Spielerische Sozialisierung
5. August 2013 Die Automotoren jaulen auf, ein Straßenbohrer knattert, und immer wieder ist das Klingeln einer Straßenbahn zu hören. In den Straßenlärm mischen sich Geräusche von Bällen, die auf den Asphalt titschen oder gegen einen Metallzaun knallen. Jugendliche rufen sich laut Kommandos zu. Mitten in einem belebten Wohnviertel, einem der sozialen Brennpunkte der Stadt, ist der Streetball-Platz von Köln-Mülheim.
"Das hier ist eine echt coole Basketball-Gemeinschaft", sagt Peter und meint damit das Training beim Verein "Körbe für Köln". Seit einem Jahr ist der 24-Jährige, dessen Vater aus Ghana kommt, dabei. "Das war mein alter Arbeitsweg. Ich habe hier immer Leute spielen sehen und habe gedacht, warum nicht? Das ist nah an meiner Wohnung." Zweimal pro Woche bietet der Verein in mehreren Stadtteilen Kölns Kindern und Jugendlichen an, mit einem Teamleiter, "Teamer" genannt, Basketball zu spielen. Kostenlos und ohne Mitgliedschaft, erklärt die Projektleiterin Dr. Sascha Luetkens.
Vertrauen schaffen
"Sportsozialisation ist in Deutschland eine Angelegenheit der Mittelschicht. Bildungsferne Jugendliche oder Kinder mit Migrationshintergrund haben andere Kulturen und Rahmenbedingungen. Für sie ist die Hemmschwelle zu hoch, in einen Sportverein zu gehen. Sie trauen sich nicht oder es ist ihnen zu teuer." Beim Street-Basketball kann jeder mitmachen, die Stimmung ist locker und gelöst. Es geht darum, Spaß zu haben.
Ziel des Vereins sei es, vor allem bildungsarme Jugendliche anzusprechen, so Sascha Luetkens: "Lehrer und Sozialarbeiter sagen oft, sie kämen an diese Zielgruppe nicht ran." Über den Sport bekäme man dagegen oft und schnell einen Zugang und eine Vertrauensbasis. "Die Kids öffnen sich meistens unseren Teamern, egal ob sie private oder berufliche Probleme haben." Der Teamer von Köln-Mülheim heißt Stefan Krogull, Spitzname: "Jackson". Er hat als Kind und Jugendlicher selbst mitgespielt. Seit elf Jahren leitet er das Training, für das er nicht mehr als ein Taschengeld bekommt, und gibt den jungen Leuten das weiter, was er selbst hier mal gelernt hat: "Das Wichtigste ist, dass alle respektvoll miteinander umgehen, dass es keine Streitereien gibt und alle einen vernünftigen Umgangston pflegen", betont er. "Hier soll sich keiner beleidigt oder ausgegrenzt fühlen."
Die Spieler regeln das selbst
Das Training beginnt - anders als in einem regulären Verein - nicht mit Laufeinheiten. Erst mal tauscht man sich aus, macht ein paar Wurfübungen, dann wird gespielt. Die Jugendlichen stellen selbst ihre Teams zusammen; so erkennen sie, dass in eine Gruppe gute und weniger gute Spieler gehören, damit das Match ausgeglichen ist und Spaß macht. Zudem wird ohne Schiedsrichter gespielt. Die Jugendlichen sollen selbst entscheiden, wer Fouls ansagt. So lernen sie, dass Regeln in einer Gemeinschaft notwendig sind und anerkannt werden müssen.
Wenn es doch mal unterschiedliche Meinungen gibt, haben sich die Spieler auf eine besondere Art der Kommunikation geeinigt. "Es gibt den sogenannten 'Trash talk', das nennt man so im Basketball", erzählt Peter. "Das bedeutet, jemanden runterzumachen ohne ihn zu beleidigen." Fast alle Kids und Jugendliche haben Probleme in der Schule und im sozialen Umfeld - Trouble halt, wie Peter es nennt. "Ich habe in meinem Leben einige Sachen nicht auf die Reihe gekriegt. Leute wie Jackson haben mir dann in den Hintern getreten und gesagt: Du musst das machen, sonst wird es irgendwann richtig mies."
Vorbilder suchen
"Das" heißt in diesem Fall: einen Schulabschluss. Der sei wichtig, um sich nicht frühzeitig im Leben seine Chancen zu verbauen, weiß Stefan Krogull. Und er erzählt stolz von Durak, einem 15-jährigen Serben, der in der Schule große Probleme hatte, weil er kaum Deutsch sprach und sich nur für Sport interessierte. "Der Vorteil hier beim Basketball ist, dass wir auch einige Leute haben, die gut in der Schule sind oder studieren. Die dienen oft als Vorbild, so dass ich sagen kann: Guck dir mal Kevin oder Artur an, die studieren - du kannst das auch schaffen."
Bei Durak und Peter hat das offensichtlich Eindruck gemacht: "Die Schule ist sehr wichtig, denn wenn man keinen Abschluss hat, ist das nicht gut. Deswegen kommt die Schule vor dem Basketball", sagt Durak. Und Peter besucht auf Drängen von Jackson die Abendschule: "Jetzt mache ich mein Fachabitur, und später will ich vielleicht Sozialwissenschaften studieren."
Am Ball bleiben, weitermachen, selbst wenn es mal nicht so gut läuft - auch diese Eigenschaften lernen die Basketball-Kids auf dem Streetball-Platz. Der Teamer lebt es vor, das Training findet immer statt: in den Ferien, bei Regen, Schnee oder großer Hitze. So können die Jugendlichen lernen, dass Regelmäßigkeit etwas Positives ist und zu Erfolg und Selbstbewusstsein führen kann. "Du lernst immer weiter und wirst immer besser", meint Peter. Sich Ziele zu setzen und zu erreichen, was dich anspornt - dafür ist der Streetball-Platz das perfekte Umfeld."