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Sprachenstreit in Estland

12. Februar 2002

- Neue estnische Bildungsministerin macht sich für russischsprachige Schulen stark

Tallinn, 7.-13.2.2002, THE BALTIC TIMES, engl.

Bildungsministerin Mailis Rand hat in ihrer ersten Rede nicht die Beherrschung der estnischen Sprache durch die Schüler in den Vordergrund der Aufgaben des Bildungswesens im Lande gestellt. In ihrer Ansprache im Bildungsministerium in Tartu sagte sie, das wichtigste Bildungsproblem in Estland sei nicht die Sprache, sondern die Anzahl der Schüler, die vorzeitig die weiterführenden Schulen verlassen. Über 1000 Schüler brechen jährlich wegen persönlicher oder familiärer Probleme die Schule ab. "Dadurch entgeht ihnen eine vernünftige Ausbildung, die es ihnen ermöglichen würde, weiterzukommen", erklärte sie.

Statistischen Angaben des Bildungsministeriums zufolge besuchen über fünf Prozent der Sechzehnjährigen keine Schule. Die Einführung staatlich subventionierter Internatsschulen wäre ihrer Meinung nach eine Lösung.

Die Bildungsdebatte konzentriert sich zum Teil immer noch auf das Für und Wider des Unterrichts russischsprachiger Schüler an russischen Schulen in russischer Sprache. Rand, die der Zentrumspartei angehört, sagte, die Debatte sei zu stark politisiert worden. Die Reformpartei und die Zentrumspartei werden gemäß der Koalitionsvereinbarung Maßnahmen ergreifen, um die staatlich finanzierten russischen weiterführenden Schulen auch nach dem Jahre 2007 beizubehalten. Die Parteien setzen sich aber auch zum Ziel, die Qualität des Estnisch-Unterrichts an den russischen Schulen zu verbessern. Würde an den russischen weiterführenden Schulen 2007 das Estnische als Unterrichtssprache eingeführt werden, dann, so Rand, würde die Qualität des Unterrichts leiden. "Stellen Sie sich vor, ein fünfzig- oder sechzigjähriger Chemielehrer würde versuchen, sein Fach in seinem dürftigen Estnisch zu unterrichten. Die Kinder würden dann weder etwas in Chemie noch die estnische Sprache lernen", erklärte sie.

Von den Änderungen, die 2007 greifen sollen, wären 241 weiterführende Schulen betroffen. In 167 von ihnen gilt Estnisch als Unterrichtssprache, in 63 Russisch und in elf beide Sprachen. Die Bildungsministerin sprach sich auch für einen gebührenfreien Unterricht an den weiterführenden Schulen aus und nannte dabei Skandinavien als Beispiel. "In Finnland genießen 60 Prozent der Oberschulabgänger kostenlosen Unterricht. In Estland sind es nur 30 Prozent. Wenn man den Rückgang der Geburtenrate berücksichtigt, dann müssen wir dafür sorgen, dass alle jungen Menschen so viel Bildung wie möglich erhalten", sagte Rand.

Seit den Präsidentschaftswahlen wird in den estnischen Medien dem Sprachenproblem größere Aufmerksamkeit gewidmet. Präsident Arnold Ruutel, der ehemalige Vorsitzende der Volksunion, einer linksgerichteten Partei, spricht fließend Russisch und will sogar seine nächste Neujahrsansprache im Fernsehen in Estnisch mit russischen Untertiteln senden lassen. Versprochen hat das Ruutel während seines Besuchs im Nordosten des Landes, wo es einen großen russischsprachigen Bevölkerungsanteil gibt.

Tonis Lukas, Bildungsminister in der letzten Regierung, sagte bei der Aufgabe seines Amtes, das Ansinnen der Zentrumspartei, nach 2007 den Unterricht in Russisch beizubehalten, sei überflüssig und ein Versprechen, das politische Hintergründe habe. Das Ziel seiner Mannschaft sei es gewesen, allen Schülern die gleichen Chancen zu geben, insbesondere im Hinblick auf die Sprache, damit alle russischen Schüler an jeder estnischen Universität studieren könnten. "Außerdem sind die russischsprachigen weiterführenden Schulen nahezu leer. Es ist schwierig, dort ein gutes Bildungsniveau aufrechtzuerhalten", behauptete er. (...) (TS)