Große und Ganze zu dokumentieren, aber auch der Opfer der Zweiten Polnischen Republik zu gedenken.

Auch andere Opfernationen wollen eigene Denkmäler haben. Einen solchen Wunsch hat beispielsweise der ukrainische Botschafter geäußert.

Es gibt gute Gründe für ein besonderes Gedenken an die polnischen Opfer. Das heißt nicht, dass man sie im Vergleich mit anderen Opfern zu Opfern erster Klasse erklärt. Das heißt auch nicht, dass es nicht vielleicht irgendwann auch einmal ein Denkmal geben kann für eine andere Opfergruppe. Ein Gedenkort für Polen ist keine Konkurrenz zum Gesamtgedenken und zum möglichen Entschluss, vielleicht in zehn Jahren, Opfer aus Griechenland oder aus der Ukraine zu ehren.

Die Zeit drängt

Die Zeit spielt eine wichtige Rolle, weil die letzten Zeitzeugen sterben. Wann werden wir am Polen-Denkmal oder am polnischen Gedenkort eine Grabkerze anzünden oder einen Kranz niederlegen können?

Wir müssen schnell zu einer Entscheidung kommen, wie der Gedenkort aussehen soll, damit die letzten lebenden Kriegsopfer noch sehen, dass wir es ernst meinen. Dass es nicht nur diesen Beschluss auf dem Papier gibt, sondern dass wir anfangen, einen solchen Ort zu errichten. Wann das sein wird, kann ich aber nicht genau sagen.

Wie sieht der Zeitplan denn aus?

Anfang nächsten Jahres bekommen wir einen Vorschlag der Bundesregierung. Dann schauen wir uns ihn als Parlament an und sagen: Ja, der ist gut oder Nein, da muss noch etwas ergänzt werden. Auf dieser Grundlage werden sich polnische und deutsche Experten zusammen setzen. Dann brauchen wir jemanden, der sozusagen das Dach bildet. Das kann eine bereits bestehende Nicht-Regierungsorganisation sein wie das Deutsche Polen-Institut. Und dann würden wir vielleicht bis Ende 2021 eine fertige detaillierte Konzeption haben und könnten das Ganze dann 2022 errichten. Aber da spekuliere ich nur, da stecke ich nicht drin.

Dietmar Nietan, SPD, Mitglied des Deutschen Bundestags, ist seit 2010 Vorsitzender des Bundesverbands der Deutsch-Polnischen Gesellschaft.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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