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Sprengt Donald Trump die WTO?

12. Dezember 2024

Die Welthandelsorganisation ist angeschlagen, Handelspartner werden unter Druck gesetzt: Unter Donald Trump dürfte sich die Auflösung der regelbasierten Weltordnung beschleunigen. Was bedeutet das für kleinere Länder?

Präsident Donald Trump im Weißen Haus 2020
Schon in seiner ersten Amtszeit schockte Donald Trump seine Handelspartner weltweit Bild: Douliery Olivier/abaca/picture alliance

Multilaterale Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) stehen nicht gerade hoch im Kurs bei Donald Trump. Für ihn richten sie sich gegen US-Interessen und sind deshalb auch nicht mehr wichtig. "Er betrachtet die langwierige Suche nach Kompromissen in internationalen Organisationen als reine Zeitverschwendung", bringt es der ehemalige deutsche Botschafter in Peking, Michael Schaefer, im Gespräch mit der DW auf den Punkt.

Zwei komplett unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt kollidieren so heftig, dass die erste Amtszeit von Donald Trump für seine Handelspartner im Rückblick wie ein Spaziergang aussehen könnte.

Völlig unterschiedliche Sicht auf die Welt

"Ich glaube, wir haben hier eine völlig unterschiedliche Philosophie, wie internationale Gemeinschaft funktioniert. Europa ist das Paradebeispiel einer Gruppe von sehr heterogenen Staaten, die über viele Jahrhunderte in Konflikte und Kriege verwickelt waren", erklärt Schaefer.

Die Europäische Gemeinschaft sei gegründet worden, um diesen Teufelskreis aus Kriegen und Konflikten zu beenden. "Man hat ein Regelwerk mit gegenseitigen Verpflichtungen und Rechten gebaut, das nicht nur für die Europäer selbst, sondern auch für alle anderen Organisationen die Richtschnur ist", so Schaefer. Und das gelte für das Verhalten der Staaten im außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Bereich. Bei dem "Dealmaker" Trump sei das völlig anders.

"Seine 'America First'-Politik bedeutet, möglichst auf direktem Wege mit Handelspartnern Deals auszuhandeln, wo er durch die Stärke der USA die Oberhand hat."

In schwierigem Fahrwasser: WTO-Chefin Ngozi Okonjo-IwealaBild: Li Xin/dpa/picture alliance

Düstere Aussichten für kleinere Länder

Droht damit das Ende der internationalen Ordnung, wie wir sie kennen? Besonders für kleinere Länder des globalen Südens hätte das dramatische Folgen, sagt Heribert Dieter, Handelsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Interview mit der DW. Für den Ökonomen, der zurzeit am National Institute of Advanced Studies im indischen Bangalore lehrt, steht die Zukunft der multilateralen Weltordnung auf der Kippe.

"Wir gingen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion davon aus, dass es möglich ist, supranational Probleme zu lösen. Aber das ist im Zeitalter geopolitischer Blockbildung nicht mehr möglich", sagt Dieter.

"Die WTO ist in wirklich schwierigem Fahrwasser, sie ist ein Schatten ihrer selbst. Sie existiert zwar noch, aber es gibt noch nicht einmal mehr eine funktionierende Streitschlichtung. Insofern sind die Perspektiven für die multilaterale Handelsordnung  wirklich trübe und düster", resümiert der SWP-Experte.

Die Ökonomin Penny Goldberg von der US-Universität Yale gibt ihm recht: "Der Multilateralismus ist auf dem Rückzug, und die Welthandelsorganisation (WTO) befindet sich in einer Krise." 

Unbefestigte Straßen, wie hier in Ruanda, sind ein zentrales Hindernis für mehr Handel Bild: Vito Finocchiaro/ZUMAPRESS/picture alliance

Schreckens-Szenario: Zusammenbruch der WTO

Für Handelsexperten hätte eine Demontage der WTO auch spürbare Folgen für große Akteure. Allein die EU-Wirtschaft würde ein Zusammenbruch der WTO viermal härter treffen als US-Zölle. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO).

"In der Folge würde das reale BIP der EU um gut 0,5 Prozent sinken. Deutschland wäre stärker betroffen, die USA etwas weniger. Die größten Einbußen hätte jedoch China zu verkraften", heißt es in der Analyse, die kurz vor den US-Wahlen herauskam. "Sollte die Welt in geopolitische Blöcke unter Führung der USA bzw. Chinas zerfallen, wären die Verluste für die EU deutlich höher und für China noch größer. Im Extremfall könnte das reale BIP Chinas kurzfristig um etwa 6 Prozent und das Deutschlands um 3,2 Prozent sinken, während die USA weniger betroffen wären (-2,2 Prozent), schreiben die Forscher Julian Hinz und Gabriel Felbermayr.

