Massengräber in Sri Lanka: Tamilen drängen auf Aufklärung
17. August 2025
Jedes Mal, wenn in Sri Lanka ein Massengrab ausgegraben wird, kann Thambirasa Selvarani nicht schlafen. "Wir wissen nicht, was mit unseren Verwandten passiert ist. Und wenn neue Gräber ausgehoben werden, gerate ich in Panik", sagt Selvarani der DW.
Seit Mai 2009 sucht die 54-Jährige nach ihrem Ehemann Muthulingam Gnanaselvam. Der hatte sich am Ende des sri-lankischen Bürgerkriegs den Regierungstruppen ergeben. Seitdem findet sich keine Spur mehr von ihm.
Der Bürgerkrieg in Sri Lanka begann in Jahr 1983. Damals spitzte sich der Konflikt zwischen der singhalesisch dominierten Regierung und der tamilischen Minderheit zu. Wichtigster Akteur auf Seiten der Tamilen waren die "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE), die einen eigenen Staat im Norden und Osten der Insel anstrebten, auch mit Einsatz von Selbstmordattentätern.
Die LTTE wurde von 31 Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen und Anschlägen als terroristische Organisation eingestuft, darunter von Indien, den USA und der Europäischen Union. Im Oktober 2014 urteilte das Gericht der Europäischen Union (EuG) jedoch, dass die zugrundeliegenden Rechtsakte des Rates der Europäischen Union aus verfahrenstechnischen Gründen nichtig seien. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) als höchstes Rechtsorgan der Union verfügte schließlich 2017 die Entfernung aus der Terrorliste.
Der Krieg endete im Mai 2009 mit einem militärischen Sieg der Regierungstruppen über die LTTE. Bis heute gibt es keinen offiziellen Friedensvertrag. Im Jahr 2002 hatte Norwegen ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, Friedensverhandlungen scheiterten allerdings. Das Abkommen wurde 2008 von der Regierung offiziell aufgekündigt.
Zuletzt wurden mehrere Massengräber ausgehoben, die Fragen zur Rolle der Regierungstruppen aufwerfen. In den letzten drei Monaten haben Archäologen ein Massengrab in Chemmani am Rande von Jaffna, der Hauptstadt der Nordprovinz Sri Lankas mit mehrheitlich tamilischer Bevölkerung, ausgegraben. In dieser Stadt fanden im Bürgerkrieg heftige Kämpfe statt. Im Dezember 1995 eroberte die Armee Sri Lankas die Stadt nach einer fünfzigtägigen Belagerung. Jaffna blieb bis zum Ende des Bürgerkriegs unter der Kontrolle der Regierung. In dem Massengrab wurden bislang 140 Skelette freigelegt, darunter auch solche von Kindern.
Hunderte Leichen
Bereits seit 1998 vermutet man, dass es in Chemmani eine Massengrabstätte gibt. Ein ehemaliger Armeekorporal, der damals wegen der Vergewaltigung und Ermordung der Schülerin Krishanthi Kumaraswamy vor Gericht stand, sagte, in dem Gebiet lägen hunderte Leichen begraben.
Bisherige Ausgrabungen haben gezeigt, dass die Leichen "willkürlich, ohne rechtliche Hürden, ohne Kennzeichnung" begraben wurden, sagt Rechtsanwalt V. S. Niranchan der DW. Die Leichen hätten bei den Ausgrabungen übereinander gelegen. Niranchan vertritt Familien zusammen, deren Angehörige in den 1990er Jahren aus der Gegend um Chemmani verschwanden.
"Wir schließen nicht aus, dass einige der Opfer lebendig begraben wurden", sagt Niranchan. "Denn wären sie bereits tot gewesen, hätten sich ihre Gliedmaßen nicht verdreht." Neben den Skeletten wurden an der Fundstelle mehrere Gebrauchsgegenstände entdeckt, darunter Hausschuhe, eine Babymilchflasche und eine Schultasche.
Alte Wunden
Chemmani habe eine "sehr schmerzhafte, sehr traumatische Geschichte, insbesondere für die Menschen in Jaffna", sagt Anushani Alagarajah, Geschäftsführerin des in Jaffna ansässigen Adayaalam Centre for Policy Research.
"Viele Brüder, Väter und Schwestern unserer Freunde sind damals verschwunden", so Alagarajah zur DW. "Das ist über 25 Jahre her. Es reißt sehr alte, tiefe Wunden auf, nicht nur bei den Familien, sondern bei der gesamten Gemeinde, in ganz Jaffna. Die Erinnerung an diese Zeit vergeht nie."
