Spurensuche im Eichkamp
2. Dezember 2012 Im Falterweg liegen drei, in der Waldschulallee vier, im Zikadenweg sind es sieben. Und wer aufmerksam durch die verwunschenen schmalen Straßen der Siedlung Eichkamp spaziert, wird weitere in den Bürgersteig eingelassene kleine Messingtafeln entdecken. Stolpersteine heißen sie. Sie enthalten die Lebens- und, soweit bekannt, die Todesdaten deportierter Juden, die hier in den Häusern einmal gelebt haben.
Am Rande von Berlin
1919 wurde am nordöstlichen Rand des Berliner Grunewalds eine Siedlung projektiert. Ein Dorf mit Stadtbahnanschluss, in dem alsbald Menschen unterschiedlichster sozialer Stellung leben sollten: kleine Handwerker und Gewerbetreibende, Polizisten und Eisenbahner und auch ein paar "Berühmte": die Schriftsteller Arnold Zweig und Ludwig Marcuse beispielsweise und die Politikerin Marie-Elisabeth Lüders. Sie alle wussten die gute Luft hier draußen zu schätzen, den eigenen Garten mit Obstbäumen, Gemüsebeeten und ein paar Hühnern. Und manch einer war vielleicht auch stolz darauf, dass die Architekten der Eichkamp-Siedlung so berühmte Namen trugen wie Max und Bruno Taut oder Martin Wagner.
In den 1930er Jahren lebten in mehr als 70 der 450 Eichkamp-Häuser jüdische Bürger und Bürgerinnen. Viele von ihnen konnten rechtzeitig emigrieren, einige aber wurden in Konzentrationslagern ermordet. Wie sie hießen, wer sie waren und wo genau sie gewohnt haben, ist erst in den letzten beiden Jahrzehnten wieder ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Dafür haben Bewohner der Siedlung selber gesorgt.
Sie hatten Anfang der 1990er Jahre mit Recherchen zur Geschichte ihrer Siedlung begonnen. Herausgekommen ist dabei nicht nur ein materialreicher und höchst anschaulicher Bildband, sondern eben auch die Stolperstein-Initiative, die seit Januar 2008 aktiv ist.
Das Haus der Familie Hamburger
Vor dem Haus Eichkampstraße 108 liegen gleich zwei Stolpersteine, einer erinnert an die Naturwissenschaftlerin Margarete Zuelzer, die 1943 im KZ Westerbork umkam, der andere an ihre Untermieterin Estella Helene Maas, die sich 1942, auf dem Weg in die Deportation, das Leben nahm. Über diese Steine ist im Frühjahr 2012 der emeritierte Professor der Physik, Ernst Wolfgang Hamburger, gegangen. Er war mit Familie nach Berlin gekommen, weil sein Sohn Cao hier bei den Filmfestspielen seinen neuen Film "Xingu" vorgestellt hat. Zwischendurch hat Ernst Wolfgang Hamburger Kindern und einem Enkel das Haus gezeigt, das einmal sein Zuhause war. Das Haus Eichkampstraße 108 gehörte bis 1936, bis zur Emigration nach Brasilien, seinen Eltern. Die Familie hat sich hier sehr wohl und der Siedlung verbunden gefühlt, der Vater war von 1926 bis1930 Vorsitzender des Siedlervereins Eichkamp.
Die Hamburgers haben Judenverfolgung und Naziterror überlebt. Es gelang ihnen, nach Brasilien zu emigrieren und in Sao Paulo eine neue Existenz aufzubauen. Deshalb liegen auch keine Stolpersteine für sie vor dem Haus. Aber ihre Geschichte wird erzählt, bei Führungen und Veranstaltungen, die die Eichkamp-Initiative organisiert. 25 Stolpersteine gibt es bislang in der Siedlung. Zwei weitere konnten nicht verlegt werden, da die Nachfahren in England dies nicht wünschten. Sie möchten nichts mehr mit Deutschland zu tun haben.
Information zum Buch:
Manuela Goos und Brigitte Heyde: "Eichkamp. Eine Siedlung am Rande mitten in Berlin", hrsg. vom Siedlerverein Eichkamp e.V., derzeit vergriffen.