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Literatur

Sprache in Diktaturen

Sabine Peschel
12. November 2016

Die Literaturnobelpreisträgerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch trafen beim Münchner Literaturfest erstmals aufeinander und diskutierten über Sprache, Propaganda und das Schweigen in Zeiten der Unfreiheit.

Deutschland Frankfurt Schriftstellerin Herta Müller
Bild: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Es ist ein bedrückendes globales Phänomen: Wie verlogen, verfälscht und heruntergekommen Sprache heute oft ist, und wie sie für die Ziele von Populisten und Autokraten instrumentalisiert wird, lässt sich beileibe nicht nur in den USA beobachten. Sich diesem Trend entgegenzustellen, wird in Zeiten von manipulativen Webseiten, Internet-Trollen und Medienunternehmen immer schwieriger. Das Autorenforum beim Münchner Literaturfest unternimmt trotzdem den Versuch. Es hat dafür die beiden Literaturnobelpreisträgerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch zu einem Gespräch über "Sprache und Poesie in Diktaturen" zusammengebracht.

Selten werden Planungskonzepte so lebendig mit Wirklichkeit erfüllt wie bei diesem Gipfeltreffen. "ein wort gibt das andere", diesen programmatischen Titel hat Elke Schmitter dem von ihr verantworteten Autorenforum gegeben, und in der Tat erleben die Zuhörer in der bis auf den letzten Platz besetzten Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität am Freitgabend (11.11.2016) ein Gespräch, das zu einem Austausch auf höchstem Niveau wird. Wahrhaftigkeit und Präzision in der Sprache, darum geht es beiden Autorinnen. Die Suche danach ist ihren Werken gemein.

Swetlana Alexijewitsch gibt Menschen eine Stimme

Nobelpreisträgerinnen Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch beim Literaturfest MünchenBild: Eugen Altelch

Die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch hat in ihren Büchern beschrieben, was mit Sprache in Diktaturen passiert. In Werken wie "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht", "Tschernobyl - Eine Chronik der Zukunft" oder "Secondhand-Zeit" protokollierte sie ihre Gespräche mit Menschen in der Sowjetunion, mit ehemaligen Rotarmistinnen, mit Afghanistanheimkehrern und mit gewöhnlichen Bürgern, die sich bis heute in den Trümmern des Sozialismus verirren. Sie führte Interviews und verdichtete diese zu emotionalen Collagen des tagtäglichen Lebens. "Es geht um die Stimmen der Menschen und um Details. Ich versuche, aus solchen Gesprächen den Geist der Zeit einzufangen. Nur so kann ich das Bild der Vergangenheit vervollständigen", erklärte Alexijewitsch 2014 im Interview. Für ihr "vielstimmiges Werk" wurde sie im vorigen Jahr mit dem Literaturnobelpreis geehrt.

Herta Müller schafft Sprachbewusstsein

Herta Müller wuchs als Banat-Schwäbin in Nicolae Ceaușescus Rumänien auf. "In einem der brutalsten Polizeistaaten, die man sich vorstellen kann", erinnert Moderator Jens Bisky. In ihrem Buch "Niederungen" schrieb sie über die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen der Geheimpolizei Securitate. 1987 reiste sie nach Westberlin aus und entfaltete eine große Produktivität als Autorin. 2003 veröffentlichte sie Essays und Vorträge unter dem Titel "Der König verneigt sich und tötet". Darin entwirft sie das Bild einer Lebenserfahrung unter absoluter Herrschaft. Auch bei diesen Erinnerungen an ihre von Schrecken erfüllte Kindheit als Mitglied der deutschen Minderheit in Rumänien stellt Herta Müller die Frage nach dem Sprachbewusstsein. "Atemschaukel", ihr großes Buch über die Deportation und die Schrecken der stalinistischen Arbeitslager, erschien 2009, im selben Jahr, in dem sie den Literaturnobelpreis erhielt.

"Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders", Herta Müller reflektiert anhand dieser rumänischen Redensart über die Schönheit von Sprache. Ihre Überlegungen hat sie in dem Gesprächsband "Mein Vaterland war ein Apfelkern" niedergeschrieben. "Für uns in der Diktatur war das Ungesagte, das Ungefähre überall präsent. Weil das Verschweigen, Verdrehen, Umstülpen, Inszenieren, Instrumentalisieren, Pervertieren zum gewöhnlichen, bis zum Überdruss bekannten Werkzeug des Regimes gehörte." Wenn die offizielle Sprache nur "leeres Blech", alles Persönliche gar nicht mehr vorhanden sei, werde Sprache zur Ideologie, die alles zerstöre. "Formulieren und Drangsalieren gingen ineinander über."

Sprechen und Schreiben gegen die Angst

Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch nach der VeranstaltungBild: Eugen Altelch

Die Nobelpreisträgerin erinnert sich an ihre Verhöre durch die Securitate, für die sie sich immer herausputze. Geschminkt und gut gekleidet, versuchte sie die Angst durch Trotz und Ästhetik zu zähmen.  Es trug ihr die "poetische Todesdrohung" eines der Verhörenden ein: "Wer sich sauber anzieht, kann nicht dreckig in den Himmel kommen." Nur das Schreiben, die Literatur, helfe, die Angst zu überwinden und eine eigene Stimme zu gewinnen. "Ich kann nicht so sprechen, wie ich schreibe."

Sprechen, Verschweigen, Lügen, die Wahrheit sagen - es gibt viele Arten, Sprache anzuwenden. "Das Schweigen war als Kind die Hauptsache", erzählt Herta Müller. Viele Menschen waren im Gefängnis oder im Lager, und wenn sie von dort zurückkehrten, durften sie nicht darüber sprechen. "Das Schweigen war ein Diktat." Auch Herta Müllers Mutter respektierte diesen Befehl und sprach nur in rätselhaften Sätzen von ihren Erfahrungen. Es waren Sätze wie "Wind ist kälter als Schnee" oder "Eine warme Kartoffel ist wie ein warmes Bett". Das Schweigen war durch die Angst zur Gewohnheit geworden. "Je heftiger das Gefühl ist, umso kürzer ist der Satz", bringt es die Autorin auf eine Formel.

"Die Erinnerung bringt manche Menschen um"

Als Chronistin menschlichen Leids hat es sich Swetlana Alexijewitsch zur Aufgabe gemacht, Menschen eine Stimme zu geben. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe es ein großes Bedürfnis gegeben, über den Krieg zu sprechen. "Alles, was ich las, selbst Dostojewski, war nicht so stark wie diese ungeschliffenen Stimmen", erzählt die 68-Jährige. Für die Männer sei der Krieg etwas ganz Normales gewesen, die Frauen sprachen von einem Unglück. Doch auch in den Gesprächen, die Alexijewitsch geführt hat, wurde das Lager einfach ausgeblendet. "Schweigen kann auch schützen", vermutet Herta Müller. "Die Erinnerung bringt manche Menschen um."

"Wie bringt man Menschen dazu, über Dinge zu sprechen, die sie wirklich angehen?", fragt Jens Bisky. Swetlana Alexijewitsch hat eine Antwort: "Dafür muss man ein guter Mensch sein, so dass der Andere einen ranlassen kann. Das verlangt einem Schriftsteller einiges ab. Denn diese Menschen sind verängstigt, verschüchtert und vorsichtig - vor ihren eigenen Erinnerungen."

Sprache ist mehr als einzelne Wörter

Nicht nur Erinnerungen, auch der Blick in die Zukunft kann beängstigend sein. "Sprache, das sind nicht nur die Wörter, sondern das, was hinter den Wörtern ist, die Aura", sagt Herta Müller und schlägt den Bogen zur Gegenwart. "Sprache entsteht nicht durch sich, sondern durch Realität. Ich fürchte mich vor manchen Sachen, weil ich nicht weiß, ob man das zurückdrehen kann. Russland ist nur noch eine von Propaganda und Ideologie erfundene Realität, wenn man die gleichgeschalteten Medien anschaut. Auch die Türkei - wir können immer mehr Länder aufzählen. Das ist ein Unglück."

Es sind Autorinnen wie Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch, die mit ihrer Sprache versuchen, ein solches Unglück zu verhindern. Zwei Nobelpreisträgerinnen, die wahrhaftig schreiben und erzählen wollen und sich nicht von Diktatoren abschrecken lassen.

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