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Administration in Mazedonien

Boris Georgievski/Katerina Blaževska 21. Februar 2014

In Mazedonien werden in der Regel die Jobs im öffentlichen Dienst an die "politische Klientel" vergeben. Am Wahltag wird "die Schuld" gegenüber der Partei "beglichen" - durch das richtige Kreuzchen auf dem Wahlzettel.

Mazedonier vor Wahllokal (Foto: MIA)
Bild: MIA

Gebannt starrten am 6. Oktober 2013 tausende Menschen in Mazedonien auf die Uhr - denn Punkt um zwölf Uhr mittags sollte im ersten Programm des staatlichen Fernsehens die Übertragung der Ziehung der glücklichen Gewinner einer Lotterie beginnen. Dass es ein besonders wichtiges Ereignis war, zeigte auch die Gästeliste der Sendung: Anwesend waren gleich mehrere Minister des kleinen Balkanlandes. Auf die Gewinner warteten zwar keine Millionen, dafür aber etwas anderes, sehr wertvolles: die Einstellung im öffentlichen Dienst. Für viele Menschen in der armen Balkanrepublik ist das wie das Knacken eines Jackpots - die Verwirklichung des Traums von einem sicheren Job.

Mit einer Arbeitslosenquote von etwa 28 Prozent und einem Durchschnittslohn von rund 350 Euro gehört Mazedonien zu den ärmsten Ländern Europas. Die Wirtschaft ist schwach, die Staatsverschuldung wächst von Jahr zu Jahr. Ein Arbeitsplatz in einem staatlichen Betrieb oder in der Verwaltung erscheint in dieser Situation als rettende Insel. Und so verfolgte die Nation gespannt die Fernsehshow, in der von über 30.000 Bewerbern jene 1600 ausgelost wurden, die ab sofort einen Job bekommen sollten.

Politisch loyale Wähler

Dabei sind Masseneinstellungen von hunderten oder sogar tausenden Menschen in die öffentliche Verwaltung in Mazedonien keine Neuigkeit. Besonders seitdem die national-konservative Partei VMRO-DPMNE in der Koalition mit dem albanischen Partner BDI im Jahr 2006 die Regierung übernommen hat, explodiert die Zahl der Beschäftigten in staatlichen Einrichtungen. Laut einer jüngst veröffentlichten Analyse der deutschen Bertelsmann Stiftung stieg ihre Zahl innerhalb der vergangenen sechs Jahre von 90.000 auf über 150.000 - bei insgesamt etwa zwei Millionen Einwohnern. "Die Regierung erhöhte die Zahl der Staatsbediensteten, um so eine große Basis von politisch loyalen Unterstützern im öffentlichen Dienst zu schaffen", stellt der Bertelsmann-Bericht fest. Und die Europäische Kommission fordert in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht über Mazedonien "Verbesserungen, um die Politisierung im öffentlichen Dienst zu bekämpfen."

Viele Mazedonier sind arbeitslosBild: picture-alliance/dpa

Neben den vielen neu geschaffenen Arbeitsplätzen belasten auch rund 270.000 Rentner und 100.000 Sozialhilfeempfänger das Staatsbudget. "So wird der Haushalt zu einer sozialen Institution des Staates. Das einzig wichtige ist, dass die Beschäftigten ihr Gehalt bekommen", sagt Zoran Ivanovski von der Südost-Europa-Universität in Tetovo im DW-Gespräch. Etwa 15 Prozent des mazedonischen Haushalts wird nur für die Gehälter der Staatsbediensteten ausgezahlt, so Ivanovski, wobei "in den Haushalten der einzelnen Behörden über 80 Prozent, teilweise auch 90 Prozent der Mittel für die Gehälter ausgegeben werden." Durch Stellenvergabe kaufe sich die regierende Partei den sozialen Frieden. Und auch für künftige Abstimmungen ergibt sich ein willkommener Nebeneffekt: Die von Parteignaden Beschäftigten erweisen sich als treue Wähler, die ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle machen.

