1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

SPD: Zurück in die Zukunft

10. Februar 2019

Mehr als ein Jahr hat die SPD ihre politische Erneuerung debattiert. Herausgekommen ist der "Sozialstaat 2025". Er soll die ungeliebten Hartz-Reformen der Schröder-Ära vergessen lassen. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Deutschland | SPD-Klausurtagung Andrea Nahles und Lars Klingbeil
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Am Ende ging es ganz schnell. Zwei Stunden nur tagte der erweiterte SPD-Vorstand in Berlin, dann war das neue Sozialstaatskonzept beschlossene Sache. Während anschließend die Genossen im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses Erbsensuppe aßen, trat SPD-Chefin Andrea Nahles im Erdgeschoss fröhlich vor die wartenden Journalisten. "Sie sehen hier eine sehr gut gelaunte, positiv gestimmte SPD-Vorsitzende stehen, die aus einem gut gelaunten, positiv gestimmten Parteivorstand kommt." Mit dem neuen Konzept "Sozialstaat 2025" fühle sich die Partei "gut gerüstet". Es seien "wichtige, wegweisende Entscheidungen" getroffen worden.

"Wir können mit Fug und Recht sagen, wir lassen Hartz IV hinter uns und ersetzen es nicht nur dem Namen nach", so fasst Andrea Nahles die in ihren Augen wichtigste Botschaft des Tages zusammen. Hartz IV, so wird die Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von derzeit 428 Euro genannt, die ein zentraler Baustein der "Agenda 2010" ist. Jener Sozial- und Arbeitsmarktreform, die die Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen 2003 unter dem damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführt hatten und die seitdem wie ein Stachel im Fleisch der Genossen steckte. Weil viele in der Partei sie als sozial ungerecht empfinden und für den Niedergang der Sozialdemokratie verantwortlich machen.

Schon 2004 gingen die Menschen gegen Hartz IV auf die Straße (Archivbild) - jetzt macht die SPD ernst Bild: picture-alliance/U. Baumgarten

Der Staat als Partner und nicht als Kontrolleur

Statt Hartz IV soll es nun ein Bürgergeld geben. Für Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, ausgezahlt sogar erst nach 33 Monaten und nicht mehr schon nach einem oder zwei Jahren Arbeitslosigkeit. Die meisten Bedingungen und Sanktionen, die an Hartz IV geknüpft sind, sollen für die Dauer von zwei Jahren komplett wegfallen. Bislang müssen Ersparnisse zunächst aufgebraucht werden und selbst die Wohnung muss gewechselt werden, wenn das Jobcenter sie für zu groß und teuer befindet. Grundsätzlich soll das Prinzip "Fördern und Fordern" zwar erhalten bleiben, aber das Fördern betont werden.   

"Wir begegnen den Menschen mit großem Zutrauen und wir wollen, dass sie Zeit haben für die Arbeitssuche und nicht mit Fragen nach der Größe ihrer Wohnung behelligt werden", so Nahles. Im Zentrum des neuen Konzepts stehe "Leistungsgerechtigkeit". Wer lange in die Sozialsysteme eingezahlt habe, solle auch länger Leistungen beziehen können. Jeder, dessen Job bedroht ist oder der arbeitslos wird, bekommt zudem ein Recht auf Weiterbildung. Nach drei Monaten bereits soll ein Arbeitslosengeld Q, also "Qualifizierung" gezahlt werden.

Das Prinzip "Fordern und Fördern": Welche Jobs müssen Arbeitslose machen, um weiter Unterstützung zu bekommen?Bild: Imago

Ein Jahr lang in die Partei hineingehorcht

Weitere Punkte in dem 17 Seiten umfassenden Konzept sind die Forderung nach einer eigenen Grundsicherung für Kinder, die damit aus dem als stigmatisierend empfundenen Hartz-IV-System herausgeholt werden sollen. Außerdem soll es ein Recht auf "Home Office" geben, also die Möglichkeit, zuhause arbeiten zu dürfen, und eine Erhöhung des Mindestlohns von derzeit neun auf zwölf Euro. Auch die von der SPD geforderte Grundrente ist Teil des neuen Konzepts. "Solidarität, Menschlichkeit, Zusammenhalt, das sind die Grundsätze, auf denen wir den neuen Sozialstaat gestalten wollen", sagt Nahles.

Lange haben sie in der SPD an dem neuen Konzept gearbeitet. "Wir haben uns ein Bild gemacht, offen und neugierig", bilanziert Nahles. Landauf, landab wurde in parteiinternen Debattencamps diskutiert und auch gestritten. "Wir haben den Menschen zugehört", betont die SPD-Vorsitzende. Tausende Vorschläge habe die Partei für ihren Erneuerungsprozess eingesammelt und mit vielen sozialen und ökologischen Interessenverbänden diskutiert. "Dieser Prozess ist jetzt abgeschlossen." Wir sind nun bereit, aus den Erkenntnissen eine neue, sozialdemokratische Politik zu formen." 

Bestens gelaunt nach der Vorstandsklausur: Andrea Nahles mit Generalsekretär Klingbeil (r.) und Finanzminister ScholzBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Widerspruch aus der Union

Doch wie passt diese Politik in die große Koalition mit CDU und CSU? "Das ist erst einmal eine Positionierung der SPD", erwidert Andrea Nahles. Tatsächlich kommt vom Regierungspartner bereits Kritik am Sozialstaatskonzept. "Mit uns gibt es keinen Linksruck in der Regierung", tönt es aus der Union. "Wir planen keinen neuen Koalitionsvertrag", sagt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Mit ihren Forderungen plane die SPD die Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft, urteilt der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier.

"Die SPD ist die Partei, die noch den Anspruch hat, Zusammenhalt zu organisieren", entgegnet SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Mit Blick auf das CDU-"Werkstattgespräch" zur Aufarbeitung der Flüchtlingskrise an diesem Sonntag sagt er, die Union blicke nur zurück. "Wir schauen nach vorn."

Am Geld wird es nicht scheitern

Doch wer soll das milliardenschwere SPD-Konzept bezahlen? "Auch aus meiner alten Tätigkeit als Arbeitsministerin heraus kann ich ihnen sagen, dass scheitert nicht am Geld", behauptet Andrea Nahles. "Wir haben sehr gut gefüllte Kassen auch bei den Sozialkassen." Zudem sei beispielsweise das Arbeitslosengeld Q eine Investition, die vielfach dazu führe, dass Menschen erst gar nicht ins Bürgergeld fallen würden.

Bis Montagmittag wird die Vorstandsklausur in Berlin andauern. Neben der Sozialpolitik wird auch die Europapolitik und die Außenpolitik diskutiert werden. Die Partei hofft, mit ihren neuen Konzepten wieder auf mehr Zustimmung beim Wähler zu stoßen. Zwischen 14 und 15 Prozent der Stimmen, mehr hat die SPD in den letzten Monaten in Umfragen nie erreichen können. Das hat auch Andrea Nahles zunehmend unter Druck gebracht. Mit der neuen programmatischen Ausrichtung hofft die SPD-Vorsitzende auf einen Befreiungsschlag - auch in eigener Sache.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen