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Politik

Spiel mit der Angst: der politische Populismus

24. Oktober 2018

Populistische Politiker sind im Aufwind. Fast rund um den Globus legen sie zu, immer häufiger gewinnen sie Wahlen. Was macht den Populismus so attraktiv? Und wie seriös ist er? Eine Spurensuche in fünf Ländern.

Donald Trump
Bild: picture alliance/AP Photo

Vor einiger Zeit gestand der italienische Journalist Ernesto Galli della Loggia, Autor des "Corriere della Sera", den Lesern des Blattes eine Sorge: Er sei zwar als Italiener geboren. Aber er wisse nicht, ob er als Italiener sterben werde. Zu schnell verändere sich das Land - und zwar im Negativen. Den Wechsel macht della Loggia an Kleinigkeiten fest. Etwa daran, dass im Jahr 2017 beim Filmfestival von Cannes kein italienischer Film anlief - zum ersten Mal in der Geschichte des Festivals überhaupt.

Der Ausfall in Cannes, schreibt della Loggia, reihe sich ein in eine Folge anderer, erheblich ernsthafterer Phänomene: eine stagnierende Ökonomie; sinkende Einkommen; der mangelhafte Zustand der Straßen; der schlechte Zustand der öffentlichen Verkehrsmittel; die mangelnde Effizienz der Bürokratie. Die Liste ließe sich fortsetzen.

All dies führt zu einem diffusen Unbehagen, auf das die Italiener keine Antwort wissen. Und zwar erst recht, so der Soziologe Marco Revelli, keine politische. Die Massenparteien alten Stils hätten sich aufgelöst, nachdem sie durch zahlreiche Skandale erschüttert worden seien. Diese Parteien fehlten nun. Die Folgen seien dramatisch: "Ohne eine angemessene Sprache, in der sie ihre eigene Geschichte erzählen könnten, sind die Bürger zurückgeworfen auf Ressentiment und Groll." Eben dann schlage die Stunde der Populisten.

Auch eine Form von Abstieg: die Filmfestspiele Cannes 2017 ohne ItalienBild: picture alliance/dpa

Kritik an den Eliten

Das Problem ist nicht auf Italien beschränkt. Alexander Gauland, einer der Bundessprecher und Fraktionsvorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD), hat Anfang Oktober in einem Aufsatz für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" umrissen, welche Gruppen in seiner Partei zueinandergefunden hätten: "Zum einen die bürgerliche Mittelschicht, zu der auch der wirtschaftliche Mittelstand gehört, der nicht einfach seine Unternehmen nach Indien verlagern kann, um dort besonders billig zu produzieren; zum anderen viele sogenannte einfache Menschen, deren Jobs oft miserabel bezahlt werden oder nicht mehr existieren, die ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen. Das sind zugleich diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen. Sie können nicht einfach wegziehen und woanders Golf spielen."

Gaulands Artikel ist vielfach kritisiert worden. In der Elitenschelte, die er dort formulierte, sahen einige Kritiker etwa eine zeitgenössische Umformulierung ehemals antisemitischer Motive. Die "Heimatlosigkeit", einst ein zentraler Topos antisemitischer Hetze, tauche bei Gauland in neuem Gewand auf, nur, dass es sich nun gegen die globalisierten Eliten richte. Andere monierten die polemische oder fremdenfeindliche Zuspitzung in dem Artikel, etwa in der den Einwanderern gewidmeten Passage.

Frankreich von den Rändern her gesehen

Allerdings formuliert Gauland Probleme, die ähnlich auch von Linken gesehen werden. In Frankreich etwa hat der aller populistischen Umtriebe unverdächtige Sozialgeograph Christophe Guilluy in mehreren Büchern den Niedergang der französischen Sozialisten untersucht. "La France Periphérique" ("Das periphere Frankreich") heißt sein bekanntestes Buch, in dem er sich der im doppelten, nämlich sozial und geographisch an den Rand geschobenen französischen Unterklasse widmet, die nach dem Rückbau großer Industrien ein kümmerliches Dasein an den Rändern der Gesellschaft friste. "Keine Partei, vor allem keine linke, vertritt ihre Interessen, nimmt sich ihrer Verzweiflung an. Die entsprechenden Organisationen, einschließlich der Gewerkschaften, vertreten sie nicht mehr." Viele Bürger wendeten sich darum neuen politischen Figuren zu, in diesem Fall einer weiblichen: Marine Le Pen, der Chefin des Front National, der sich inzwischen in Nationale Sammlungsbewegung umbenannt hat.

