Sportpsychologe: "Rituale einhalten"
12. April 2017Deutsche Welle: Kurz vor dem Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco sind am Dienstagabend drei Sprengsätze in der Nähe des Mannschaftsbusses des BVB explodiert. Man kann nur vermuten, wie es zurzeit in den Spielern aussieht. Wie kann denn eine psychologische Betreuung der Spieler aussehen?
Jens Kleinert: Letztendlich ist das von Spieler zu Spieler extrem unterschiedlich. Die einen verdrängen es, die anderen wollen darüber reden. Mannschaftsführung und Betreuer können sportpsychologische Hilfe anbieten, wenn Schwierigkeiten bestehen. Die erkennt man zum Beispiel daran, dass der Spieler sehr verwirrt wirkt, sich nicht konzentrieren kann - oder eben selbst um Hilfe bittet. Soweit ich weiß, hat Dortmund Kontaktleute oder sogar einen eigenen Sportpsychologen, der mit ihnen zusammenarbeitet.
Ansonsten ist es wichtig, dass "business as usual" abläuft. Das heißt: Die Routinen und Rituale, die typisch sind vor einem Spiel - auch wenn es jetzt verschoben wurde - werden eingehalten, der Tag verläuft auf die gleiche Art und Weise wie sonst auch.
Warum ist das so wichtig?
Gerade in so einer Situation muss Sicherheit da sein. Sicherheit heißt immer, dass ich Gewohntes erlebe, mich an normalen Abläufen festhalten kann. Das führt gerade in außergewöhnlichen Zeiten dazu, dass eine gewisse Entspannung einkehrt. Wenn plötzlich vieles anders wäre, würde das noch mehr Unruhe in die Psyche hineinbringen. Insofern versucht man möglichst viel zu ritualisieren. Trotzdem werden sicherlich bei einigen Spielern die Bilder vom gestrigen Ereignis hochkommen - gerade wenn sie mal Zeit haben, nachzudenken.
Aus sportpsychologischer Sicht: Wie kann man denn die Leute innerhalb von 24 Stunden wieder fit machen für ein Spiel?
Es findet sicherlich keine Bewältigung dieses Erlebnisses in 24 Stunden statt. Das funktioniert nicht. Die Bewältigung wird auch danach noch stattfinden, der eine oder andere Spieler könnte zum Beispiel Schlafprobleme in den kommenden Tagen und Wochen bekommen. Man kann jetzt nur versuchen, die Konzentration auf die wichtigen Punkte lenken: Worum geht es in dem Spiel? Was wollen wir für eine Taktik spielen? Was ist wichtig - bezogen auf den Gegner? Man muss also das Sportliche in den Vordergrund rücken und hoffen, dass dadurch die emotionale Beanspruchung ein Stück weit in den Hintergrund gerät.
Unterbewusst wird diese Emotionalität und Unsicherheit vermutlich dennoch da sein. Eventuell wird das heutige Spiel weniger aggressiv ablaufen als ein anderes Champions League Spiel, weil im Hinterkopf eine unterbewusste Bremse agiert.
Rechnen Sie denn mittelfristig mit Folgen für die Spieler?
Normalerweise sind die psychischen Selbstheilungskräfte von Menschen sehr stark. Das heißt: Bei einem schlimmen Ereignis wenden Menschen Techniken an, die sie sich angewöhnt haben - sei es, dass sie mit anderen reden oder sich ablenken. Aber das können nicht unbedingt alle. Da muss man in nächster Zeit aufmerksam sein, ob es Spieler gibt, die sich auch über längere Zeit sehr zurückziehen, sich im Training anders geben als sonst. Es ist wichtig, dass man in solchen Fällen eine sportpsychologische oder klinisch-psychologische Beratung anbietet.
Das ist sicherlich ein schlimmes Ereignis für jeden: Aber wo liegt denn nun der Unterschied zwischen Spitzensportlern und anderen Menschen, wenn es darum geht, so etwas zu verarbeiten?
Von den psychologischen Mechanismen her gibt es überhaupt keinen Unterschied. Der Profispieler hat keine großen Vor- oder Nachteile, wenn es darum geht, sich mit schlimmen Ereignissen auseinanderzusetzen. Aber was er vielleicht ein etwas besser beherrscht: Das ist die Fähigkeit sich zu konzentrieren - trotz der Probleme, die er vielleicht mit sich herumträgt. Das haben sie sicherlich eher drauf als ein Otto Normalverbraucher.
Gibt es denn in dem Schrecklichen auch etwas Positives?
Ja, das könnte man so sehen. Das ist auch eine Form der Bewältigungsstrategie: Menschen versuchen auch, bei schlimmen Ereignissen das Beste für sich herauszuziehen und die Situation umzubewerten. Eine Umbewertung wäre hier, dass die beiden gegnerischen Mannschaften und ihre Fans zusammenrücken. Und dass es in dem Spiel nicht mehr darum geht, sich gegenseitig zu bekämpfen, sondern zusammen zu zeigen, dass der Sport im Vordergrund steht und man sich verbunden fühlt. Das ist natürlich etwas Positives, auch wenn das in der Situation auch etwas ironisch klingt. Aber wenn zum Beispiel den gegnerischen Fans Übernachtungsmöglichkeiten angeboten werden - dann sind das alles Dinge, die auch wieder etwas Schönes beinhalten.
Jens Kleinert ist Professor am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln.
Das Gespräch führte Stephanie Höppner.