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Stadtplaner Burdett: "Städte müssen gerecht sein"

Sonia Phalnikar, Übersetzung: Dirk Kaufmann13. November 2014

Vor Beginn der "Urban Age"-Konferenz in Neu Delhi traf DW den renommierten Stadtplaner Ricky Burdett. Er sprach über Urbanisierung und darüber, dass Städte nicht nur nachhaltig, sondern auch gerecht sein müssen.

Indien Neu-Delhi Müllkippe
Bild: AP

DW: Warum wurde New Delhi als Gastgeberstadt der diesjährigen Urban-Age-Konferenz ausgewählt?

Ricky Burdett: Wir haben Konferenzen in Städten veranstaltet, die wie Istanbul, Rio de Janeiro oder Mumbai schnell wachsen, aber auch in New York und London, deren Erscheinungsbild und deren "DNA" sich durch Zuwanderung und andere Einflüsse verändert. Zweifellos ist Neu Delhi ein interessantes Beispiel dafür, wenn man die imperiale Vergangenheit der Stadt denkt, die sich in der viktorianischen Architektur und dem Stadt-Layout widerspiegelt. Darüber hinaus ist sie eine sich rasant ausbreitende Stadt mit all den Schwierigkeiten, die wir in dabei kennengelernt haben: Kein bezahlbarer Wohnraum und große Probleme mit dem Verkehr. Es gibt nur wenige Städte, die all das auf sich vereinen. Gleichzeitig ist die U-Bahn in Delhi eine fantastische Investition, genauso wie die Tatsache, dass die Auto-Rikschas und die Busse auf Gas-Betrieb umgestellt werden. Das ist erstaunlich mutig. Dazu kommt, dass die indische Regierung über "Smart Cities" nachdenkt. Das ist ein sehr anregendes Umfeld für unsere Diskussionen.

In diesem Jahr hat Indiens Premierminister Narendra Modi angekündigt, im kommenden Jahr 1,2 Milliarden US-Dollar in Smart Cities zu investieren. Was halten Sie als Architekt und Stadtplaner von diesem Plan?

Ich finde dem Begriff "Smart Cities" problematisch, weil es sich so nach "High-tech" anhört. Dabei geht es, wenn man eine Stadt "smart" machen will, nicht nur um Technik. Es geht eher um die Lösung ganz fundamentaler Probleme. Informations-Technologie kann dabei helfen, aber ich denke, für Indien ist es nicht entscheidend, alles von IBM oder Cisco verkabeln zu lassen oder überall Monitore aufzustellen. Es kommt eher darauf an, smarte Technologien dafür zu nutzen, den Verkehr oder den Gesundheitsdienst effizienter zu machen, um die Lebensqualität der Bevölkerung zu steigern und nicht darauf, über futuristische Städte nachzudenken.

In Indien leben so viele Menschen unter fürchterlichen Umständen – dort muss die "Smartness" eingesetzt werden. Meinem Verständnis nach sind "Smart Cities" nicht neue Städte, die wie in Südkorea, China oder dem Nahen Osten aus Wolkenkratzern und elektrischen Autos bestehen. Dies sind Zerrbilder von "Smart Cities". Sie sind teuer und lösen ganz bestimmt nicht die Probleme, die Indien hat. Es ermutigt mich zu hören, dass die Inder planen, bestehende Städte neu auszustatten. Darüber wird auf der Konferenz bestimmt viel diskutiert werden.

Bild: LSE Cities

Sie haben einmal gesagt, wir lebten in einer Welt der "Stadt ohne Grenzen". Was werden die Herausforderungen dieser modernen Städte sein?

Städte wie Mumbai, Istanbul, Lagos und Sao Paulo sind schneller und gewaltiger gewachsen als London oder New York. Lagos etwa ist um rund 600.000 Menschen im Jahr gewachsen! Das heißt, stündlich ziehen etwa 70 Menschen in die Stadt oder werden in ihr geboren. Was das für die Infrastruktur einer Städte bedeutet, dafür gibt es kein Beispiel. Besorgniserregend ist, dass viele afrikanische Städte einen rasanten Bevölkerungszuwachs verzeichnen, ohne den wirtschaftlichen Aufschwung, den wir im 19. Jahrhundert in Europa und den USA hatten. Es schafft eine tickende gesellschaftliche Zeitbombe, wenn immer mehr Menschen in die Städte ziehen und in prekären Verhältnissen leben, ohne Zugang zur Infrastruktur. Das führt zu tiefer Ungleichheit und zu Gewalt.

Die andere große Herausforderung ist die Umwelt: Städte sind die Motoren der Weltwirtschaft, sie verbrauchen sehr viel Energie und tragen erheblich zur Umweltverschmutzung bei. Rund 60 bis 75 Prozent der globalen CO2-Ausstosses kommen aus den Städten. Das ist eine gewaltige Menge und das heißt: Wenn eine neue Generation von Städten, und das müssen eben keine neue Städte sein, sondern können auch besser ausgestattete bereits bestehende Städte sein, umweltfreundlicher werden, hätte das, besonders bei den großen Städten, einen dramatischen Einfluss auf unseren Planeten.

Gibt es denn Städte, die diese Probleme bereits erfolgreich angehen?

Absolut! Das ist ja keine ausweglose Situation und man kann sie lösen durch gute Stadtplanung und geschicktes Management, auch wenn es an Ressourcen fehlt. Eine der innovativsten Regionen ist Latein-Amerika. In Kolumbien zum Beispiel, mit all seinen Problemen von Drogen und Gewalt, stechen besonders Bogota und Medellin heraus. Beide Städte haben in den vergangenen 15 bis 20 Jahren viel getan: Schulen eingerichtet, bezahlbaren guten Wohntraum geschaffen, Büchereien eröffnet, Radwege gebaut und für Schnellbuslinien gesorgt - jetzt müssen die Menschen nicht mehr vier Stunden unterwegs sein für einen Job, den sie in einer halben Stunde erledigen können.

In Asien gibt es dagegen größere Investitionen, sozusagen eine Entwicklung von oben nach unten, im Vergleich zu Latein-Amerika. Singapur sticht dabei heraus, was immer wir auch von seinem politischen System halten. Dort leben 80 Prozent der Bevölkerung in Sozialwohnungen, das ist ein außergewöhnliches Konzept. Das ist eine Investition, um elementare Bedürfnisse zu befriedigen und das Problem der Ungleichheit zu vermeiden, unter dem so viele Städte leiden. In Japan und vielen chinesischen Städten werden große Summen in den öffentlichen Nahverkehr investiert. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und der Mobilität der arbeitenden Menschen ein großer Fortschritt.

Das Thema der diesjährigen Konferenz ist "Stadtverwaltung". Was macht eine Stadt erfolgreich? Gute Kommunalpolitiker oder visionäre Architekten?

Ich bin selbst Architekt, aber ich glaube nicht, dass Architekten die Lösung sind. Um herauszufinden, wohin eine Stadt sich entwickeln soll, wie sie sich verbessern kann oder welche Werte sie verkörpert - dazu braucht man gute Kommunalpolitiker. Sie müssen einen Wandel herbeiführen, der oft gegen einen nationalen Trend läuft.

Schauen Sie sich Spanien an. Mit dem Land ist es über die Jahre auf und abgegangen, aber die Stadt Barcelona hatte fünf Bürgermeister hintereinander, die alle die Vision einer dynamischen Stadt hatten: Sie waren offen für Zuwanderung aus anderen Ländern, sie schufen Jobs in der High-Tech-Branche und verbesserten die Lebensqualität öffentlicher Plätze, wie zum Beispiel am Hafen.

Oder in London, wo es seit 2000 nur zwei verschiedene Bürgermeister gab, die eine riesige Summe Geld von der Regierung bekommen haben. Weil sie eben immer wieder an die Tür des Premierministers geklopft haben. Jetzt haben wir, um nur ein kleines Beispiel zu nennen, eine neue Bahnlinie, die "Cross-Rail", die 2018 eröffnet wird. Das wäre nie geschehen, wenn die Bürgermeister nicht dafür gekämpft hätten: Führerschaft ist fundamental. Urbane Visionen sind wichtig, aber ich denke: Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder die Frage, wie umweltverträglich eine Stadt ist - das sind wichtige Faktoren, die am Ende auch die Visionen der Architekten verändern.

Der international renommierte Stadtplaner Ricky Burdett ist Chef des LSE Cities Programme und Autor des Buches "The endless City". Er war Chef-Berater für Architektur und Stadtplanung bei den Olympischen Spielen in London 2012 und ist der Gründer des "Urban Age"-Projektes. Das ist eine gemeinsame Initiative der London School of Economics and Political Science und der deutschen Alfred-Herrhausen-Stiftung. Sie veranstaltet am 14. und 15. November 2014 eine internationale Konferenz in Neu Delhi, an der Architekten, Stadtplaner, Aktivisten, Geschäftsleute, Akademiker und Politiker teilnehmen.

Die Fragen stellte Sonia Phalnikar.

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