Wegen der Corona-Krise ruht auch der Reitsport. Zwar trainieren die Top-Reiter eingeschränkt weiter, aber die Turniere fehlen. Die Pferde werden daher anders trainiert. Auch für die Turnierausrichter ist vieles ungewiss.
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Christian Ahlmann kann momentan nichts anderes tun als abzuwarten. Zwar reitet der 45-jährige Springreiter seine Turnierpferde auf seinem Hof auch in der Corona-Zwangspause weiter, jedoch fallen bis auf weiteres die Turniere weg. Und das momentane Training hat nur sehr wenig mit dem zu tun, was Pferd und Reiter unter Wettkampfbedingungen im Parcours erarbeiten könnten. "Wir versuchen die Pferde im Moment weiter fit und in Kondition zu halten, aber das Sprung- und Parcourstraining, das speziell für die Turniere ansteht, fällt erst einmal weg", erzählt Ahlmann der DW am Telefon. "Und wenn in den nächsten drei bis fünf Monaten tatsächlich kein Turnier stattfindet, werden wir das Ganze auch noch weiter herunterschrauben müssen."
Ahlmann, derzeit Nummer zwölf der Weltrangliste, wollte sich eigentlich mit seinen Pferden Clintrexo, einem elfjährigen Hengst, und dem ein Jahr jüngeren Dominator in den kommenden Wochen und Monaten auf die Olympischen Spiele vorbereiten. Für Clintrexo und Dominator, genau wie für alle weiteren Turnierpferde, die Ahlmann reitet, gab es individuelle Trainings- und Wettkampfpläne. "Die Einsätze und das Training sollten so angepasst werden, dass die Pferde am Ende der Freiluft-Saison sozusagen auf 120 Prozent sind", sagt Ahlmann.
Doch wann es weitergehen kann, weiß momentan niemand, auch wenn nun feststeht, dass die Olympischen Spiele in Tokio am 23. Juli 2021 beginnen sollen. Doch hätte gerade der bei internationalen Turnieren noch unerfahrene Dominator eine komplette Saison mit Teilnahmen an Nationenpreisen oder beim CHIO in Aachen gut gebrauchen können. "Es geht nicht nur darum, dass Fitness und Kondition auf 100 Prozent sein müssen, sondern vor allem um die Abstimmung und das gegenseitige Kennenlernen in großen, schweren Parcours", sagt Ahlmann. "Dominator bräuchte wesentlich mehr Turniere, um jede Situation schon einmal durchgespielt und erlebt zu haben."
Becker: "Momentan herrscht Stillstand"
Auch für den Bundestrainer der Springreiter ist die Situation nicht einfach: "Die Planungen sind seit Monaten und Jahren auf die Olympischen Spiele in Tokio ausgerichtet gewesen. Das war das Hauptziel, auf das alle hingearbeitet haben - und im Moment ist Stillstand", sagt Otto Becker der DW. Mit Christian Ahlmann und seinen anderen Athleten steht er derzeit nur telefonisch in Kontakt. Langfristig planen könne man derzeit ohnehin nicht. "Es ist ja nicht absehbar, wie lange dieser Zustand noch anhält", so Becker. "Aber wenigstens haben wir jetzt Klarheit über die größeren Events, die diesen Sommer hätten stattfinden sollen."
Für diese Klarheit hat neben dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) mit der Olympia-Absage auch die Aachener Reitturnier GmbH gesorgt. Der CHIO in Aachen [CHIO = Concours Hippique International Officiel, Anm.d.Red.], das offizielle deutsche Reitturnier, gab vor einigen Tagen bekannt, dass man den geplanten Termin Ende Mai/Anfang Juni nicht halten könne und ihn auf einen noch nicht festgelegten, späteren Zeitpunkt verschiebe. Kein einfacher, aber ein logischer Schritt: "Für uns steht die Gesundheit aller Beteiligten im Mittelpunkt. Daher gab es für uns auch keine andere Entscheidung", sagt Michael Mronz, der Geschäftsführer der Aachener Reitturnier GmbH im Telefonat mit der DW. Eine große Rolle spielte laut Mronz dabei auch, dass die Behörden um eine Verschiebung baten, da nicht vorstellbar sei, "bereits im Sommer wieder Veranstaltungen dieser Größenordnung zu genehmigen".
Hamburger Hoffnungen
Anders als beim Aachener Turnier, hofft man beim Deutschen Spring- und Dressurderby in Hamburg, dass das Turnier vielleicht doch noch wie geplant vom 21. bis 24. Mai stattfinden kann. "Wir haben uns dazu entschlossen, gemeinsam mit der Stadt Hamburg abzuwarten, wie sich die 14-Tage-Frist nach Einführung der Kontaktsperre auswirkt", erklärt Volker Wulff, der Geschäftsführer des Turnierveranstalters EN GARDE.
Weil es der 100. Geburtstag des traditionsreichen Turniers wäre, würde man nur sehr ungern absagen. Möglicherweise wird das Turnier kleiner ausfallen als ursprünglich geplant. Bei allen möglichen Szenarien steht eines für Wulff aber fest: "Vor leeren Rängen veranstalten wir kein Turnier."
Der CHIO Aachen ohne Publikum ist auch für Michael Mronz keine Option. Außerdem sagt er: "Es gibt momentan für viele Menschen wichtigere Dinge, als die Frage: Findet in diesem Jahr ein CHIO Aachen statt, ja oder nein?" Anders als bei vielen Fußball-Vereinen oder Klubs aus der deutschen Basketball- oder Handball-Liga schaut man bei der Aachener Reitturnier GmbH dennoch positiv in die Zukunft: "Sollte ein CHIO 2020 aufgrund der äußeren Rahmenbedingungen nicht möglich sein, werden wir sicher in der Lage sein, 2021 einen CHIO auszutragen, wenn es dann die äußeren Rahmenbedingungen zulassen", sagt Mronz. "Um die Zukunft des CHIO muss man nicht bangen."
Und der 52-Jährige glaubt auch, dass die Corona-Krise zumindest eine positive Folge haben wird: "Ich glaube, dass das Miteinander in einer solchen Krisensituation gefördert wird", sagt Mronz. "Wenn die Situation eines mit sich bringt, dann dass man einander wieder mit größerer Wertschätzung begegnet. Der Austausch miteinander wird eine neue Kultur bekommen. Ich glaube, es wird eine neue Kultur in eine gute Richtung miteinander werden und nicht mehr so aggressiv gegeneinander."
Berühmte Sieger des CHIO in Aachen
Alle Siegerinnen und Sieger im Großen Preis von Aachen haben im Springreiten Bedeutendes geschafft. Einige stechen heraus - wegen ihrer Persönlichkeit, der Vielzahl ihrer Erfolge oder der Art und Weise ihres Sieges.
Bild: picture-alliance/dpa/Eibner-Pressefoto
Hans Günter Winkler und Piero d'Inzeo
Hier reichen sich zwei Ausnahmereiter die Hände, die insgesamt sieben Siege beim Großen Preis von Aachen feiern dürfen: Hans Günter Winkler (l.) triumphiert dreimal (1954, 1957, 1969). Seinen zweiten Sieg erringt er auf dem Rücken der Wunderstute Halla. Der Italiener Piero D'Inzeo (r.) darf sogar viermal beim bedeutendsten Spring-Wettbewerb der Welt jubeln (1952, 1959, 1961, 1965).
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Nick Skelton
Der Einzige, der wie D'Inzeo vier Große Preise in Aachen gewinnen kann, ist der Brite Nick Skelton. Bemerkenswert: Nach seinen ersten drei Erfolgen (1982, 1987, 1988) dauert es 25 Jahre bis zum vierten Titel. Dazwischen liegt ein Sturz im Jahr 2001, bei dem sich Skelton einen doppelten Bruch des obersten Halswirbels zuzieht. Gegen den Rat der Ärzte setzt er seine Karriere fort.
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Fritz Thiedemann
Fritz Thiedemann ist neben Hans Günter Winkler Deutschlands bester Springreiter der Nachkriegszeit. Eng verbunden sind seine Erfolge mit seinem besten Pferd, Meteor, ursprünglich ein landwirtschaftliches Nutzpferd. 1955 triumphieren Thiedemann und Meteor gemeinsam beim Großen Preis. Mit anderen Pferden gelingen Thiedemann zwei weitere Erfolge in Aachen (1951 und 1953).
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Alwin Schockemöhle
Ebenfalls auf drei verschiedenen Pferden reitet Alwin Schockemöhle zu seinen drei Siegen in Aachen (1962, 1968 und 1969). Schockemöhle ist nach seiner aktiven Zeit als Trainer tätig, unter anderem als Equipe-Chef der deutschen Springreiter. Mit Thomas Frühmann, Gert Wiltfang und Franke Sloothaak entdeckt und fördert er drei Reiter, die später ebenfalls den Großen Preis in Aachen gewinnen können.
