Kaschmir: Krisenregion im Visier dreier Atommächte
25. April 2025
Nur wenige Regionen auf der Erde sind so hoch militarisiert und dabei so instabil wie Kaschmir. Das umstrittene Himalaya-Gebiet liegt in einem sensiblen Dreieck zwischen den drei Atommächten Indien, Pakistan und China. Seit langem ist es Schauplatz ungelöster regionaler Rivalitäten und territorialer Ambitionen.
Wie unbeständig die Situation nach wie vor ist, zeigte sich in dieser Woche mit tödlicher Wucht. Am Dienstag griffen Bewaffnete eine Gruppe von Touristen im von Indien verwalteten Kaschmir an, töteten mindestens 26 Menschen und verwundeten Dutzende weitere. Es war der seit Jahren schlimmste Angriff auf Zivilisten in dem Gebiet. Indien hat die Morde als Terroranschlag eingestuft.
Nur wenige Tage zuvor waren drei Militante und ein indischer Soldat bei einer Reihe von Schießereien in der gesamten Region getötet worden - ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Spannungen vor Ort gefährlich hoch bleiben.
Warum Kaschmir wichtig ist
Kaschmir erstreckt sich über eine Fläche von etwa 220.148 Quadratkilometern und ist zwischen Indien, Pakistan und China aufgeteilt. Es wird sowohl von Indien als auch von Pakistan als Gesamtterritorium beansprucht.
Die Region ist die Heimat von über zwölf Millionen Menschen, die einer komplexen Mischung von strategischen, wirtschaftlichen und religiösen Interessen ausgesetzt sind.
Die Geschichte des Konflikts in Kaschmir reicht bis ins Jahr 1947 zurück, als aus der vormaligen Kolonie Britisch-Indien zwei unabhängige Staaten entstanden - das mehrheitlich hinduistische Indien und ein mehrheitlich muslimisches Pakistan.
Der Fürstenstaat Jammu und Kaschmir, mehrheitlich von Muslimen bewohnt, wurde damals von einem hinduistischen Maharadscha regiert. Dieser lehnte es zunächst ab, sich einem der beiden Länder anzuschließen. Das änderte sich, als pakistanische Guerillakämpfer versuchten, die Region zu erobern und ihn zu stürzen. Der Maharadscha bat Indien um Hilfe und schloss sich Neu-Delhi an. Das führte zum ersten indisch-pakistanischen Krieg und einer De-facto-Teilung Kaschmirs, die immer noch anhält.
Indien kontrolliert den bevölkerungsreichsten Teil, zu dem das Kaschmirtal, Jammu und Ladakh gehören. Pakistan hält Teile des nördlichen Kaschmirs, darunter Azad Jammu und Kaschmir (AJK), übersetzt "freies Jammu und Kaschmir", sowie Gilgit-Baltistan. China verwaltet derweil die nur dünn besiedelte Region Aksai Chin im Nordosten, die aber Indien nach wie vor für sich beansprucht.
Pakistans Anspruch auf Kaschmir wurzelt in der Überzeugung, dass die Region mit ihrer muslimischen Mehrheit zum Zeitpunkt der Teilung ein Teil Pakistans hätte werden sollen. Indien hingegen verweist auf das so genannte "Instrument of Accession" von 1947, in dem territoriale Fürsten ihren Beitritt erklären konnten und in dem sich der Maharadscha von Kaschmir für Indien aussprach.
Das legitimiere den endgültigen indischen Anspruch. Die Kontroverse darüber, was Gültigkeit haben sollte, führte zu mehreren Kriegen, Aufständen und jahrzehntelanger diplomatischer Feindseligkeit.
Wichtiges Puzzlestück in Chinas Händen
Während Indien und Pakistan das Narrativ zu Kaschmir dominieren, hält auch China ein strategisches Puzzlestück in der Hand. Der nordöstliche Teil der Region, bekannt als Aksai Chin, wird von der Volksrepublik verwaltet, aber weiterhin von Indien beansprucht. Das Gebiet ist wichtig für Peking - als Landverbindung zwischen Tibet und der westlichen Region Xinjiang.
