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Stör- und Unfälle in Kernkraftwerken

Fabian Schmidt4. März 2016

Alle Stör- und Unfälle in zivilen Kernkraftwerken müssen an die Internationale Atomenergiebehörde gemeldet werden. Dafür gibt es acht klar definierte Kategorien - von bedeutungslos bis zum Super-GAU.

Atomkraftwerk Arbeiter Strahlung Radioaktiv Symbolbild
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Alle Kernkraft-Staaten der Welt - mit Ausnahme Nordkoreas - haben sich gegenüber der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) verpflichtet, sämtliche Störfälle und Unfälle in Kraftwerken an die Organisation zu melden. Diese Meldungen sind grundsätzlich öffentlich, denn sie richten sich an alle Menschen. Nur durch eine umfassende und nachvollziehbare Information kann nämlich die Öffentlichkeit die Bedeutung der Vorfälle richtig einschätzen.

Doch ob das immer so funktioniert, daran gibt es jetzt Zweifel: Im französischen Kraftwerk Fessenheim wurde am 9. April 2014 durch einen Wasserschaden ein Teil des Reaktorschutzsystems beschädigt. Die Anlage wurde daraufhin heruntergefahren und eine Störung der Stufe 1 an die IAEO gemeldet.

Eigentlich hätte der Vorfall aber in einer höheren Kategorie gemeldet werden müssen, berichten Enthüllungsjournalisten von WDR und Süddeutscher Zeitung an diesem Freitag - also fast zwei Jahre nach dem Störfall.

Nur eine Störung oder doch ein Störfall? Journalisten haben enthüllt, dass in Fessenheim die Steuerstäbe ausgefallen warenBild: picture-alliance/dpa

Beim Herunterfahren des Reaktors war es nämlich offenbar zu Komplikationen gekommen: Die Bedienungsmannschaften konnten plötzlich die Steuerstäbe nicht mehr bewegen.

Diese dienen zur Kontrolle oder zum Abbrechen der nuklearen Kettenreaktion.

Werden sie zwischen die Brennstäbe im Reaktor geschoben, absorbieren sie Neutronen - die Kettenreaktion verlangsamt sich oder kommt zum Erliegen.

Daher mussten die Ingenieure die Reaktion mit einer Notmaßnahme beenden: Sie fluteten den Reaktorraum mit Bor. Dieses Element funktioniert genauso wie die Steuerstäbe: Es absorbiert Neutronen und unterbindet damit die Kettenreaktion.

Das brisante an dem Vorgang: Es handelte sich um einen "begrenzten Ausfall von Sicherheitsvorkehrungen" und damit definitiv um einen Störfall der Stufe 2. Und so staffeln sich die Stör- und Unfälle nach der internationalen Bewertungsskala:

Abweichungen vom Normalbetrieb

Um Vorfälle erfassen zu können, die zwar keine unmittelbare sicherheitstechnische Bedeutung haben, die aber bei Nichtbeachtung oder Verschleppung weitere und schwerere Störfälle nach sich ziehen könnten wurde die Stufe 0 definiert.

Das können zum Beispiel Leckagen in Kühlsystemen sein, der Ausfall der unterbrechungsfreien Stromversorgung oder der Ausfall eines Systems zur Messung von Schadstoffen.

Aber auch ein Kabel- oder Transformatorbrand kann noch in diese Kategorie fallen.

Solche Vorfälle sind im Normalbetrieb relativ häufig. So gab es im Jahr 2014 alleine 68 meldepflichtige Vorfälle der Stufe 0 in deutschen Kernkraftanlagen.

Störfälle

Die geringste Form eines Störfalls ist eine sogenannte Störung (Stufe 1). Hierbei kann es sich zum Beispiel um eine durch einen Fehler ausgelöste automatische Schnellabschaltung handeln oder ein Fehler in einem Generator, der zu einer Abschaltung führt. Auch ein schwerer organisatorischer Fehler im Betrieb des Kraftwerks kann als Störung der Stufe 1 bewertet werden. In den gesamten 1990er Jahren gab es in deutschen Atomanlagen 75 derartige Störungen.

Zum Störfall (Stufe 2) kommt es, wenn ein Teil der Sicherheitsvorkehrungen ausfällt. In diesem Fall tritt dann ein anderer Teil der immer redundant ausgelegten Sicherheitstechnik ein. Zum Beispiel kann der Ausfall einer Wasserpumpe, die Überfüllung oder die Unterschreitung der Borkonzentration in einem Flutbehälters als Störfall dieser Kategorie gewertet werden. Solche Vorfälle sind deutlich seltener. So gab es in Deutschland in den 1990er Jahren nur drei davon.

Bei einem ernsten Störfall (Stufe 3) wird ein geringer Teil an Radioaktivität in die Umwelt freigesetzt, es kommt zu einer schweren Kontamination oder anderen Gesundheitsschäden beim Personal und mehrere Bestandteile der Sicherheitsvorkehrungen versagen. Solche Vorfälle kommen weltweit seltener als einmal im Jahr vor. Ein Beispiel war 2005 ein Leck in der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield, wo große Teile der Anlage kontaminiert wurden.

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima mussten über 120.000 Menschen ihre Häuser verlassen.Bild: picture-alliance/dpa

Unfälle

Zu einem Unfall (Stufe 4), ernsten Unfall (Stufe 5) oder schweren Unfall (Stufe 6) komme es, wenn Radioaktivität in größerer Menge freigesetzt wird, wobei es eine Staffelung nach der Strahlenbelastung und der Anzahl der durch Strahlung Erkrankten und Todesopfer gibt. Bei einer Strahlung bis zu Hunderten Terabecquerel (1 Tbq sind eine Billion radioaktive Zerfälle pro Sekunde) und bis zu einem Todesopfer gilt Stufe 4. Bei der hundertfachen Verstrahlung dessen und mehreren Todesopfern gilt Stufe 5 und bei einer massiven Verstrahlung von Zehntausenden Tbq gilt Stufe 6.

Grundsätzlich sind Unfälle an kerntechnischen Anlagen selten. In die Stufe 4 fallen etwa zwei partielle Kernschmelzen im französischen Kraftwerk Saint-Laurent in den Jahren 1969 und 1980 in die Stufe 4. Ein Unfall auf der Halbinsel Three Mile Island in Pennsylvania 1979, bei dem etwa ein Drittel des Reaktorkerns geschmolzen war, fiel in die Stufe 5. Durch die Freisetzung von Radioaktivität stieg dort die Krebsrate im Windschatten des Meilers in den Jahren nach dem Unfall um über 150 Prozent an.

Ein Beispiel für einen schweren Unfall der Stufe 6 war die Freisetzung sehr großer Mengen Radioaktiver Stoffe in der militärischen kerntechnischen Anlage Majak in Sibirien im Jahre 1957. Über 10.000 Menschen mussten damals umgesiedelt werden. Heute gilt es als der drittschwerste Atomunfall der Geschichte.

Die Katastrophe

Seit beginn des Atomzeitalters kam weltweit zweimal zu einem Super-Gau - dem größten anzunehmenden Unfall: 1986 in Tschernobyl, und 2011 in Fukushima. Beide Unfälle gelten nach der internationalen Bewertungsskala als Katastrophen (Stufe 7). In beiden Fällen kam es zu einer kompletten Kernschmelze in einem (Tschernobyl) oder mehreren (Fukushima) Reaktorblöcken.

Dabei wurden die äußeren Gebäudehüllen, also die äußerste Schutzhülle der Reaktoren durch Wasserstoffexplosionen zerstört und Radioaktive Stoffe konnten ungehindert entweichen. In beiden Fällen wurden riesige Gebiete verseucht. In Tschernobyl starben etwa 50 Personen kurz nach dem Unfall an der Strahlenkrankheit. Verschiedene Schätzungen über zusätzliche Krebserkrankungen in den Folgejahren gehen in die Zehntausende. Auch für Fukushima gibt es widerstreitende Angaben. Schätzungen reichen von 15 Opfern bis hin zu noch zu erwartenden tödlich verlaufende Krebserkrankungen bei bis zu vielen Tausend Betroffenen.

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