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Politik

Stärkedemonstrationen in Korea

Martin Fritz aus Tokio
20. September 2021

Die Waffentests der beiden koreanischen Staaten machen einen baldigen Neustart der Atomverhandlungen mit Pjöngjang unwahrscheinlich. Eher droht eine Eskalation. Martin Fritz aus Tokio.

Südkorea | TV Sender YTN | Nordkorea Test Marschflugkörper
Bild: Lee Jin-Man/AP/dpa/picture alliance

Am Montag (20.9.) vor drei Jahren wanderten Südkoreas Präsident Moon Jae-in und Nordkoreas Führer Kim Jong-un gemeinsam mit ihren Ehefrauen auf den 2.700 Meter hohen Berg Paektu. Der erloschene Vulkan an der Grenze zu China gilt als mythische Wiege des koreanischen Volkes. Zuvor unterzeichneten Moon und Kim auf ihrem Gipfeltreffen in der nordkoreanischen Hauptstadt die "Pjöngjang-Deklaration". Darin vereinbarten die zwei Staaten, militärische Spannungen zu verringern und ihre Kooperation auszubauen.

Kim (2.v.l) und Moon (3.v.l.) auf dem Berg Paektu am 20.09.2018Bild: Reuters/Pyeongyang Press Corps

Doch die damaligen Vereinbarungen brachten nicht die erhoffte Friedensdividende ein. Im Gegenteil: Nord- und Südkorea rüsten vielmehr kräftig weiter auf, während ihre Verbindungen weitgehend gekappt sind. In der vergangenen Woche rückte eine Verbesserung weiter in die Ferne, als beide Länder ihre neuesten Waffen vorführten: Der Norden testete Marschflugkörper mit der bisher höchsten Reichweite von 1.500 Kilometern und feuerte zwei ballistische Kurzstreckenraketen erstmals von einem Zugwaggon ab. Der Süden führte ebenfalls zwei Premieren auf: den ersten Start einer ballistischen Rakete aus einem getauchten U-Boot und den ersten Marschflugkörper, der schneller als der Schall flog.

Kaum hatte sich der Pulverrauch verzogen, lieferten sich die Koreaner einen rhetorischen Schlagabtausch. "Eine Verbesserung unserer Raketenfähigkeit ist genau das, was als Abschreckung gegen Nordkoreas Provokation notwendig ist", erklärte Südkoreas Präsident Moon. Jedoch sei der Test der ballistischen U-Boot-Rakete vorgeplant und keine Antwort auf die Abschüsse in Nordkorea gewesen.

Die Antwort aus Pjöngjang ließ nicht lange auf sich warten. Kim Yo-jong, die einflussreiche Schwester von Machthaber Kim Jong-un, kritisierte den Gebrauch des Wortes "Provokation" als "dumm". Die Waffenerprobungen dienten der Selbstverteidigung von Nordkorea, betonte Kim. Falls Moon Nordkorea weiter "verleumde", werde es eine "totale Blockade" der innerkoreanischen Beziehungen geben.

Unklarheit über Wettrüsten

Korea-Analysten bewerteten die Entwicklung unterschiedlich. "Das Wettrüsten hat sich unter Präsident Moon beschleunigt", meinte Ramon Pacheco Pardo vom Londoner King's College. Als Gründe nannte er Moons auf stärkere Autonomie zielende Außenpolitik, das Misstrauen in die Abhängigkeit von den USAnach den Erfahrungen der Trump-Präsidentschaft sowie militärische Entwicklungen in Nordkorea und China. "Südkorea steht vor vielen Hürden, selbst Atomwaffen zu entwickeln", sagte Pardo. "Daher entwickelt es alle anderen Fähigkeiten, um Nordkorea abzuschrecken und zu zeigen, wer das stärkere Korea ist."

Mitternachtparade mit Führer KimBild: KCNA/Yonhap/picture alliance

Dagegen meinte Thomas Yoshimura, Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul, die Raketentests stellten keine gegenseitigen Reaktionen dar. "Eine besondere Spiralwirkung im Sinne eines Rüstungswettkampfes scheint nicht zu erwarten", sagte Yoshimura. Die nordkoreanischen Tests seien eine Ergänzung zu der Militärparade in der Nacht zum 9. September gewesen, auf der keine neue Raketentechnologie gezeigt wurde. "Auf südkoreanischer Seite sind die Entwicklungen als Investition in die eigene Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit zu verstehen", erklärte Yoshimura.

Tatsächlich setzt Südkorea auf "aktive Abschreckung", nachdem Nordkorea im Jahr 2010 die südkoreanische Korvette Cheonan versenkt und die Insel Yeonpyeong mit Granaten beschossen hatte. Als Reaktion setzte Seoul im März 2011 den "Defense Reform Plan 307" in Kraft. Seitdem modernisiert der Süden sein Waffenarsenal im Hinblick auf seine beiden Militärstrategien: Die "überwältigende Antwort", die Nordkoreas Atomwaffen, Raketen und Langstrecken-Artillerie präventiv zerstören soll, und der "direkte Zielschlag", der unter anderem die nordkoreanische Führung eliminieren soll.

Verhandlungen bleiben Ziel

Die jüngsten Vorführungen von neuen Waffen haben keine negativen politischen Folgen gehabt. Die USA verurteilten die Raketenschüsse zwar als Verstoß gegen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates. Aber die US-Militärführung im Indopazifik erklärte, die Tests stellten keine "direkte Bedrohung" der USA und ihrer Verbündeten dar. Die stellvertretenden Atom-Unterhändler von Südkorea und den USA, Lee Tae-woo und Jung Pak, unterstrichen nach einem Treffen in Seoul die Notwendigkeit, den Dialog mit Nordkorea wiederaufzunehmen.

Auch Pjöngjang scheint sich zu bemühen, die Tür zu Verhandlungen nicht zuzuschlagen. Trotz des Stillstandes in den Atomgesprächen seit dem gescheiterten Gipfeltreffen mit dem damaligen US-Präsidenten Trump im Februar 2019 in Hanoi hat Führer Kim keine Interkontinentalraketen getestet. Bei den Raketenschüssen in der vergangenen Woche war er offenbar nicht persönlich anwesend. Seine Zurückhaltung galt vermutlich sowohl Südkorea als auch China. Die Marschflugkörper- und Raketentests fanden nämlich rings um den Besuch von Chinas Außenminister Wang Yi in Seoul statt. Dort mahnte Wang, die Gespräche mit Nordkorea wiederaufzunehmen. Dennoch besteht die Gefahr einer neuerlichen Eskalation, zum Beispiel, falls Nordkorea erstmals eine ballistische Rakete von seinem im Juli 2019 vorgestellten U-Boot abschießen sollte. Ein entsprechendes Gerücht kursiert schon seit dem Frühjahr.