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Europäische Kulturhauptstadt 2012 - Guimarães

2. Januar 2012

Hier, wo einst Fürsten regierten, stand die Wiege Portugals. Sagen die Bewohner. Darüber lächelt man in anderen Teilen des Landes. Eine Orts- und Baustellenbesichtigung.

Palace of the Dukes in Guimaraes (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Domingos Bragança hat es eilig und wer mit ihm Schritt halten will muss sich sputen. Der Vizebürgermeister durchmisst Guimarães mit energischen, großen Schritten. Er ist auch für die Infrastruktur von Europas Kulturhauptstadt 2012 verantwortlich – und damit Herr über zahllose Baustellen, die die Kommune derzeit prägen. Und so zwängt er sich durch Bauzäune, klettert über Sandhaufen, balanciert über provisorische Zugänge und bezwingt Absperrungen aller Art. Bragança ist täglich unterwegs in seiner Stadt – alle kennen ihn, die Bauarbeiter, die Ingenieure und die Bevölkerung. Man grüßt, winkt, wechselt ein freundliches Wort. Für Interviews in seinem Büro hat er keine Zeit. Für ausführliche Gespräche dort, wo gerade gebaut wird, wohl. Also los!

Recherche hinterm Bauzaun

Ein staubiger Rundgang in geräuschvoller Kulisse. Festes Schuhwerk ist dabei ein unentbehrliches Requisit. Die Vorbereitung für das Kulturhauptstadtjahr ist hier eine große Gemeinschaftsanstrengung. Und die Helden des Tages sind die Bauarbeiter, ihre gelben Helme so etwas wie ein Wahrzeichen der Stadt. Auch sonntags wird gehämmert, geklopft, gepflastert, riesige Baufahrzeuge bewegen Erdmassen. Trauben von Menschen stehen an den Zäunen und schauen dem Spektakel zu. Die Verschönerung von Plätzen, Brunnen, Parks, die großen Renovierungsprojekte in der historischen Altstadt - sie zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe - und drüben im alten Industriegebiet sollen pünktlich zur Eröffnung am 21. Januar fertig sein. Domingos Bragança ist optimistisch: "Wir schaffen das".

Hier staubt und lärmt es gewaltig: Der Vize-Bürgermeister und die BauarbeiterBild: Jürgen Hube

Trommeln statt konsumieren

Die Verantwortlichen für das Kulturjahr haben sich viel vorgenommen. Vor allem aber wollen sie anders sein. 'Small is beautiful' ist hier die Devise und das ist nicht nur Zweckoptimismus angesichts knapper werdender Budgets. Programmdirektor Carlos Martins betont: "Ein paar teure Shows zu engagieren ist einfach, das tun viele. Wir wollen mit dem Kulturjahr etwas Bleibendes für die Stadt und ihre Menschen schaffen." Ein attraktiver Platz für Künstler und Kreative soll Guimarães sein – aber auch ein Ort, an dem die Bewohner selbst Spaß daran haben, aktiv zu werden: "Die Leute sollen Trommeln nicht nur hören, sondern auch selbst spielen," sagt Carlos Martins. Er will eine Bühne für professionelle Künstler und für interessierte Laien. Theaterleute, Maler, Musiker werden Workshops geben, die vielen freiwilligen Kulturinitiativen in der Stadt machen mit.

Carlos MartinsBild: Jürgen Hube

Ressource Kunst

Und natürlich erhofft man sich einen Schub für die darbende lokale Wirtschaft in Zeiten der Finanzkrise, die auch Portugal erfasst hat. Martins und seine Mitstreiter strahlen trotz schwieriger Rahmenbedingungen Enthusiasmus aus. Man fühle sich nicht als Opfer, sagen sie und betrachten Kultur und Kreativität als einen Motor für Entwicklung. Auch bei geringeren Ressourcen. Man müsse solide wirtschaften, mit dem vorhandenen Geld verantwortungsvoll umgehen – und Modell sein. Dafür wie die Zukunft kleinerer europäischer Städte im postindustriellen Zeitalter gestaltet werden könne.

Junge Stadt

Vorerst sieht es tatsächlich so aus, als ob das europäische Kulturjahr auf dem lokalen Arbeitsmarkt der Stadt für Bewegung sorgt. Architekten- und Ingenieurbüros haben gut zu tun, Kulturinitiativen, so genannte "associaciones", entwerfen Programmbeiträge, auf dem Gelände des alten Marktes entstehen ein großes neues Museum und Künstlerateliers für 'artists in residence'. Die örtliche Universität wird profitieren: Jenseits des historischen Zentrums steht schon der Rohbau einer schicken Akademie für Design und Gestaltung. Immerhin: Guimarães, das so stolz ist auf seine mehr als tausendjährige Geschichte, ist die jüngste Stadt Portugals. Die Hälfte der rund 50 000 Einwohner ist unter dreißig Jahre alt. Es gibt hier 6000 Studierende. Man sieht sie mit ihren Laptops überall in den Cafes und den Parks.

Strukturwandel

Das Zentrum ist nicht, wie anderswo so oft, zur musealen Kulisse für den Rundgang von Tagestouristen verkommen. Hier wohnt und arbeitet man, auch hinter den sorgfältig restaurierten Fassaden von Häusern aus dem 18. Jahrhundert. Die wunderschönen Plätze sind auch abends und am Wochenende belebt. Aber es gibt eben auch eine Arbeitslosenquote von 15 Prozent. Guimarães war einst Zentrum der portugiesischen Textil- und Lederindustrie – und hat tausende Arbeitsplätze an die Globalisierung verloren. Jetzt wird in Asien produziert. Fabrikhallen stehen leer, Arbeitskräfte sind abgewandert, neue Perspektiven müssen sich erst herausbilden. Eine Chance für die Kunst, wenn man die knappe Zeit nur richtig nutze – heißt es im Kulturzentrum Vila Flor, wo die Projektverantwortlichen sitzen.

Schräge Dächer, schräge Aussicht: Blick aus dem DesigncenterBild: Jürgen Hube

Vinho verde!

Stunden später: die Füße schmerzen, alles ist staubig - Gelegenheit, in der Cervejeria Marins, direkt am Bauzaun, bei einem Glas Vinho Verde zu verschnaufen. Am langen Tresen, unter den Schals vieler europäischer Fußballteams, steht Demian Marins, der Wirt, und freut sich, dass sein Lokal trotz Baulärms gut läuft. Vizebürgermeister Domingos Braganca hat allerdings keine Zeit für eine Erholungspause. Er muss weiter. Ins Rathaus jetzt. Zur Sitzung.

Hinterm Tresen: Wirt und ChefkochBild: DW

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Gudrun Stegen