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Paul Schockemöhle
Alwin Schockemöhles jüngster Bruder Paul tritt 1974 in Aachen in dessen Fußstapfen. 1979 und 1984 folgen zwei weitere Titel beim Großen Preis. Den letzten Erfolg in Aachen feiert Paul Schockemöhle auf seinem Paradepferd Deister, wegen seiner vielen Erfolge auch "Der springende Geldschrank" genannt. Schockemöhle arbeitet heute erfolgreich als Züchter, Pferdehändler und Speditionsunternehmer.
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Nelson Pessoa
Neben seinen beeindruckenden sieben Siegen beim Deutschen Derby in Hamburg gewinnt Nelson Pessoa auch zweimal den Großen Preis von Aachen. Er ist 1964 der erste Südamerikaner, dem dies gelingt. 1972 folgt der zweite Triumph. 1994 macht es Nelson Pessoas Sohn Rodrigo seinem Vater nach und trägt sich ebenfalls in die Siegerliste des Großen Preises von Aachen ein.
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Ludger Beerbaum
Ludger Beerbaum, einer der erfolgreichsten deutschen Reiter, steht beim Großen Preis von Aachen dreimal ganz oben auf dem Siegertreppchen. Mit Goldfever gelingen ihm 2002 und 2003 zwei Siege in Folge. 1996 gewinnt er mit seinem besten Pferd, der Stute Ratina Z, die bis heute als eines der erfolgreichsten Springpferde aller Zeiten gilt.
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Jean-Claude Van Geenberghe
Jean-Claude Van Geenberghe hat in den 90er Jahren seine große Zeit. 1993 und 1995 ist der Belgier in Aachen der Beste. Später wechselt Van Geenberghe die Nation und startet für die Ukraine. 2009 verstirbt er mit nur 46 Jahren während eines Reit-Events in Donezk auf ungeklärte Weise. Er steigt mit Herzschmerzen vom Pferd, bekommt ein Schmerzmittel und Ruhe verordnet und ist kurze Zeit später tot.
Bild: picture-alliance/dpa/Sven Simon
Janne Friederike Meyer
Janne Friederike Meyer ist 2011 erst die fünfte Frau, der ein Erfolg beim Großen Preis von Aachen gelingt. Allerdings reitet kein Reiter und keine Reiterin so spektakulär zum Sieg wie die damals 30-Jährige: Schon über dem letzten Sprung reißt Meyer siegesgewiss die Arme hoch und landet freihändig. Ihr Wallach Cellagon Lambrasco trägt sie im Galopp zu ihrem größten Sieg über die Ziellinie.
Bild: picture-alliance/dpa/Eibner-Pressefoto
Scott Brash
Den Großen Preis von Aachen und den großen Jackpot einer Nobeluhren-Marke sichert sich Scott Brash beim CHIO 2015. Der Schotte setzt sich auf Hello Sanctos im Stechen mit knappem Vorsprung durch. Da er zuvor schon in Genf gewonnen hat, erhält er einen Bonus von 500.000 Euro. Später gewinnt er in Calgary auch die dritte Station des "Rolex Grand Slam" und ist um eine weitere Million Euro reicher.
Bild: Getty Images/Bongarts/Ch. Koepsel
Philipp Weishaupt
Mit ihm hat niemand gerechnet: 2016 düpiert Philipp Weishaupt die Konkurrenz, dabei ist er als 40. Reiter gerade noch in das Starterfeld beim Großen Preis hineingerutscht. Er muss als Erster starten, ist am Ende aber mit nur zwei Fehlern wegen Zeitüberschreitung der Beste. Doppeltes Glück für ihn, denn kurz vor dem Wettbewerb macht er seiner Verlobten einen Heiratsantrag, und sie sagt: "Ja!"
Bild: picture-alliance/dpa/U. Anspach
Marcus Ehning
"Es hat genau der Richtige gewonnen", mit diesem Satz kommentiert der für seinen trockenen Humor bekannte Marcus Ehning seinen Erfolg beim Großen Preis von Aachen 2018. Zuvor bei der Siegerehrung ist Ehning aber nicht ganz so cool. Schließlich ist es der zweite Titel für den 44-Jährigen, der 2006 auf der Stute Küchengirl schon einmal gewinnen konnte. 2023 gewinnt er auf Stargold ein drittes Mal.