Fünf deutsche Autobauer sollen sich jahrelang abgesprochen haben, um den Wettbewerb außer Kraft zu setzen. Dabei sei auch der Grundstein für den Dieselskandal gelegt worden, berichtet das Magazin "Der Spiegel".
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Seit den 1990er Jahren sollen sich mehr als 200 Mitarbeiter von Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler in geheimen Arbeitskreisen abgestimmt haben. Bei den Treffen soll über alle Details der Autoentwicklung gesprochen worden sein.
Dazu gehörten demnach auch Absprachen zur Technik für die Diesel-Abgasreinigung. Die Auswahl von Lieferanten und die Preise von Bauteilen für Motoren, Bremsen, Kupplungen und Getrieben seien ebenfalls Gegenstand der Gespräche gewesen, berichtet "Der Spiegel" am Freitag.
Volkswagen habe am 4. Juli 2016 darüber einen Schriftsatz bei Wettbewerbsbehörden eingereicht, so das Magazin. Darin soll VW selbst den Verdacht äußern, die Absprachen der deutschen Autobauer seien "kartellrechtswidriges Verhalten".
Neben dem Wolfsburger Konzern soll auch Daimler eine Art Selbstanzeige bei den Behörden eingereicht haben. Daimler erklärte, das Unternehmen äußere sich grundsätzlich nicht zu Spekulationen.
Nach Bekanntwerden der neuen Vorwürfe sackten die Aktien der Autobauer am Freitag deutlich ab.
Basis für Dieselskandal
Ein VW-Sprecher erklärte im Namen der Konzernmarken Volkswagen, Audi und Porsche: "Zu den Spekulation und Sachverhaltsvermutungen der "Spiegel"-Berichterstattung äußern wir uns nicht."
Die EU-Kommission wollte ebenfalls keinen Kommentar abgeben. Von BMW war keine Stellungnahme zu erhalten, das Bundeskartellamt wollte sich nicht äußern.
Wie das Nachrichtenmagazin weiter berichtet, legten die Absprachen die Basis für den VW-Dieselskandal. Denn die Autobauer koordinierten sich im "5er-Kreis", wie die Gruppen wegen der beteiligten fünf Marken genannt worden seien, auch über die Größe der Tanks für das Harnstoffgemisch AdBlue.
AdBlue wird gebraucht, um Stickoxide zu neutralisieren. Aus Kostengründen hätten sich die Hersteller auf kleine Tanks verständigt. Doch diese reichten nicht mehr für strengere Abgaswerte aus, deshalb hätten die Unternehmen getrickst, so das Magazin.
Chronologie des Dieselgate-Schreckens
Die Abgas-Affäre hat Volkswagen in eine tiefe Krise gestürzt. "Dieselgate" sorgt für einen enormen Ansehensverlust, hat die Autobauer schon jetzt Milliarden gekostet und ist noch lange nicht ausgestanden.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Das Unheil nimmt seinen Lauf ...
Rund zwei Wochen, nachdem VW hinter den Kulissen der US-Umweltbehörde (EPA) bereits gestanden hat, dass eine Betrugs-Software in Dieselautos eingesetzt wird, teilt die EPA dies am 18. September 2015 offiziell mit. Die Krise nimmt Fahrt auf und fordert schnell erste Opfer.
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Der Chef muss gehen
Der Vorstandsvorsitzende von VW, Martin Winterkorn, muss bereits nach wenigen Tagen seinen Hut nehmen. Am 23. September tritt er von diesem Posten zurück - behält aber seine anderen Aufgaben im Konzern. Bis heute behauptet er, vom Betrug nicht gewusst zu haben.
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Der Neue ist ein eigentlich ein alter Bekannter
Sein Nachfolger wird Matthias Müller, bis dahin Vorstandsvorsitzender bei der VW-Tochter Porsche. Auch der Neue besteht darauf, vom Betrug nichts gewusst zu haben. Er soll nun im Konzern aufräumen - und macht dabei nicht immer eine gute Figur.
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Razzia im Hauptquartier
Nicht nur in den USA wird gegen VW ermittelt. Auch in Niedersachsen, in diesem Bundesland hat VW seinen Sitz, werden die Staatsanwälte aktiv: Am 8. Oktober 2015 lässt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft Büros in Wolfsburg und anderen Orten durchsuchen.
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Ein mächtiger Gegner ...
… tritt am 4. Januar 2016 auf den Plan: Die US-Regierung reicht eine Klage gegen VW ein. Der Vorwurf lautet: Betrug und Verstöße gegen die amerikanischen Klimaschutzgesetze.
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Plötzlich soll es schnell gehen
Obwohl es noch keine Genehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gibt, ruft VW Autos der Modellreihe "Amarok" in die Werkstatt: Schon am 27. Januar 2016 sollen die ersten SUVs eine gesetzeskonforme digitale Motor- und Abgassteuerung bekommen. Besitzer anderer Modelle wie Passat oder Golf müssen allerdings teilweise noch immer warten.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Rücktritt oder Bauernopfer?
Am 9. März tritt der Chef von VW in den USA, Michael Horn, zurück. Er stand in den ersten Tagen und Wochen des Skandals stark im Fokus der Öffentlichkeit und hat für das Verhalten von VW öffentlich um Entschuldigung gebeten.
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Ein Richter mit viel Geduld
Es passiert nicht oft, dass ein Bezirksrichter aus den USA in Deutschland so bekannt wird wie Charles Breyer aus San Francisco. Der oberste Richter des Distrikts Nord-Kalifornien verhandelt den Fall gegen VW und verkündet am 21. April eine grundsätzliche Einigung zwischen dem Autobauer und den US-Behörden. Sehr viele Details bleiben aber noch offen.
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Verheerende Zwischenbilanz
Am 28. Juni wird bekannt, dass VW wohl bis zu 14,7 Milliarden US-Dollar (13,3 Milliarden Euro) bezahlen muss - das sieht ein Vergleich vor. Die betroffenen Wagen sollen zurückgekauft oder umgerüstet werden. So teuer könnte es in den USA werden, wie in anderen Ländern verfahren wird, ist noch unklar. Der Börsenwert des Unternehmens ist im vergangenen Jahr jedenfalls um ein Fünftel gesunken.
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Schlimme Zahlen
Das Halbjahresergebnis von VW wird am 28. Juli 2016 präsentiert: es sackt unterm Strich um 38 Prozent auf 3,46 Milliarden Euro ab. Ein Streit mit zwei Zulieferern der Prevent-Gruppe bringt Mitte August einige VW-Werke zum Stillstand. Am 10. September gesteht erstmals ein VW-Ingenieur in den USA seine Verstrickung in den Dieselskandal.
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Im September 2015 hatte VW zugegeben, millionenfach Dieselmotoren manipuliert zu haben, deren Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand zufriedenstellend arbeitete. Auch gegen Daimler ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Abgasmanipulation.
"Eine Art Beifang"
Im Kartellrecht sind Vereinbarungen verboten, die den Wettbewerb beschränken. Denn solche Absprachen können etwa Preise künstlich hoch halten oder die angebotenen Produktmengen verknappen - und damit Verbraucher schädigen. Verfahren haben bereits zu Millionenstrafen in verschiedenen Industriezweigen geführt.
Hintergrund der Kartellvorwürfe sind laut "Spiegel" Ermittlungen wegen des Verdachts auf Absprachen von Stahlpreisen. Das Kartellamt hatte im vergangenen Sommer Büros von Autobauern und Zulieferern durchsucht. Die Ermittler nahmen unter anderem VW, Daimler und BMW sowie die Zulieferer Bosch und ZF unter die Lupe, wie Sprecher der Konzerne damals bestätigten.
Ein Sprecher des Kartellamts sagte dazu: "Es wurden sechs Unternehmen durchsucht, insgesamt waren 50 Mitarbeiter des Bundeskartellamts beteiligt." Zur Frage, ob bei diesen Aktionen auch Hinweise auf weitergehende mögliche Verstöße gefunden wurden, wollte sich das Amt nicht äußern. Nach Einschätzung des "Spiegel" fanden sich die Hinweise auf mögliche illegale Absprachen als "eine Art Beifang".