SPD skizziert neue Ostpolitik
9. Juli 2022Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Michael Roth, macht sich für eine neue Ostpolitik Deutschlands stark. "Sicherheit kann es in Europa nur noch gegen, nicht mehr mit Russland geben", schreibt der SPD-Politiker in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Welt am Sonntag". Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur müsse auf militärische Abschreckung sowie auf die politische und wirtschaftliche Isolation Russlands bauen, betont er.
"Mit Blick auf Russland brauchen wir mehr Realismus statt naives Wunschdenken", unterstreicht Roth. Präsident Wladimir Putin habe aus dem Land eine imperialistische Macht gemacht. Der Außenpolitiker der Regierungspartei SPD wies dabei auch auf "eklatante Fehler" seiner Partei in der Vergangenheit hin. "Die SPD ist zu Recht stolz auf Willy Brandts Ostpolitik der 70er-Jahre", schrieb er. "Trotz aller historischen Verdienste dürfen wir uns angesichts der grundlegenden Veränderungen in der Welt nicht hinter Willy Brandt verstecken", mahnte er.
Für ein Umdenken in der Ostpolitik sei es aber "mitnichten notwendig, sozialdemokratische Traditionslinien preiszugeben", schrieb Roth. "Brandts Einsatz für Frieden und Entspannung war auch deshalb so erfolgreich, weil er von militärischer Stärke im Zeichen der nuklearen Abschreckung getragen wurde." Im Rahmen einer neuen Ostpolitik müssten Deutschlands östliche Nachbarstaaten stärker in die Russlandpolitik einbezogen werden, mahnte er. "Künftig kann es keinen deutschen Sonderweg mehr mit Russland geben, der zulasten unserer mittel- und osteuropäischen Partner geht", resümiert Roth.
Was soll eine neue Ostpolitik beinhalten?
Bereits im Mai hatte auch der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil eine Neuausrichtung der Ostpolitik seiner Partei angekündigt. "Wir haben uns zu stark auf Russland konzentriert", sagte er der "Welt am Sonntag". "Künftig müssen wir viel stärker mit den osteuropäischen Staaten kooperieren." Der Satz im Grundsatzprogramm der SPD, wonach Sicherheit in Europa nur mit Russland zu erreichen sei, stimme vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges nicht mehr.
Die parteiinterne Kommission Internationale Politik soll laut Klingbeil in den kommenden Monaten die künftigen Grundsätze sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik bestimmen. "Dazu gehört auch der kritische Blick zurück", sagte der SPD-Chef. Die SPD sei stolz auf die Ostpolitik von Willy Brandt. Allerdings seien auch Fehler gemacht worden. Diese hätten jedoch nicht allein mit der SPD zu tun. "16 Jahre lang saß Angela Merkel im Kanzleramt", sagte Klingbeil.
"Mich beschäftigt, aus welchem Grund die Politik insgesamt, auch noch nach der Besetzung der Krim 2014, allein auf Wandel durch Handel gesetzt hat", fügte Klingbeil hinzu. Die Antwort sei wichtig für Deutschlands künftige Beziehungen zu anderen Staaten, etwa zu China. Deutschland dürfe sich nicht in eine einseitige Abhängigkeit von China bringen. "Im Fall von China bedeutet es, dass wir die technologische Abhängigkeit von der Volksrepublik, in der wir uns längst befinden, massiv reduzieren müssen", sagte er.
Klingbeil: Deutschland muss als Führungsmacht auftreten
Klingbeil legte in einer außenpolitischen Grundsatzrede am 21. Juni nach und beansprucht angesichts der jüngsten Veränderungen in der Welt für die Bundesrepublik eine neue Vorreiterrolle. "Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben", sagte Klingbeil. Damit sei aber ausdrücklich nicht gemeint, dass Deutschland "breitbeinig oder rabiat" auftrete. Eine neue Rolle als Führungsmacht werde Deutschland harte finanzielle und politische Entscheidungen abverlangen. Als Führungsmacht müsse Deutschland auch ein souveränes Europa massiv vorantreiben.
"Ich finde, wir brauchen eine völlig andere sicherheitspolitische Debatte in Deutschland", sagte Klingbeil. So müsse die Bundeswehr bei Debatten über Frieden und Sicherheit "selbstverständlich" mitgedacht werden. "Nicht das Reden über Krieg führt zum Krieg. Das Verschließen der Augen vor der Realität führt zum Krieg." Pazifistischen Überlegungen erteilte er eine Absage., Friedenspolitik bedeute für ihn, "auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen". Das sehe auch die Charta der Vereinten Nationen vor. Der SPD-Chef verwies dabei auf Russlands Angriff auf die Ukraine. Er erinnerte daran, dass auch zu Zeiten der Ostpolitik von Willy Brandt und dann Helmut Schmidt der deutsche Verteidigungsetat drei Prozent der Wirtschaftsleistung betragen habe.
kle/sti (afp, rtr, dpa)