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Politik

Spiele mit den Grenzen

28. Februar 2017

Die Spannung zwischen den Balkanländern ist so groß wie lange nicht. In der Region spricht man offen von Grenzänderungen. Kriegsrhetorik wird laut. Die fehlende EU-Perspektive befeuert den neu erwachten Nationalismus.

Balkan Konflikte
Bild: DW/N. Rujevic

Jahrelang sah es so aus, als ob der Balkan die nationalistischen Geister der Vergangenheit endgültig los geworden sei. Die Konflikte schienen stillgelegt, die ehemaligen Feinde gaben einander die Hand und übten sich im Dialog, die Perspektive der europäischen Integration gab Hoffnung, und die EU war glücklich.

Nun brodelt es wieder auf dem Balkan, anscheinend so sehr, dass sich vor einigen Tagen die Verteidigungsminister zweier NATO-Mitglieder veranlasst fühlten, einen Brief an den NATO-Generalsekretär, Jens Stoltenberg zu senden. Die albanische Verteidigungsministerin Mimi Kodheli und ihr kroatischer Kollege Damir Krstičević betonen darin, dass Serbien mit seiner Politik die Sicherheit in der ganzen Region gefährden würde. Die "jüngsten Entwicklungen können auch die Sicherheit des Kosovo beeinflussen", so die beiden Minister.

Gemeint ist damit etwa der serbische Zug mit Beschriftungen "Kosovo ist Serbien", der von Belgrad nach Nordkosovo fahren sollte und erst kurz von der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo gestoppt wurde, oder der Bau einer - inzwischen wieder abgerissenen - Mauer durch die geteilte Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo. Vor allem wollte man aber auf eine neue, nationalistische Kriegsrhetorik der Politiker einiger Balkanländer aufmerksam machen.

Die Mauer in Mitrovica wurde abgerissen, die Teilung bleibtBild: Reuters/H. Reka

Unüberwundene Spannungen

Ist die Zeit der Versöhnung auf dem Balkan vorbei? Der Zündstoff des Nationalismus sei in der Region schon immer anwesend gewesen, aber "die Gefahren eines neuen Brandes wurden stets durch starkes Engagement von außen eingedämmt", sagt Nenad Zakošek, Politologe aus Zagreb und wissenschaftlicher Berater der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es sei die klare Perspektive der EU-Mitgliedschaft gewesen, die es möglich machte, Fortschritte in der ganzen Region zu erreichen, sagt er. "Nun entwickelt die Vertagung der Beitrittsmöglichkeit eine negative Dynamik. Die Enttäuschung der Bevölkerung von der EU wird immer mehr zum Problem", so Zakošek. Ein gutes Beispiel dafür sei Mazedonien: "Das Land erlebt regelrecht eine Regression, weil die Beitrittsperspektive vertagt wurde".

Die Europäische Union war in den letzten Jahrzehnten nicht nur ein Hoffnungsprojekt der Balkanländer. Aus Brüssel kamen stets auch mahnende Worte bei Verfehlungen in der demokratischen Entwicklung. Da die EU ihre Strahlkraft aber verliert, hat das eine negative Auswirkung auf Balkan. "Wir haben hier mit Ländern zu tun, die immer noch keine konsolidierte Demokratien sind und große ökonomische Probleme haben. Sie haben ihre alten Spannungen noch nicht überwunden. Und nun spüren die Leute die Unfähigkeit Brüssels, den Balkan zu konsolidieren", erklärt Burim Ramadani von "Security Policy Research Center" in Kosovo.

Ein Tabu wird gebrochen

Offiziell hat in Brüssel zwar niemand die Beitrittsperspektive der Balkanländer endgültig für tot erklärt, aber inzwischen ist allen klar, dass es auf absehbare Zeit keine neuen EU-Mitglieder geben wird. Brüssel hat zurzeit andere Sorgen, als den Fokus auf den Balkan zu richten. Wenn die Hoffnung auf eine baldige EU-Mitgliedschaft bröckelt, testen einige nationalistische Politiker ihre Grenzen - und zwar nicht nur die der Sprache. "Wir haben hier Kräfte, die nun  verstärkt die Grenzfragen stellen. Vor allem in Serbien, weil man dort mit dem Ausgang der Kriege unzufrieden ist, aber auch die Albaner, etwa in Mazedonien, stellen solche Fragen", sagt Nenad Zakošek. Damit stelle man aber nicht nur die Integrität von Bosnien-Herzegowina infrage, sondern auch die territoriale Integrität Kosovos und Mazedoniens. "So haben wir mindestens drei Staaten in der Region, wo die Grenzen nicht mehr sicher sind", sagt Zagreber Politologe.

Lange Zeit waren die Grenzänderungen ein Tabuthema auf dem Balkan. Nun drohen aber einige Balkanpolitiker offen mit der Spaltung einzelner Gebiete, und mit ihrem Anschluss an die sogenannten Mutterländer. Stefan Lehne von der Stiftung "Carnegie Europe" aus Brüssel sieht in diesen Entwicklungen Auswirkungen der weltpolitischen Veränderungen auf dem Balkan. "Die Wahl Trumps und die vielfältigen Krisen der EU haben auf dem Balkan bei vielen Verunsicherung geschaffen, bei manchen aber auch die Hoffnung geweckt, man könnte alte schon verloren geglaubte nationalistische Anliegen wiederbeleben", sagt Lehne.

Rückzug der Amerikaner aus dem Balkan?

Eine neue Ära der Geopolitik aber könnte zur Kriegsgefahr für den Balkan werden,  fürchtet Nenad Zakošek. "Wenn wir mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump einen Rückzug der Amerikaner erleben und die EU nur mit sich beschäftigt ist, dann wird der Balkan sich selbst überlassen. Die aktuellen Tendenzen könnten verstärkt werden." Man solle nicht vergessen, dass andere Akteure wie Russland dazu kommen würden. Es handele sich da um ein voll ausgebildetes autoritäres System, und Moskau würde sich die Partner suchen, die dazu passen. "Es gibt auf lokaler Ebene Kräfte, die sich nicht davor scheuen, Grenzen eventuell mit Gewalt zu ändern. Und wenn sie Unterstützung von außen bekommen, in Form von Waffen, oder diplomatischer Unterstützung, dann könnten die vielen offenen Fragen in einem bewaffneten Konflikt enden", warnt Zakošek. "Nehmen wir den Konflikt zwischen Kosovo und Serbien, oder in Bosnien Herzegowina - hier spricht man schon von der Gefahr eines Krieges."

Das Gespenst des Krieges geht auf dem Balkan umBild: Getty Images/M. Di Lauro

An einen Rückzug der Amerikaner aus dem Balkan, glaubt Stefan Lehne nicht. Es sei zu erwarten, dass die USA ihre bisherige Politik auf dem Balkan fortsetzen werden. Er kennt die Stimmen, die für eine territoriale Neuorganisation auf dem Balkan sprechen, betont aber, dass das kein Thema für die neue Trump Administration sein wird. "Sie haben andere Sorgen. Eine neue Politik der Grenzänderungen verlangt nach einem außergewöhnlich intensiven Engagement. Das erwartet man jetzt nicht", sagt Lehne. Er sehe die Gefahr der Eskalation eher in der Spirale der Provokationen und Gegenprovokationen von den rückwärts gewandten Geistern auf dem Balkan. "Vernünftige Politiker, Parteien und die Zivilgesellschaft müssen solche Entwicklungen daher rasch und konsequent verurteilen", meint Lehne. Sie hätten sicher die breite Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. "Gerade jetzt wäre auch der richtige Zeitpunkt, um weitere sichtbare Schritte in Richtung Versöhnung und Verständigung über ethnische und nationale Grenzen hinweg zu gehen". Ohne die helfende Hand aus der EU und der USA wird das aber kaum möglich sein - das ist auf dem Balkan eine Binsenwahrheit.

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