Die Exhumierungsarbeitern in Chemmani sind der bisher spektakulärste Fall einer Massengrabuntersuchung in Sri Lanka. Sie löste zahlreiche Forderungen nach internationaler Aufsicht aus, insbesondere seitens der tamilischen Gemeinschaft des Landes.
"Sri Lanka hat sich schwergetan, glaubwürdige und von den Opfern geschätzte nationale Mechanismen zur Rechenschaftspflicht zu entwickeln", sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, bei einem Besuch vor Ort im Juni dieses Jahres. "Deshalb suchen die Menschen in Sri Lanka nach Gerechtigkeit im Ausland und nach Hilfe auf internationaler Ebene."
Einschüchterung durch Polizei
Tamilische Aktivisten veranstalteten zeitgleich mit Türks Besuch eine Protestkundgebung. Thambirasa Selvarani nahm an der Veranstaltung teil und traf Türk persönlich. Sie habe kein Vertrauen in die sri-lankischen Justizmechanismen, sagte sie ihm.
Selvarani ist Vorsitzende der Vereinigung der Angehörigen von Opfern des Verschwindenlassens (ARED) im Distrikt Ampara. Sie fordert, dass auch in ihrem Distrikt Massengräber ausgegraben werden.
"Wir haben Angst. Wir wissen nicht, wen sie als Nächstes finden, wen sie als Nächstes identifizieren werden", sagte Selvarani gegenüber der DW. "Ich denke Tag und Nacht daran und kann nicht schlafen, nicht essen. Ich bin völlig aufgelöst."
"Seit 17 Jahren, während derer die Präsidenten ständig wechseln, bitten wir sie, uns die Wahrheit über das Schicksal unserer Kinder und Angehörigen mitzuteilen", sagt Selvarani.
Doch die Fortschritte sind langsam. Sie werde bei Protesten immer noch von Beamten der sri-lankischen Kriminalpolizei (CID) eingeschüchtert, sagt Selvarani. "Sie sagen: 'Du solltest da nicht hingehen! Deine Verwandten sind tot, warum gehst du immer noch hin und her?'"
Neue Regierung, alte Probleme
In einem Bruch mit der bisherigen, dynastisch ausgerichteten Politik Sri Lankas wählten die Bürger im September 2024 den linksgerichteten Politiker Anura Kumara Dissanayake zum Präsidenten. Anwalt Niranchan bleibt jedoch misstrauisch. Die Geschichte habe gezeigt, dass Regierungen nicht vertrauenswürdig seien und sich internationaler Aufsicht entziehen würden.
"Diese Regierung versteht ethnische Probleme nicht", sagte er gegenüber der DW. "Ihre Mitglieder glauben, das Land werde friedlich sein, wenn wir die Korruption stoppen. Dass ethnische Probleme auch ein Grund für die Verschuldung des Landes sind, sehen sie nicht."
Ambika Satkunanathan, Menschenrechtsanwältin und ehemalige Kommissarin der Nationalen Menschenrechtskommission Sri Lankas, teilt dieses Misstrauen. "Historisch gesehen zeigte sich bislang nahezu jede sri-lankische Regierung zurückhaltend gegenüber der Idee, internationale Unterstützung in verschiedenen Rechenschaftsprozessen in Anspruch zu nehmen", sagt sie.
Vor seinem Amtsantritt erklärte Präsident Dissanayake, er werde die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen nicht strafrechtlich verfolgen. Im Gespräch mit der DW betonte Satkunanathan das mangelnde Vertrauen der Opfer in die staatliche Gerechtigkeit.
Enttäuschte Hoffnung
Letzten Monat forderte die Menschenrechtsorganisation Internationales Juristenkomitee (IGH) eine "internationale Aufsicht und opferzentrierte Untersuchung" in Sri Lanka, und zwar "unter Einhaltung des Völkerrechts und internationaler Standards".
Alagarajah vom Adayaalam Centre for Policy Research geht jedoch nicht davon aus, dass Dissanayakes Regierung eine internationale Aufsicht fordern wird. Sie sagte auch, sie sehe mit Blick auf Chemmani im Vergleich zu früheren Ausgrabungen "keine Unterschiede".
Alagarajah berichtet von Treffen mit Familien, die gehofft hatten, ihre Kinder in Chemmani zu finden. Diese Familien "wollen glauben, dass die Ausgrabungen ihnen Antworten geben." Doch diese Erwartung sei riskant, sagt sie. "Denn Hoffnung kann auch zu tiefen, verletzenden Enttäuschungen führen, besonders in diesem Land."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp