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Gamescom: Stärken und Schwächen der Branche

Benjamin Bathke pr
25. August 2017

"Einfach zusammen spielen" war das Motto der Gamescom 2017 und Multiplayer-Spiele schwer angesagt. Doch trotz vieler aufregender Trends zeigte die weltgrößte digitale Spielemesse auch einige Schwächen der Branche.

Deutschland Gamescom 2017 in Köln
Bild: Reuters/W. Rattay

Die Computer- und Videospiel-Industrie hat ihr Nischendasein schon lange hinter sich gelassen. Mehr als eine Milliarde Menschen spielen laut Studien regelmäßig und treiben die Einnahmen der Branche rasant nach oben. Gaming ist mittlerweile mehr als schlichte Unterhaltung - es ist zu einem Massenmarkt geworden.

Der kulturelle und ökonomische Wert des Gaming wird zunehmend anerkannt, auch weil verschiedene Industriebereiche von ihren Innovationen profitiert, von der Automobilbranche bis zur Rüstungs- und Raumfahrtindustrie. Die Massenbewegung eSports füllt ganze Stadien und lockt Spieler mit beträchtlichen Gewinnen. Einen Ritterschlag wird es möglicherweise 2024 für das Gaming geben, wenn es als mögliche Medaillen-Disziplin bei den Olympischen Spielen vertreten sein könnte.

Der Aufstieg der Gaming-Branche ist nirgendwo so greifbar wie auf der Gamescom, der weltgrößten Messe für Computer- und Videospiele. Es ist das neunte Mal, dass das Branchentreffen in Köln stattfindet und jedes Jahr drängen sich mehr Menschen durch die Hallen. Im vergangenen Jahr waren 345.000 Interessierte auf der Messe, um Spiele zu testen, Cos-Player zu treffen und sich über die Branche auszutauschen. Dieses Jahr sollen es noch mehr werden.

Innovationen und Neuveröffentlichungen spielen bei Events dieser Art natürlich eine große Rolle, und es gibt noch andere Gründe für die Gaming-Branche, sich zu feiern. Diversität gehört allerdings nicht dazu.

Wenig Aufmerksamkeit für Entwicklerinnen

Am Montag strömten tausende Spieleenthusiasten in die Messehallen. Die langersehnte Fortsetzung des Spiels "Age of Empires" zog die Menschen mindestens ebenso an wie die Möglichkeit, einen Blick auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu erhaschen. Dagegen blieben die Besucherinnen des "Woman in Tech Day" eher unter sich. Ein paar Dutzend Frauen besuchten die Veranstaltung - und nur ein Mann ließ sich dort blicken.Die deutsche Spieleforscherin Sabine Hahn glaubt, dass zu wenig Werbung für die Veranstaltung gemacht wurde. Und man muss ihr recht geben: Während andere Events und Veröffentlichungen von Games breit beworben wurden, schaffte der "Woman in Tech Day" es nicht mal in den offiziellen Messeführer.

Die Veranstaltung fand in einem abgetrennten Bereich statt und wurde von Kate Edwards moderiert, der früheren Direktorin der International Game Developers Association (IGDA). Auf dem Treffen wurden verschiedene Kernthemen der Diversität angesprochen.

Unter den Entwicklern sind Frauen noch selten - unter den Spielerinnen dafür nichtBild: Imago/Manngold

Sabine Hahn machte auf die mangelnde Repräsentation von Frauen in der Branche aufmerksam. Nur ein Viertel der Entwickler ist weiblich, die Frauen verdienen im Schnitt 20 bis 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, und in leitenden Positionen sind sie kaum zu finden, so Hahn.

Die Vortragenden waren sich einig, dass sich die Branche nicht ausreichend um Diversität bemüht. Werden Firmen doch mal aktiv, täten sie dies oft eher aus politischen Gründen als aus Überzeugung.

Dabei gäbe es auch wirtschaftliche Gründe für einen höheren Frauenanteil. Hahn zitierte eine Studie von 2004, laut der besonders erfolgreiche Unternehmen auch mehr Frauen in Führungsposten haben.

Retro Spiele: Zurück zu den Anfängen

Während weibliche Entwickler noch darauf warten, ebenso anerkannt zu werden wie ihre männlichen Kollegen, sieht die Situation unter den Spielekonsumenten schon viel besser aus. Gaming hat Menschen schon immer zusammen gebracht. Soziale Aspekte sind für eine wachsende Anzahl der Grund, sich wieder alten Spielen auf der Konsole zu widmen.

"Jump&Run-Spiele oder Autorennen gibt es seit 40 Jahren," sagt René Meyer, ein Retrospiel-Liebhaber aus Dresden. "Sie machen immer noch genauso viel Spaß wie früher."

Spiele-Journalist und Konsolen-Sammler René Meyer vor Poly Play, dem einzigen Arcade-Automat der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)Bild: DW/B. Bathke

Für die meisten dieser Spiele braucht es mindestens zwei Spieler (und zwar im selben Raum). Ohne künstliche Intelligenz treten die Spieler direkt gegeneinander an, nicht gegen Bots oder Computer.

