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Merz und das Stadtbild: "Fragen Sie Ihre Töchter"

22. Oktober 2025

Bundeskanzler Friedrich Merz bringt das angeblich oft problematische Stadtbild in Deutschland erneut in einen Zusammenhang mit der hohen Anzahl von Migranten. Das empört viele - auch den Koalitionspartner SPD.

Friedrich Merz steht bei  einer Pressekonferenz im CDU-Hauptquartier in Berlin vor dem Rednerpult und hat beide Hände erhoben
"Fragen Sie doch mal Ihre Töchter!" Kanzler Friedrich Merz am Montag während der Pressekonferenz in der CDU-Parteizentrale in Berlin Bild: Annegret Hilse/REUTERS

Ein paar Tage hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Zeit gehabt seit dem Dienstag vergangener Woche, um klarer zu sagen, was er denn gemeint hat mit seiner viel diskutierten Bemerkung über Mängel im "Stadtbild" deutscher Orte und Metropolen. Am Dienstag vergangener Woche nämlich hatte Merz bei einem Besuch in Potsdam über die verschärfte Migrationspolitik seiner Regierung gesprochen. Diese werde vor allem die illegale Zuwanderung weiter bekämpfen, so Merz. Aber dann fügte er noch einen Satz hinzu, und vor allem der erhitzt seitdem die Gemüter: "Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen."

Nicht wenige Beobachter werteten diese Aussage als diskriminierend. Merz, so Kritiker von den Oppositionsparteien Grünen und Linken, aber aus aus der Regierungspartei SPD, warfen dem Kanzler vor, Vorurteile zu schüren und die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben.


Jetzt, am Anfang der Woche, steht Merz in Berlin in der Zentrale seiner konservativen Partei und beantwortet einer der vielen Fragen, die darauf abzielen, zum Thema "Stadtbild" mehr Klarheit zu erzielen. Also: Hat der Bundeskanzler etwas zurückzunehmen? Was hält er von der massiven Kritik an seiner Äußerung?

Merz: "Das Problem gibt es spätestens mit Einbruch der Dunkelheit"

Muss sich der Kanzler also etwa bei den Migranten in Deutschland entschuldigen? Friedrich Merz  blickt jetzt den Fragesteller fast belustigt an, ein feines Lächeln spielt um seine Lippen, als er antwortet: "Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben. Und wenn unter diesen Kindern Töchter sind, dann fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und eindeutige Antwort. Ich habe gar nichts zurückzunehmen." Um weitere Nachfragen kommt der deutsche Regierungschef nicht herum, am Ende sagt er dann noch einmal: "Es gibt viele, die das so sagen, bewerten und beurteilen. Und noch einmal: Fragen Sie Ihre Kinder, fragen Sie Ihre Töchter, fragen Sie im Freundes- und Verwandtenkreis. Alle bestätigen, dass das ein Problem ist. Spätestens mit Einbruch der Dunkelheit."

Neubauer: Keinen Bock, für rassistische Aussagen missbraucht zu werden

Die neuerlichen Äußerungen des Kanzlers wurden von vielen erneut als diskriminierend wahrgenommen. Die 29-jährige Klima-Aktivistin Luisa Neubauer schrieb auf Instagram: "Wir sind plusminus 40 Millionen Töchter in diesem Land. Wir haben ein aufrichtiges Interesse daran, dass man sich mit unserer Sicherheit beschäftigt. Worauf wir gar keinen Bock haben, ist, als Vorwand oder Rechtfertigung missbraucht zu werden für Aussagen, die unterm Strich einfach diskriminierend, rassistisch und umfassend verletzend waren."

Nachdem es am Sonntag bereits eine Demo am Brandenburger Tor in Berlin gegeben hatte, protestierten am Dienstagabend - nach der "Töchter"-Aussage -  erneut Tausende Menschen, diesmal vor der Parteizentrale der CDU. Dazu aufgerufen hatte das Bündnis "Zusammen gegen Rechts" unter dem Motto "Feministische Kundgebung: Wir sind die Töchter".

Protest gegen Merz' "Stadtbild"-Äußerungen

02:22

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Merz und die Migranten

Worauf Merz mit seinen Aussagen wohl angespielt hat, ist Kriminalität, Müll und Verwahrlosung, Belästigungen und auch sexuelle Übergriffe in deutschen Städten, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Wenn Merz, wie er sagt, nichts zurückzunehmen hat, dann sind an diesen Zuständen seiner Ansicht nach im wesentlichen Migranten Schuld. Geflüchtete. Die Zahl der Flüchtenden zu verringern, ist ja genau die Politik, die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt von der CSU im Auftrag des Kanzlers betreiben soll.

DW-Straßenumfrage: gemischtes Bild

Seit Tagen sind die Schlagzeilen in Deutschland bestimmt von der Debatte um das "Stadtbild". Wie bewerten die Menschen auf den Straßen Berlins die Einlassungen des Kanzlers? An der Friedrichstraße im Herzen der Hauptstadt, in dieser Woche: Ein Mann sagt: "Die Aussage fand ich jetzt nicht so glücklich. Wenn ich das sagen würde oder Sie, wäre das in Ordnung. Aber der Bundeskanzler muss seine Worte etwas mehr abwägen, oder?" Und eine ältere Frau zeigt mit der Hand auf die teilweise gesperrte Straße und sagt: "Die Migranten machen nicht dieses Stadtbild und stellen all' die Baustellen-Schilder auf. Das ist ja nun wirklich an den Haaren herbeigezogen." Ein junger Mann fügt hinzu: "Es gibt sicher hier und da Probleme bei der Migration. Aber das kann man ja auch sachlich behandeln." Und ein weiterer älterer Mann sagt: "Viele werden da über einen Kamm geschoren. Da sind arme und ehrliche Menschen dabei, und da sind welche dabei, die uns ausnutzen. Da müsste man mehr differenzieren."

Ungefähr so ist auch das Ergebnis einer bundesweiten Umfrage zu bewerten, die das Nachrichtenportal von "t-online" bereits in der vergangenen Woche veröffentlicht hat. Die Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut "Civey" mit 2500 repräsentativ Ausgewählten erstellt. Danach halten 33 Prozent der Befragten die Äußerung von Merz für ausländerfeindlich, 59 Prozent sagen, das sei nicht oder eher nicht der Fall. Ein gemischtes Bild also: Kritik an der Wortwahl, aber auch Verständnis dafür, dass Merz einen offensichtlichen Mangel anspricht.

"Wir sind das Stadtbild": Schon am Wochenende demonstrierten rund 1000 Menschen in Berlin gegen die Äußerungen von Friedrich Merz Bild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

Kriminologin Karstedt: "Deutschland wird seit Jahren immer sicherer"

Hat Deutschland ein Problem mit erhöhter Kriminalität? Die DW hat bereits im September genauer nachgefragt und unter anderem mit der Kriminologin Susanne Karstedt gesprochen. Sie sagt, das Bahnhofsviertel etwa in Frankfurt am Main sei schon seit langer Zeit von Prostitution geprägt: "Das hat Gewalt- und Drogenkriminalität nach sich gezogen." Es gebe solche vereinzelten Gebiete mit sehr hohen Kriminalitätsraten. Wie in vielen anderen Ländern auch sei die Kriminalität dabei in Städten höher als auf dem Land. Doch insgesamt könne man Deutschland als "sehr sicheres Land" ansehen, fügt Karstedt hinzu: "Wie in anderen westeuropäischen Ländern auch ist die Kriminalität seit den 1980er und 1990er Jahren hier gesunken." In der offiziellen Statistik des Bundeskriminalamtes klingt das dann so: 2024 wurden von 10.0000 deutschen Einwohnern 1878 Personen ab acht Jahren straffällig, unter den nichtdeutschen Einwohnern sind es 5091. Das Bundeskriminalamt fügt aber hinzu, vor allem die Gruppe junger männlicher Geflüchteter, oft aus Bürgerkriegsgebieten, traumatisiert und in Deutschland oft isoliert, sei für den höheren Anteil verantwortlich.

Kritik an Merz auch vom Koalitionspartner

Die Debatte um die "Stadtbild-Äußerung" von Friedrich Merz hat mittlerweile auch die Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten erreicht.  Der Generalsekretär der SPD, Tim Klüssendorf, nannte die erneuten Äußerungen von Merz "schwer erträglich". Der Kanzler vermenge Dinge, die nicht vermengt gehörten, sagte Klüssendorf am Montagabend im Nachrichtensender "ntv": Es dürfe nicht verboten sein, Probleme zu adressieren, betonte Klüssendorf. Aber diese mit Rückführungen, also Abschiebungen, lösen zu wollen, halte er für falsch. Er frage sich, was das mit Menschen mache, die zugewandert seien und anders aussehen als zum Beispiel Friedrich Merz. "Das ist kein schönes Gefühl und ich finde, dass wir das unterlassen sollten." Im Moment scheint der Bundeskanzler dazu aber nicht bereit zu sein.

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