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Der Staat und die Kirchen

Petra Nicklis19. Januar 2012

In Deutschland ist das Verhältnis von Staat und Kirchen vertraglich geregelt: Für die katholische Kirche durch Konkordate, also staatliche Verträge mit dem Vatikan, für die evangelischen Kirchen gelten Kirchenverträge.

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Symbolbild Staat KircheBild: AP

In Deutschland geht die Trennung von Staat und Kirche bei gleichzeitiger Regelung ihres Verhältnisses auf den sogenannten Kulturkampf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück: Im Rheinland und in Baden stießen Bestrebungen, hoheitliche und Bildungsaufgaben von der katholischen Kirche in staatliche Zuständigkeit zu überführen, auf erbitterten Widerstand klerikaler und konservativer Kreise. Auch in Preußen mit einer mehrheitlich protestantischen Bevölkerung formierte sich konservativer Widerstand gegen Bestrebungen zur Trennung von Staat und Kirche, etwa im Streit um die Einführung der Zivilehe und die staatliche Schulaufsicht.

Eingrenzung kirchlicher Macht

Nach der Gründung des von Preußen dominierten Deutschen Reiches 1871 ging Reichskanzler Otto von Bismarck mit harten Gesetzen gegen das bis dahin unangetastete Primat von Kirche und Religion über Staat, Wissenschaft und Bildung vor. Der innenpolitische Widerstand gegen die Trennung von Staat und Kirche organisierte sich in und im Umfeld der konservativ-klerikalen Zentrumspartei.

Otto von Bismarck

Außenpolitisch brach das Deutsche Reich 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab, die erst 1882 wieder aufgenommen wurden. Nach intensiven Verhandlungen wurden einige der Bismarckschen Gesetze bis 1887 zwar entschärft, die begonnene Trennung von Staat und Kirche aber blieb bestehen.

Kooperation auf Vertragsbasis

Die Weimarer Nationalversammlung regelte 1919 in der Reichsverfassung das Verhältnis von Kirche und Staat neu. Die Staatskirche wurde abgeschafft und es entstand ein umfangreiches Regelungswerk, das auf Religionsfreiheit, der weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Selbstbestimmung aller Religionsgemeinschaften beruht. Dabei besteht zwischen Staat und Kirche ein partnerschaftliches Verhältnis.

An diesen Kriterien orientiert sich das Verhältnis von Staat und Kirche auch in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kirchen nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil und vertreten bei aktuellen Fragen ihre Position, sei es in Ethik-Kommissionen oder im Rundfunkrat öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten. Ihre Meinung ist auch gefragt bei Anhörungen in den Ausschüssen des Bundestages.

Die christlichen Feiertage sind laut Verfassung geschützt, zu Ostern und Weihnachten gibt es bundesweite gesetzliche Feiertage. Hinzu kommen regionale Feiertage beider Konfessionen. Die Kooperation zwischen Kirche und Staat geht aber noch weiter. So ziehen etwa die Finanzämter die Kirchensteuer ein. Das sind zwischen acht und neun Prozent der Lohn- beziehungsweise Einkommenssteuer, je nach Bundesland und entsprechend der Kirche beziehungsweise der Religionsgemeinschaft. Für diesen Verwaltungsaufwand zahlen die Kirchen den Finanzämtern eine Entschädigung.

Das Grundgesetz ist Deutschlands VerfassungBild: dpa - Fotoreport

In fast allen Bundesländern - mit Ausnahme von Berlin und Bremen - ist der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen. Das heißt, grundsätzlich ist der Bekenntnisunterricht Pflichtfach für alle Angehörigen einer Religionsgemeinschaft. Allerdings können die Eltern ihr Kind von diesem Unterricht abmelden. Diese Wahl haben auch alle mit 14 Jahren religionsmündigen Schüler.

Wer Religionslehrer werden will, braucht grundsätzlich die Einwilligung seiner Kirche. Anders als an Schulen bestimmt die Kirche bei staatlichen Universitäten, wer Professor an den theologischen Fakultäten wird. Und darüber hinaus bestimmen sie auch den Inhalt der Lehre.

Europäische Varianten

Ein anderes Beziehungsmodell ist die strikte Trennung von Staat und Kirchen. Das ist der Fall beispielsweise in Frankreich. Nach der Verfassung ist Frankreich eine laizistische Republik. In einem Gesetz von 1905 wird diese Beziehung geregelt. Unmittelbare Folge dieser strikten Trennung war, dass die Kirchengebäude enteignet wurden: Kathedralen fielen dem Staat zu, Pfarrkirchen den Kommunen. Grundsätzlich garantiert der französische Staat die freie Ausübung der Religion, finanzielle Unterstützung gibt es aber nicht. Vertreter der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirche sowie der Juden und Buddhisten besitzen vom Staat anerkannte Ansprechpartner. Sie sitzend beratend beispielsweise in der Ethikkommission oder im Verwaltungsrat der Sozialkassen des Kultus.

Großbritannien praktiziert ein weiteres Modell: Hier ist das Staatsoberhaupt auch gleichzeitig das Oberhaupt der Kirche. 1533 brach Heinrich VIII. mit dem Papst und rief kurzerhand die anglikanische Staatskirche aus - mit ihm selbst als Chef. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Königin Elisabeth II. ist als amtierende Monarchin das weltliche Oberhaupt der "Church of England". Sie ist Königin "von Gottes Gnaden" und hat das Recht zur Ernennung von Erzbischöfen und Bischöfen. Die Staatskirche hat zwar keinen Einfluss auf die Politik, allerdings beginnt der Schultag überall im Land mit einem Gebet und der christliche Religionsunterricht ist Pflichtfach. Außerdem wird die anglikanische Eheschließung anerkannt.

Bei allen grundsätzlichen Unterschieden der drei Beziehungsmodelle zwischen Staat und Kirche gibt es jedoch auch Ähnlichkeiten. Inzwischen gehören dazu die Religionsfreiheit ebenso wie die mehr oder minder ausgeprägte Zusammenarbeit der beiden Partner. Und noch eine Gemeinsamkeit gibt es: wachsende Bevölkerungskreise in den traditionell christlich dominierten Ländern Europas zeigen eine gewisse Kirchenferne.