Der Zorn der Straße: rechtsextreme Demonstranten am Maifeiertag 2017 in ParisBild: picture alliance/AP Photo/T. Camus

Angst vor den anderen

Guilluys Analyse beschränkt sich nicht nur auf Europa. Sie gilt in weiten Teilen auch für die USA. So verhalf dort die bedrohte oder zumindest sich bedroht fühlende Mitte Trump zu seinem Wahlsieg, so der an der Universität Siegen lehrende Amerikanist Daniel Stein. "Es ist ja nicht so, dass vor allem die ganz armen Leute Trump gewählt hätten", so Stein im DW-Interview. "Es waren vielmehr die Stimmen von Personen aus der Mitte der Gesellschaft, die den Unterschied machten. Diese Leute haben oft das Gefühl, ihr Land nicht wiederzuerkennen. Manche haben Angst vor dem sozialen Abstieg, andere sind gegen ein pluralistisches und offenes Amerika. Und dann kommt jemand wie Trump, der alle etablierten Regeln ignoriert, der vorgibt, in Washington und der Welt aufräumen zu wollen und die Interessen seiner Wähler gegen jede politische Korrektheit durchzusetzen. Und das empfinden viele als sympathisch, zumal rechte TV-Sender wie FOX News dieses Bild rund um die Uhr bestätigen."

Eines habe Trump geschafft, sagt Stein: Er lasse seine politischen Versprechen und seine tatsächliche Agenda weit auseinanderklaffen, ohne damit Kritik aus den eigenen Reihen zu erregen. "Die Gesundheitsreform, die Obama angestoßen hat, wäre zum Beispiel eine Möglichkeit, Abstiegsängste zu lindern. Aber genau diese Reform wollen die Republikaner wieder loswerden. Da besteht ein Widerspruch zwischen den populistischen Forderungen aus dem Wahlkampf und einer knallharten rechten Politik, die vor allem der oberen Schicht und den Großkonzernen nutzt."

"Verteidigt den amerikanischen Traum": Anti-Trump-Demonstration in Los Angeles, September 2017Bild: Getty Images/David McNew

Brasilianer verzweifeln an der Politik

Ende Oktober gehen in Brasilien die Präsidentschaftswahlen in ihre zweite, entscheidende Runde. Favorit ist der als Rechtspopulist oder gar Rechtsextremist geltende Jaire Bolsonaro- ein Mann, der immer wieder gute Worte für die brasilianische Militärdiktatur der 1960er und 70er Jahre findet. Auch Bolsonaro wende sich vor allem an die gebildete Mittelschicht, sagt Claudia Zilla, Forschungsgruppenleiterin für Amerika bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Aber diese Menschen haben den Eindruck, dass die anderen Parteien sich voneinander kaum unterscheiden und dass Politik ein korruptes Geschäft sei." Damit lägen die Menschen gar nicht falsch, so Zilla weiter. Tatsächlich seien die Brasilianer in den letzten Jahren Zeugen mehrerer großer Korruptionsaffären unter Politikern geworden.

Einen Teil seines Erfolgs verdankt Bolsonaro den einflussreichen evangelikalen Gruppen. Ein Zufall sei das nicht, so Zilla: Populisten des rechten Lagers und Evangelikale pflegten eine ähnliche wertkonservative Agenda. "Es geht um Ordnung, es geht um Familie, es geht um die traditionellen Werte, es geht um die Privilegierung heterosexueller Ehen." Neue Pfingstkirchen setzten zudem häufig in ihren Gottesdiensten auf Inszenierungsstrategien, die denen der Populisten ähnelten. Beide suchten den unmittelbaren Kontakt zu den Menschen, beide appellierten in erster Linie an die Emotionen und - wenn überhaupt - erst in zweiter an den Intellekt.

Brasiliens äußerster rechter Rand: Jair Bolsonaro bei einer Wahlveranstaltung in Rio de Janeiro im Oktober 2018Bild: Getty Images/AFP/M. Pimentel

Populismus als Kampf ums Ganze

Den Populismus, so der argentinische Politikwissenschaftler Loris Zanatta in der Zeitung "Clarín", stilisiere politische Auseinandersetzungen zu einem Kampf ums Ganze. "Der Horizont des Populismus ist das verheißene Land, die Auslöschung der Sünde, die Rückkehr des Volkes zu seiner ursprünglichen Reinheit. Um nichts Geringeres geht es. Aus diesem Stoff nährt sich seine große Erzählung: der ewige Kampf des Guten gegen das Böse."

Allerdings, warnt Zanatta, müsse man sehen, was am Ende konkret herauskomme. In einer angstgetriebenen Welt haben die Populisten viele Versprechen gemacht. Jetzt muss sie zeigen, wie sie es mit der Umsetzung halten.

Auf ein Wort... Populismus

42:30

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika