15 Jahre statt sechs: Erneut ficht die Staatsanwaltschaft die in ihren Augen zu geringe Strafe für den ehemaligen Sprintstar an. Lässt sich das oberste südafrikanische Berufungsgericht überzeugen?
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Oscar Pistorius habe seit den tödlichen Schüssen auf seine Freundin viel Selbstmitleid, aber keine wirkliche Reue gezeigt, sagte Staatsanwältin Andrea Johnson vor dem obersten Berufungsgericht in Bloemfontein. Sie ergänzte bei der offiziellen Anhörung, der heute 30-Jährige habe vor Gericht um Entschuldigung gebeten, sich jedoch nie zu dem Verbrechen bekannt. Deswegen hätten ihm bei der Festlegung des Strafmaßes im Juli 2016 keine mildernden Umstände zuerkannt werden sollen, so Johnson. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, bei der Verurteilung sei Pistorius' Behinderung "überbetont" worden.
Das gegen ihn verhängte Strafmaß von sechs Jahren Haft wegen Mordes - was im deutschen Recht "Totschlag" entspricht - sei angesichts der üblichen Mindeststrafe von 15 Jahren "schockierend mild", sagte Johnson. Die Staatsanwaltschaft will erreichen, dass das Strafmaß auf die Mindeststrafe erhöht wird.
Darum geht es bei dem Fall
Der unterhalb der Knie amputierte Pistorius hatte seine Freundin, das Model Reeva Steenkamp, 2013 in seinem Haus mit vier Schüssen durch eine Toilettentür getötet. Pistorius beteuerte, einen Einbrecher hinter der Tür vermutet zu haben und in Panik gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, bis heute habe Pistorius kein schlüssiges Motiv genannt, warum er insgesamt vier Schüsse abfeuerte.
Sein Fall hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Als Sprintläufer hatte Pistorius bei Paralympischen Spielen auf Karbon-Prothesen sechs Goldmedaillen gewonnen. In London startete er 2012 als erster beinamputierter Sportler der Geschichte auch bei den Olympischen Spielen.
Pistorius' Anwalt Barry Roux wies die Anschuldigung der Staatsanwaltschaft zurück, dass sein Mandant keine wirklich Reue gezeigt habe. "Er ist ein gebrochener Mann", sagte Roux. Sein Mandant habe Steenkamp nicht töten wollen, es sei "ein Unfall" gewesen.
Steenkamps Mutter June verfolgte die Verhandlung in Bloemfontein, der inhaftierte Pistorius war nicht anwesend. In den kommenden Wochen müssen fünf Richter des obersten Berufungsgerichts als höchste Instanz mit einfacher Mehrheit über den Berufungsantrag der Staatsanwaltschaft entscheiden.
Der juristische Kampf der Ankläger
Es ist ein erneuter Versuch der Staatsanwaltschaft, eine härtere Strafe für den paralympischen Star Pistorius durchzusetzen. Zuvor hatte sie über eine Berufung erreicht, dass der ursprüngliche Schuldspruch von "fahrlässiger Tötung" mit fünf Jahren Haft zu "Totschlag" und sechs Jahren Haft verschärft wurde.
Bei der Urteilsverkündung in zweiter Instanz führte Richterin Thokozile Masipa 2016 mildernde Umstände an. "Er ist ein gefallener Held, er hat seine Karriere verloren, er ist finanziell ruiniert", sagte die Richterin. Er sei Ersttäter und habe Reue gezeigt, nun müsse er eine Chance haben, sich zu rehabilitieren. Gegen das Strafmaß legte die Staatsanwaltschaft schon damals Einspruch ein, den Masipa jedoch ablehnte.
Aufstieg und Fall des Oscar Pistorius
Oscar Pistorius gehört zu den Superstars des paralympischen Sports - bis er in seinem Haus seine Freundin Reeva Steenkampf erschießt und daraufhin wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wird.
Bild: Reuters/Siphiwe Sibeko
Das Urteil
Wegen fahrlässiger Tötung seiner damaligen Freundin wird Sprint-Star Oscar Pistorius zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ein Strafmaß, das unter der Forderung der Staatsanwaltschaft bleibt. Das Urteil markiert auch das mutmaßlich endgültige Ende einer sportlichen Bilderbuchkarriere.
Bild: picture-alliance/dpa
Frühe Erfolge
Mit gerade mal 17 Jahren sorgt Oscar Pistorius in der Leichtathletik für Furore. Bei den Paralympischen Spielen 2004 in Athen holt sich der "Blade Runner" nach Bronze über 100 Meter die Goldmedaille und den Weltrekord über 200 Meter. Pistorius fehlen wegen eines Gen-Defekts seit der Geburt die Wadenbeine. Im Alter von elf Monaten wurden ihm die Beine unterhalb der Knie amputiert.
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb
Fair oder unfair?
Wissenschaftler ermitteln, dass Pistorius mit seinen High-Tech-Prothesen "25 Prozent weniger Energie" benötigt als ein Konkurrent mit Beinen. Der Leichtathletik-Weltverbind IAAF untersagt, dass Pistorius bei Olympia 2008 in Peking startet. Der Internationale Sporgerichtshof hebt die Entscheidung auf.
Bild: Reuters
Medaillen über Medaillen
Von den Paralympischen Spielen in Peking kehrt Pistorius mit den Goldmedaillen über 100, 200 und 400 Meter heim. Aus dem Start bei den Olympischen Spielen, den er seit Beginn seiner Karriere anstrebt, wird vorerst nichts. Pistorius verpasst die Olympia-Norm über 400 Meter.
Bild: picture-alliance/dpa
Großer Schritt vorwärts
Pistorius kommt seinem großen Ziel Olympia näher: Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2011 in Daegu in Südkorea startet er über 400 Meter und mit der Staffel Südafrikas. Im Einzelrennen scheitert Pistorius im Halbfinale, auch die Staffel läuft im Finale ohne ihn. Weil Pistorius jedoch im Halbfinale dabei war, gewinnt er wie seine Staffelkollegen Silber.
Bild: picture-alliance/dpa
Olympischer Traum wird wahr
Im Juli 2012 wird Pistorius für das südafrikanische Olympia-Team 2012 in London nominiert. Er ist der erste beinamputierte Läufer, der bei den Spielen der nicht behinderten Sportler läuft. Im 400-Meter-Einzelrennen erreicht er das Halbfinale, mit der Staffel belegt Pistorius den achten Platz. Bei der Abschlussfeier darf er die Fahne seines Heimatlandes tragen.
Bild: picture-alliance/dpa
Doppel-Paralympicssieger in London
Wenige Wochen später, bei den Paralympischen Spielen in London, ist Pistorius wieder Südafrikas Fahnenträger, allerdings schon bei der Eröffnungsfeier. Über 200 Meter läuft Pistorius im Halbfinale einen neuen Weltrekord, im Endlauf muss er sich jedoch dem Brasilianer Alan Oliveira geschlagen geben. Dennoch gewinnt er noch zweimal Gold: über 400 Meter und mit der 4x100-Meter-Staffel.
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Der Prozess
Seit Februar 2013 sorgt Oscar Pistorius für andere Schlagzeilen. Am Valentinstag erschießt er in seinem Haus in Pretoria durch die geschlossene Tür des Bades seine Freundin Reeva Steenkamp. Aus Versehen, weil er sie für einen Einbrecher hielt, sagt Pistorius. Mit Absicht, sagt der Staatsanwalt.
Bild: Reuters/Herman Verwey
Wohl keine Berufung
Nach einem langen Prozess fällt Richterin Thokozile Masipa das Urteil: fünf Jahre Gefängnis. Berufung ist möglich, aber Pistorius´ Familie kündigte schon an, dass sie das Urteil akzeptiert. Auch die Familie des Opfers zeigte sich zufrieden. Der Gerechtigkeit sei Genüge getan worden, hieß es vom Anwalt der Familie.
Bild: Reuters/Siphiwe Sibeko
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Das relativ milde Urteil hatte in Südafrika Empörung ausgelöst. Für viele war es ein Zeichen gewesen, dass wohlhabende Angehörige der weißen Minderheit vor Gericht immer noch besser behandelt werden als Schwarze. Die Frauenorganisation der Regierungspartei ANC kritisierte zudem, das Urteil sende ein fatales Signal der Nachsicht bei häuslicher Gewalt.