Gehalt - um zu Hause zu bleiben

Dabei haben die Beschäftigten im öffentlichen Dienst schon längst kaum etwas zu tun. Laut mazedonischen Medien geht der größte Teil der Angestellten gar nicht zur Arbeit: Die Menschen sitzen einfach zu Hause und bekommen trotzdem ihren Lohn. Es gebe für sie buchstäblich keinen Platz in den überfüllten Büros. Die mazedonische Arbeitsagentur erklärt, dass "der größte Teil der neu Eingestellten in verschiedenen Institutionen verteilt ist" - wo genau, darüber wird eine präzisere Angabe aber verweigert.

Die regierende Partei kauft sozialen Frieden: Wahlveranstaltung der VMRO-DPMNE in SkopjeBild: Petr Stojanovski

Biljana Jovanovska, frühere Direktorin der Arbeitsagentur, behauptet, dass die Einstellungen eine Stimmeneinsammel-Kampagne für die regierende VMRO-DPMNE sind. "Die aktiven Maßnahmen und die Politik der Beschäftigung verzeichnen immer dann eine höhere Intensität, wenn Wahlen bevorstehen. Das Ziel ist, die Zahl der potenziellen Wähler zu erhöhen", sagt Jovanovska.

Ganz besondere "Wahllisten"

Die Medien in Mazedonien berichten seit längerer Zeit über das Missbrauchspotenzial der arbeitsmarktspolitischen Wohltaten. Vor den vorgezogenen Parlamentswahlen im Jahr 2011 hatten zwei Journalistinnen des mittlerweile geschlossenen TV Senders A1, Natasa Stojanovska und Saska Cvetkovska, Parteilisten der regierenden VMRO-DPMNE entdeckt. Auf diesen Listen waren Namen von Menschen verzeichnet, die nicht nur verpflichtet waren, ihre eigene Stimme der konservativen Partei zu geben, sondern mindestens noch zehn weitere Stimmen ihrer Verwandten oder Freunde zu sichern. "Der Fall 'Listen' deckte nichts Neues auf, er hat nur das bewiesen, was alle schon wussten: Es existiert ein System der Stimmenkäufe", sagt Cvetkovska der Deutschen Welle.

Der größte Teil der Menschen auf diesen Listen soll vorher einen Posten in der öffentlichen Verwaltung bekommen haben. In Telefongesprächen mit den Journalistinnen hatte ein Teil der Menschen bestätigt, dass sie Wähler für die Partei rekrutieren sollten, sonst würden sie ihren Arbeitsplatz verlieren. "Die Menschen wurden mit ihrem Job erpresst, mit den Arbeitsplätzen ihrer Töchter, Söhne, Enkelkinder ...", sagt Saska Cvetkovska. Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Fall formal ermittelt, bestraft wurde aber niemand.

"Das System ist außer Kontrolle"

Der Herr der Wahlen: Regierungschef GruevskiBild: MIA

Nun geht das Spiel munter weiter. Im April soll es in Mazedonien Präsidentschaftswahlen geben. Einige Tage bevor das Parlament darüber Anfang Februar entschieden hat, tauchten in den Zeitungen Hunderte von Anzeigen für neue Einstellungen im öffentlichen Dienst auf. Laut offiziellen Angaben sind auch zusätzliche 4000 sogenannte "subventionierte Arbeitsstellen" geplant - für Personen, die im Privatsektor eingestellt sind, deren Gehälter aber von der Regierung bezuschusst werden.

Auf die Kritik der Opposition antwortete der Ministerpräsident und Vorsitzende der regierenden Partei VMRO-DPMNE, Nikola Gruevski: "Ich verfüge über keinerlei Informationen, dass das Gesetz verletzt worden ist." In Mazedonien also nicht Neues, sagt Saska Cvetkovska: "Das System ist außer Kontrolle. Es besteht kein Unterschied zwischen dem Staat und der Partei. Ich wäre überrascht, wenn sich da etwas ändern würde."