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Staatsverschuldung kann auch sinnvoll sein

7. Juli 2010

Auf mehr als 1,7 Billionen Euro belaufen sich mittlerweile die Verbindlichkeiten der öffentlichen Hand in Deutschland - für die Bürger ein Horror-Szenario. Dabei können Schulden für den Staat durchaus Sinn machen.

Symbolbild Staatsschulden kontra Stimmulierung (DW-Grafik: Per Sander)
Der Staat muss investieren - auch wenn Kredite dafür notwendig sindBild: DW-Montage/AP

Eine hohe Staatsverschuldung gilt hierzulande in der breiten Öffentlichkeit als wahres Schreckgespenst. Dabei hat die Schuldenaufnahme auch wichtige finanzpolitische Funktionen. So könne der Staat beispielsweise in konjunkturellen Krisen eingreifen, sagt Gustav Horn. Der Wirtschaftswissenschaftler leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Autobahnbau - mitfinanziert aus KonjunkturprogrammBild: picture-alliance/ dpa

"Wenn der Staat dann Kredite aufnimmt und das Geld investiert", betont Horn, "gibt er damit Signale an die Privatwirtschaft, damit die dann eben auch wieder investiert und konsumiert." Dadurch könne man die Konjunktur stimulieren und hohe Arbeitslosigkeit vermeiden. Dass man sich in Krisenzeiten verschulde, so Horn, gelte international gesehen als "gutes wirtschaftspolitisches Handwerk". Allerdings sei diese Annahme in manchen Staaten mehr, in anderen weniger verbreitet.

Krisenintervention

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld sieht eine Staatsverschuldung zur Krisenintervention ebenfalls gerechtfertigt. Er meint, vor allem langfristige Investitionen in die Infrastruktur und in Forschungseinrichtungen sollten vom Staat durch Kredite finanziert werden, denn: "Nur wenn der Staat diese Funktion der Investitionen in die Zukunft vornimmt und das ist ja gerade im Augenblick sehr dringend im Bildungssektor – nur dann erfüllt er seine Pflicht."

Damit der Staat diese Pflicht erfüllen kann, nimmt er Kredite auf, indem er Staatsanleihen ausgibt. Das sind festverzinsliche Wertpapiere, die im Normalfall zur sichersten Anlagekategorie zählen und von den Bürgern ruhigen Gewissens zum Vermögensaufbau und -erhalt gekauft werden können.

Die häufig geäußerte Behauptung, dass die heutigen Staatsschulden unsere Kinder und deren Nachkommen unverhältnismäßig benachteiligen, weisen die Wirtschaftsexperten einhellig zurück. "Für Ökonomen ist diese Rhetorik sowieso nicht nachvollziehbar", sagt Werner Abelshauser, "denn wir können nicht Lasten in die Zukunft verschieben. Das geht gar nicht. Jede Generation lebt von dem Sozialprodukt, das sie erarbeitet, und das lässt sich nicht übertragen."

Schulden und kommende Generationen

Gustav Horn formuliert es ähnlich: "Das ist ein schiefes Bild. Selbstverständlich werden Zinsen und Tilgung von der künftigen Generation beglichen werden müssen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: die Staatspapiere werden ja auch weiter vererbt. Wir vererben nicht nur die Schulden sondern wir vererben ja auch das Vermögen. Und davon profitiert die künftige Generation."

Allerdings räumt Horn ein, dass es sehr wohl ein Verteilungsproblem gebe: Nämlich zwischen jenen, die in Zukunft die Staatspapiere besäßen und Zinsen dafür kassierten und jenen, die kein Vermögen bilden könnten. Das sei ein großes Problem, meint der gewerkschaftsnahe Ökonom.

Staatsverschuldung explodiert

Das explosionsartige Anwachsen der Staatsverschuldung dürfte allerdings für die Mehrheit der Bürger das eigentliche Hauptproblem sein. Sie befürchten, dass der Staat durch die hohe Verschuldung irgendwann seine Handlungsfähigkeit verlieren könnte.

Eigentlich soll die Schuldenaufnahme des Staates eng begrenzt werden und ist auf Investitionen zu beschränken, die sich langfristig selbst tragen. Als einzige Ausnahme lässt das deutsche Grundgesetz im Artikel 115 eine erhöhte Schuldenaufnahme nur zu, "zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts", wie es dort heißt.

Politische Rhetorik

Doch habe diese Formulierung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland allen Regierungen einen viel zu weiten Spielraum für die Interpretation gelassen, meint der Experte für Finanz- und Steuerpolitik Winfried Fuest vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Denn Politiker gingen davon aus, höhere Staatsverschuldung sei immer dann erlaubt, wenn ein wirtschaftliches Un-Gleichgewicht herrsche. "Und ein wirtschaftliches Gleichgewicht, in dem wir gleichzeitig Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Preisniveaustabilität haben, hat es so nie gegeben", ist Fuest überzeugt, "und so gesehen war dies ein Persilschein für Politiker zu immer mehr Schulden."

Schlechtes Image

Darunter habe das Image der Staatsverschuldung als sinnvollem Finanzinstrument stark gelitten. Hinzu käme: Politiker aller Parteien würden zwar immer wieder den Schuldenabbau als wichtiges Ziel beschreiben. In Wahrheit meinten sie damit aber lediglich die Verringerung der Neu-Verschuldung. Und das sei in der Bevölkerung so nicht bewusst, ist sich Fuest sicher: "Es gibt ein Ritual, dass jede Bundesregierung von der jeweiligen Opposition der übertriebenen Schuldenmacherei bezichtigt wird. Ändern sich – etwa nach Wahlen - die Machtverhältnisse, geht dieses Spiel in umgekehrter Richtung munter weiter." Aber Schulden abgebaut, habe man in Deutschland nie, betont Fuest. "Die Politiker sprechen von Schuldenabbau, meinen allerdings höchstens die Verlangsamung des Schuldenaufbaus."

Und dabei scheint die sogenannte "Goldene Regel" der Finanzpolitik mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten, die besagt: Neue Schulden dürfen nur für nachhaltige Investitionen gemacht werden.

Autor: Klaus Ulrich

Redaktion: Monika Lohmüller

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