China erlangte die Kontrolle über Aksai Chin in den 1950er Jahren, als es aus strategischen Gründen eine Straße zwischen Xinjiang und Tibet baute. Die Route führte durch das von Indien beanspruchtes Gebiet. Indien protestierte gegen die chinesische Präsenz in der Region und die Spannungen eskalierten in dem kurzen, aber intensiven Chinesisch-Indischen Krieg von 1962.
Seitdem behält China die Kontrolle über Aksai Chin. In den vergangenen Jahren hat Peking seine Militärpräsenz entlang der provisorischen Grenze ausgeweitet, was zu häufigen Zusammenstößen mit den indischen Streitkräften führte.
Die Region ist für China nicht nur strategisch, sondern auch wirtschaftlich wichtig. Der China-Pakistan Economic Corridor (CPEC), ein Eckpfeiler von Pekings "Belt and Road"-Initiative, verläuft durch das von Pakistan verwaltete Gilgit-Baltistan. Daher hat Peking ein wachsames Auge auf die Stabilität Kaschmirs.
Eine Region mit hoher Militärpräsenz
Schätzungsweise mehr als 750.000 Soldaten hat Indien in Jammu und Kaschmir stationiert - mit Konzentration der Einheiten im mehrheitlich muslimischen Kaschmirtal. In den von Pakistan verwalteten Regionen sollen etwa 150.000 Soldaten stehen, darunter auch Spezialeinheiten wie die so genannte Mudschaheddin-Truppe.
Die Gegner werfen sich gegenseitig vor, Einsatzkräfte in übertriebener Personalstärke einzusetzen. Keine der beiden Seiten veröffentlicht jedoch genaue Zahlen. Aus Sicht von Analysten konkurriert die militärische Dichte in der Region, insbesondere im Verhältnis zur Zivilbevölkerung, mit der auf der koreanischen Halbinsel.
Die Präsenz aufständischer Gruppen verschärft die Komplexität der Situation zusätzlich. Der bewaffnete Aufstand im von Indien verwalteten Kaschmir begann in den späten 1980er Jahren und speist sich aus einer Mischung lokaler Unzufriedenheit und externer Unterstützung. Seitdem haben islamische Gruppen wie die Hisbul Mudschaheddin, Jaish-e-Mohammed und Lashkar-e-Taiba immer wieder Anschläge in der Region verübt. Indien beschuldigt Pakistan, militante Gruppen zu unterstützen, Islamabad weist die Anschuldigung zurück.
Könnte der Anschlag eine neue Krise auslösen?
Als Reaktion auf den jüngsten Angriff hat Indien eine Reihe diplomatischer Maßnahmen gegen Pakistan ergriffen, darunter die Herabstufung der diplomatischen Beziehungen, die Schließung der Land- und Luftgrenzen - und erstmals überhaupt auch die Aussetzung des Indus-Wasservertrags von 1960, der die gemeinsame Nutzung von Wasser aus dem Indus-System regelt. Pakistan hat diesen Schritt verurteilt und gewarnt, jeden Eingriff in den Vertrag als Kriegshandlung anzusehen.
Die Spekulationen über mögliche militärische Reaktionen nehmen zu und wecken Erinnerungen an die Spannungen von 2019, als bei einem Selbstmordanschlag in Pulwama 40 Kämpfer indischer paramilitärischer Truppen getötet wurden. Indien reagierte mit Luftangriffen auf Pakistan und brachte die beiden Atommächte an den Rand eines Krieges.
Im selben Jahr hob Indien den Artikel 370 in seiner Verfassung auf und entzog damit Jammu und Kaschmir seinen besonderen Autonomiestatus. Der Schritt, der von Pakistan verurteilt wurde, löste Unruhen in der Region aus. Seitdem blieben die Spannungen auf hohem Niveau.
Die globale Aufmerksamkeit hat zwischenzeitlich nachgelassen. Das könnte sich aber ändern: In dieser instabilen Region, in der bereits mehrere Konflikte ausgefochten wurden, sind die Risiken eines weiteren Konflikts zwischen Atommächten gefährlich real.
Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand.