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Politik

Sri Lankas Ostküste nach den Anschlägen

Natalie Mayroth
9. Juli 2019

Eine Keimzelle des islamistischen Terrorismus, der zu Ostern Sri Lanka heimsuchte, liegt an der Ostküste. Eben dort versuchen Tamilen, Muslime und Christen, eine prekäre Normalität wieder aufzubauen.

Sri Lanka Batticaloa drei Monate nach Anschlägen von Ostern 2019
Erinnerung an die Opfer des Anschlags auf die Zionskirche in Batticaloa Bild: DW/Natalie Mayroth

Mit prüfendem Blick begutachten zwei Männer mit gelben Schutzhelmen die Grundmauern der Zionskirche in Batticaloa im Osten Sri Lankas. Die nackten grauen Wände sind das, was übriggeblieben ist, nachdem sich dort am Ostersonntag ein Mann in die Luft gesprengt hatte. Mit sich riss er 30 Kirchgänger in den Tod (Artikelbild), einer starb später im Krankenhaus. An jenem Tag verübten insgesamt neun islamistische Selbstmordattentäter Anschläge in Sri Lanka. Außer Batticaloa waren die Schauplätze der Attentate alle in Colombo und in der Nähe der Hauptstadt, nämlich zwei weitere Kirchen und drei Luxushotels. Über 250 Menschen starben und fast 500 weitere wurden verletzt. Seitdem ist das Militär mit zahlreichen Kontrollstationen auf der Insel vertreten.

Stärke im Glauben

Knapp zwei Monate nach der Anschlagsserie begann in Batticaloa der Wiederaufbau der protestantischen Zionskirche. Nach der Prüfung wurde sie in die Hände der Armee übergeben, um die Renovierung voranzutreiben. Davor stand die Versorgung der Hinterbliebenen des Osteranschlags im Zentrum, darunter 71 Kinder. "Das Leben geht weiter. Die Menschen setzen sich mit dem auseinander, was passiert ist. Es ist schwierig für jede Familie. Jeder wurde auf eine andere Art und Weise getroffen. Aber es ist ihr Glaube an Gott, der sie weitermachen lässt", sagt Pastorenfrau Michelle Mahesan. Sie hält im improvisierten Büro, das sich gegenüber der Kirche befindet, die Stellung.

Renovierungsarbeiten in der Zionskirche von Batticaloa Bild: DW/Natalie Mayroth

Alltagsleben nach dem Schock

Die Explosion überraschte die Sonntagsschülerinnen in der Kirche, 14 Kinder kamen uns Leben. Mahesan ist eine der Lehrerinnen. Sie erinnert sich an den unbekannten Mann, mit dem sie kurz sprach. Er rief bei der Kirche an und kam dann vorbei. Als Mahesan sich im Pfarrhaus befand, zündete der Unbekannte seinen Sprengsatz. Der Putz kam von der Decke, doch sonst blieb sie unversehrt und konnte den Verletzen helfen.

In der ganzen Region kommen nicht nur weniger Touristen an, auch die Anwohner gehen wenig aus. Das bemerken die Frauen der Stadtkooperative Sewa, deren Mittagstisch seit Wochen leer bleibt. In einem etwas versteckten Gemeindehaus bieten sie Hausfrauenkost an. Doch nur ein paar Männer, Polizisten von der Wache nebenan, kommen zum Essen. "Sonst war es hier immer voll", sagt A. Rajani. Schulkinder wie Angestellte sind sonst unter ihren Gästen. Doch seitdem Vorfall hat sich alles verändert. Die Frauen erzählen von den gesperrten Straßen vor und hinter ihrem Lokal während der Unterrichtszeit. Zum Schutz der Kinder, sagen sie. Noch Wochen nach Ostern blieben die Schulen in Batticaloa geschlossen. Ein Banner mit dem Hashtag #BackToSchoolSL, der am Gitter eines leeren Sportplatzes hängt, erinnert daran.

Inzwischen gehen die Kinder wieder zur Schule, unter verstärkten SchutzmaßnahmenBild: DW/Natalie Mayroth

Gestörte Städtenachbarschaft

In Batticaloa sind fast ein Viertel der knapp 100.000 Einwohner Christen, ein weit höherer Anteil als insgesamt in Sri Lanka. Ansonsten ist die Stadt von hinduistischen Tamilen geprägt. Die halb so große Nachbachstadt Kattankudy ist dagegen mehrheitlich muslimisch. Einige der Täter kommen aus diesem Ort. "Die, die dafür verantwortlich sind, haben psychische Probleme. Sie sind nicht Teil unserer Gemeinde und leben getrennt von uns", sagt der 24-jährige Mohammad Nuza, Sohn eines muslimischen Restaurantbetreibers aus Kattankudy.