Die EU ist mit mehr als 45 Abkommen der am stärksten vernetzte Wirtschaftsraum der Welt.

"Kleinere Länder kommen unter die Räder"

Aber wie schlimm wäre es für handelspolitisch wenig vernetzte Länder mit einem relativ kleinen BIP? Die Antwort fällt deutlich aus: Nicht gut!

"Am wichtigsten war die WTO für kleinere, weniger mächtige Länder, die auf das Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation angewiesen waren. Das hat über Jahre hinweg sehr gut funktioniert, aber wird von den USA torpediert. Man verweigert seit 2018 die Zustimmung zur Ernennung von neuen Richtern", so Dieter.

Mächtige Akteure wie die USA, China oder die Europäische Union könnten ihre Interessen auch ohne die Welthandelsorganisation durchsetzen.

"Die Kleineren kommen aber unter die Räder und müssen sich den oft zweifelhaften Forderungen der großen Länder beugen. Das ist ein Drama", beklagt Handelsexperte Dieter.

Penny Goldberg, die früher Chefvolkswirtin der Weltbankgruppe war, sieht ebenfalls kleinere Länder als Opfer der Auflösungserscheinungen der WTO: "Internationale Integration ist für kleine Volkswirtschaften besonders wichtig. Kleinere Länder verfügen nicht über große Binnenmärkte."

"Ohne Handel kein Rückgang der Armut"

Goldberg hat schon vor Monaten in einem Meinungsbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel" unterstrichen, wie wichtig eine regelbasierte internationale Handelsordnung für den globalen Süden ist. "Tatsächlich zeigen neuere Untersuchungen, dass die Armutsreduktion in den letzten drei Jahrzehnten eher in den Entwicklungsländern stattgefunden hat, die sich gut in das internationale Handelssystem integrieren konnten. Insofern hat das multilaterale Handelssystem den Entwicklungsländern tatsächlich Vorteile gebracht."

Große Volkswirtschaften im globalen Süden würden dagegen im Vertrauen auf die eigene Stärke immer selbstbewusster ihre eigenen Interessen verfolgen. "Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Widerstand gegen Handelsabkommen so oft von größeren Entwicklungsländern wie Indien, Indonesien und Brasilien ausgeht", so Goldberg.

Nachholbedarf in Afrika und Lateinamerika

Mit häufig weniger als 5 Handelsabkommen stehen viele Länder Afrikas schlecht da. Besonders arme und von Konflikten zerrüttete Länder wie der Süd-Sudan oder Burundi drohen den Anschluss zu verlieren. In Lateinamerika sind es Länder wie Venezuela, Ecuador und Bolivien, die wenig vernetzt sind. In Asien sind viele Länder das Nahen Ostens, Teile Zentralasiens und Afghanistan bei Handelsabkommen unterrepräsentiert. Das gleiche gilt für die rohstoffreiche Mongolei. 

Für den Handelsexperten Heribert Dieter deutet vieles auf ein Ende der regelbasierten Handelsordnung unter dem Dach der WTO hin. Es habe zwar seit ihrer Gründung 1995 eine Aufbruchstimmung für einen gerechteren Welthandel gegeben, aber das sei im Rückblick wohl nur eine kurze Ausnahmeperiode gewesen.

'America first' schon seit mehr als 25 Jahren?

Schon in den späten 1990er Jahren hätten die USA besonders beim Weltwährungsfonds (IWF) wieder stärker eigene Interessen verfolgt. Dieter verweist auf die "so genannten Rettungsaktionen des IWF" bei der Unterstützung überschuldeter Staaten. "Wenn sie sich diese 'Rettungsaktionen' des IWF in den späten 1990er Jahren anschauen, dann waren das keine. Das war US-Außenwirtschaftspolitik, die die Interessen der Nehmerländer nicht berücksichtigt hat." 

Schon unter Barack Obama begann die Blockade des Schiedsgerichts der WTOBild: Pablo M. Monsivais/picture alliance

Internationale Handelskooperation werde es weiter geben, allerdings viel kleinteiliger. "Das muss aber nicht unbedingt negativ sein. In kleineren Einheiten kann man in der Handelspolitik vielleicht sogar mehr erreichen als in der WTO, wo jedes Mitgliedsland ein Vetorecht hat", unterstreicht Dieter. "Das bedeutet nicht das Ende der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und schon gar nicht das Ende der Globalisierung."

Für die kleineren Länder des globalen Südens brechen dagegen schwierige Zeiten an. Sie müssen sich wie alle Handelspartner der USA in Zukunft "warm anziehen", bringt es Ex-Diplomat Michael Schaefer auf den Punkt.

 

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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