"Jede Konsole, die seit den 1970ern veröffentlicht wurde, wurde mit mindestens zwei Controllern ausgeliefert", sagt Meyer, der in Ostdeutschland aufgewachsen ist und seit der deutschen Wiedervereinigung über Games schreibt.

Zusammen mit etwa 300 Organisatoren betreibt Meyer die Retro-Ausstellung auf der Gamescom. Mit mehr als 40 Ausstellern ist der museumsähnliche Bereich sogar größer als die eSports Arena.

Manche Spielestudios bringen sogar wieder alte Konsolen heraus. Nintendo hat vergangenen November seine Kultkonsole Nintendo Entertainment System mit 30 vorinstallierten Spielen neu aufgelegt - drei Jahrzehnte nach der ersten Veröffentlichung. 

Entwickler brauchen vielfältige Fähigkeiten

Talentierte Entwickler in der Spielebranche werden oft von Schwergewichten aus anderen Branchen abgeworben. Bei deren Angeboten können die meisten Spielefirmen einfach nicht mithalten.

"Die deutsche Gaming-Branche hat keinen Mangel an Talenten", sagt Christof Rezk-Salama, Professor an der Fachhochschule Trier. "Doch oft können Spielehersteller die Gehaltsvorstellungen junger Entwickler nicht erfüllen. Die können ihre Fähigkeiten aber auch in Branchen einbringen, die mehr Geld versprechen, in der Auto- oder Medizinindustrie, im Bildungsbereich, bei Medien und so weiter."

Christopher Kassulke, CEO der Würzburger Spieleschmiede HandyGames, auf der GamescomBild: DW/B. Bathke

Christopher Kassulke weiß, wie es ist, seine Mitarbeiter an Unternehmen aus anderen Industriezweigen zu verlieren: "Vor fünf Jahren haben wir etwa zehn Prozent unserer Mitarbeiter an Firmen wie SAP oder BMW verloren - jedes Jahr", sagt Kassulke, der 2000 ein bayerisches Gamestudio mitgegründet hat. "Deshalb investieren wir heute nur noch in Leute, die wirklich für Spiele brennen."

Der Ruf nach mehr staatlicher Unterstützung war schon vor der offiziellen Eröffnung der Gamescom deutlich zu vernehmen. Deutschland ist weltweit immerhin der fünftgrößte Markt für Spiele. Doch in Deutschland produzierte Spiele machen nur sechs Prozent des heimischen Marktes aus.

Kanada ist in diesem Jahr Partnerland der Gamescom. Wenn die deutsche Spieleindustrie gegen die kanadische antreten müsste, hätten die Deutschen keine Chance.

Kanada spielt in einer anderen Liga

Kanada hat zwar weniger als halb so viele Einwohner wie Deutschland (35 Millionen), doch seine Spieleindustrie gilt als drittgrößte der Welt, mit 400 Entwicklerstudios und etwa 20.000 Vollzeitbeschäftigten. Nur die USA und Japan haben mehr zu bieten.

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Deutschland kann dagegen lediglich 8000 Entwickler aufbieten, so der Stand von 2015. Der Erfolg der kanadischen Spieleindustrie wird oft den Steuervorteilen und anderen öffentlichen Zuschüssen zugeschrieben. In Deutschland machen öffentliche Gelder nur 2,6 Prozent der Finanzaustattung der Gamingindustrie aus.

In der kanadischen Provinz Ontario stehen öffentliche Gelder dagegen für 32 Prozent der finanziellen Mittel der dortigen Gamingindustrie, so eine Studie der Hamburg Media School. Kanadische Spielefirmen können sich rund 30 Prozent der Lohnkosten mit der Steuererklärung erstatten lassen.

 

Der CEO von KoolHaus Games aus Vancouver, Wolfgang Hamann, hält die Bedeutung von Steuererleichterungen in Kanada dagegen für überbewertet, zumal sie von Provinz zu Provinz stark variieren. KoolHaus ist in British Columbia ansässig und bekommt die Hälfte von dem, was Unternehmen in Ontario bekommen würden, sagt er.

Von Kanada lernen

Für Hamann, der in Deutschland geboren wurde, ist der Erfolg der kanadischen Spieleindustrie vor allem auf die dortige "weltklasse Ausbildung und Bildungsinfrastruktur" zurückzuführen.

Wie bei einem erfolgreichen Spiel mussten verschiedene Faktoren zusammentreffen, um Kanada zu einem kleinen Paradies der Gamingindustrie zu machen. Eine industriefreundliche Umgebung, flexible Einkommen, niedrige Produktionskosten und Freihandelsabkommen mit den USA und Europa sowie die gut ausgebildeten Arbeitskräfte - all das hat zum Erfolg beigetragen.

Natürlich würden auch Kanadier von Zeit zu Zeit von Studios in den USA übernommen. Viele von ihnen kehrten später aber wieder in die Heimat zurück, sagt Hamann. Ähnlich läuft es bereits in Deutschland.

Ältere Entwickler kehren zu Spieleschmieden zurück, nachdem sie Jahre bei größeren Unternehmen gearbeitet haben, sagt der CEO von HandyGames, Christopher Kassulke. "Obwohl sie bei großen Firmen gutes Geld verdienen, sagen viele von ihnen nach einer Weile: Ich hab genug von großen Unternehmen und will jetzt was wirklich Neues erschaffen."