Zufahrtsstraße nach Kattankundy - das "warme Willkommen" hat etwas gelittenBild: DW/Natalie Mayroth

"Wir hatten unseren Laden für ein paar Wochen geschlossen. Es war eine schwierige Zeit", erzählt Nuza. Mit dem Fastenbrechen während des Ramadan habe sich das Geschäft erholt, sonst wäre es finanziell schwierig für seine Familie und die Angestellten geworden. Nach den Anschlägen meiden die Tamilen die Läden und Geschäfte in Kattankudy. Die Kundschaft aus Batticaloa, die sonst für Snacks wie Samosas (Teigtaschen) in die Nachbarstadt kam, bleibt größtenteils aus. Trotz mancher Spannungen der Vergangenheit waren die Lokale beliebt gewesen.

Wunsch nach Aufschwung und Prosperität

"Was passiert ist, ist schlimm für alle in Sri Lanka", sagt Nuza. "Die Vorfälle werfen das Land zurück", er möchte den Aufschwung seines Landes. Im Osten, wo Hindus die Mehrheit der Bevölkerung stellen, blieb es allerdings ruhig. Im Westen dagegen eskalierte die Situation: Etwa einen Monat nach den Anschlägen marschierten buddhistische Mobs gegen Muslime auf.

Anti-muslimische Tendenzen sind auch in Batticaloa durchaus zu spüren. Der Gemischtwarenladenbesitzer Ram möchte nichts mit ihnen zu tun haben, sagt der tamilische Hindu, der nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden will. Doch ein konsequenter Boykott wäre schlecht für sein eigenes Geschäft, denn muslimische Großhändler dominieren den Import. Er ist auf sie angewiesen, damit er zuverlässig seine Waren im Regal hat …

Nach einer Polizeioperation gegen mutmaßliche Islamisten an der Ostküste südlich von Batticaloa Ende April Bild: Reuters/D. Liyanawatte

Konfliktreicher Ort

Die Menschen in Kattankudy kennen die Trauer. Im August 1990 wurde ein Anschlag von tamilischen Separatisten der "Befreiungstiger von Tamil Eelam" (LTTE) auf eine ihrer Gemeinden verübt. 147 Muslime, die sich zum Gebet versammelten, kamen dabei ums Leben. Die LTTE wurde 2009 militärisch endgültig besiegt. Doch die Verbrechen auf ihrer Seite wie auf der des sri-lankischen Militärs  sind längst nicht aufgearbeitet.

Nicht nur Spannungen zwischen Tamilen und Muslimen haben den Ort geprägt, sondern auch solche innerhalb der muslimischen Gemeinde. Denn seit 1970 haben sich einige Muslime in Kattankudy dem Wahhabismus zugewandt, also jener reaktionären Ausrichtung des Islam, die aus Saudi-Arabien nach Sri Lanka kam und mutmaßlich von saudischen Quellen finanziell unterstützt wird. Eines ihrer Feindbild ist die in der Gegend verbreitete islamische Richtung des Sufismus. Der als Drahtzieher der Oster-Anschläge geltende Hashim Mohamed Zahran, einer der Selbstmordattentäter, kam ebenfalls aus Kattankudy und war dort der lokale Führer der Islamistengruppe National Thowheeth Jama'ath (NTJ). 

Das Zusammenleben der Angehörigen verschiedener Religionen hat sich durch die Anschläge verändertBild: DW/Miriam Klaussner

Keine einfache Rückkehr zur Normalität

Warum fiel die Thowheeth-Gruppe den Behörden nicht auf, fragen sich jetzt viele. Jahrelang warnten Sri Lankas Muslime vor radikalen Geistlichen, durch die sie sich zunehmend bedroht fühlen. Auch der Nachbarstaat Indien informierte Sri Lanka über mögliche islamistische Anschläge. Doch die Hinweise blieben offenbar folgenlos. Nach den Anschlägen nahmen die Behörden in Sri Lanka mehr als hundert Verdächtige mit Verbindungen zur NTJ und zu Zahran fest. Doch die Ermittlungen und die Aufarbeitung vergangener Versäumnisse werden von der offenen Feindschaft zwischen Regierungschef Ranil Wickremesinghe und Präsident Sirisena beeinträchtigt.

Andacht unter militärischem Schutz in Colombo - Folge der TerroranschlägeBild: Getty Images/AFP/L. Wanniarachchi

Das sind keine guten Vorzeichen für die Wirtschaft, die unter dem Einbruch des Tourismus stark zurückging. Einige Flugverbindungen nach Sri Lanka wurden eingestellt. In Batticaloa stehen die Fremdenzimmer leer. Erst langsam kommen wieder Buchungen herein, nachdem ausländische Reiseveranstalter Reservierungen zurückgezogen hatten.  

In der Gemeinde von Pastor Roshan und Michelle Mahesan sucht man die Normalität. Die erste Trauung steht an. Doch der Schock sitzt noch tief. "Das ist sehr traurig", sagt Gideon. Seine Stimme zittert, während er den Besucher durch die Ruinen der Kirche führt. Er zeigt auf einen Platz, an dem drei Kinder starben. Als er von dem Vorfall hörte, reiste der junge Familienvater, der aus Batticaloa stammt und jetzt in Zentral-Sri Lanka lebt, sofort als freiwilliger Helfer in seine Heimatstadt und kündigten seinen Job. "Aber was kann ich tun? Ich habe zuerst zu Gott gebetet, dass er sich um die Familien kümmert."

 

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