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Staeck: "Merkel macht einen großen Fehler"

Jan Bruck15. April 2016

Deutschlands Intellektuelle üben scharfe Kritik an Merkels Böhmermann-Entscheidung. Klaus Staeck, früher Präsident der Akademie der Künste, wirft der Kanzlerin im DW-Interview vor, gegenüber Erdogan eingeknickt zu sein.

Klaus Staeck (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Die Bundeskanzlerin hat die Ermächtigung zur Strafverfolgung von Jan Böhmermann erteilt. Was ist Ihre Reaktion?

Klaus Staeck: Ich habe die Entscheidung befürchtet. Die Bundeskanzlerin hat seinerzeit einen Fehler gemacht, als sie die Böhmermann-Satire als bewusst verletzend einschätzte. Sie hat diesem Fehler einen neuen, großen Fehler hinzugefügt. Sie war in einer Zwickmühle und musste sich entscheiden zwischen Herrn Erdogan und der Meinungsfreiheit. Weil sie sich offenbar in einer Zwangslage befindet, hat sie sich nun doch für Herrn Erdogan entschieden.

Worin besteht der Fehler Merkels konkret?

Wir haben eine Gewaltenteilung. Darüber, ob eine Beleidigung vorliegt oder nicht, entscheiden bei uns die Gerichte. Ich habe selbst 41 Mal das 'Vergnügen' gehabt, wegen meiner satirischen Arbeiten vor Gericht zu stehen. Gott sei Dank habe ich immer Recht behalten und bin nie verurteilt worden. Deshalb habe ich auch immer großes Vertrauen in die Gerichte gehabt. Im Fall von Herrn Böhmermann muss es ja überhaupt erst zum Prozess kommen. Die Staatsanwaltschaft muss erst einmal Anklage erheben. Aber ich glaube, dass Herr Böhmermann gute Chancen vor deutschen Gerichten hat. Diese haben sich immer sehr schützend vor die Meinungsfreiheit gestellt, jedenfalls bisher.

Ihre Prognose für Jan Böhmermann im Falle einer Anklage klingt optimistisch. Sie haben sein Gedicht aber selbst als "unter der Gürtellinie" kritisiert …

Es ist eine Frage, ob das Gedicht gute oder schlechte Satire ist. Ich weiß nicht, ob es einen Platz im Satire-Himmel verdient hat. Trotzdem bin ich auf der Seite Böhmermanns, unabhängig davon, wie gut oder schlecht ich dieses Gedicht finde. Die Meinungsfreiheit überwiegt natürlich. Darauf hat Herr Böhmermann so oder so Anspruch.

Sehen Sie die Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland durch diese Entscheidung eingeschränkt?

Die Entscheidung zeigt zunächst einmal die Schwäche der Regierung und vor allen Dingen die von Frau Merkel. Ob die Meinungsfreiheit durch diesen Fall eingeschränkt wird, wird sich zeigen müssen. Es wäre natürlich eine Katastrophe, wenn jemand, der in seinem Land die Meinungsfreiheit mit Füßen tritt, in einem demokratischen Land in dieser Frage die Oberhand gewinnen würde. Das ist eine furchtbare Vorstellung. Aber ich bin überzeugt, dass die Richter auch in diesem Fall für die Meinungsfreiheit entscheiden werden. Sie ist der oberste Wert, um den es gehen sollte. Nicht um die Abhängigkeit Frau Merkels vom Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Wir müssen offenbar einen Kotau machen, um diesen Deal zu retten. Das ist der eigentliche Hintergrund der Entscheidung Merkels.

Hat sich die Kanzlerin also in eine Sackgasse manövriert?

Ja, und in dieser Sackgasse befindet sie sich auch jetzt noch. Die Entscheidung hat sie nun an die Gerichte delegiert, wo sie letztendlich auch hingehört. Durch ihre voreilige Verurteilung des Gedichts hatte Frau Merkel schon eine Wertung abgegeben. Diese Wertung hat Herrn Erdogan sicherlich noch ermutigt, den Strafantrag zu stellen.

Sie haben wegen ihrer provokanten Arbeiten selbst schon vor Gericht gestanden. Was würden Sie Jan Böhmermann jetzt raten?

Ruhe bewahren und nicht auf die Idee kommen, sich doch noch eine Schere im Kopf anzuschaffen. Das ist der absolut falsche Weg. Satire ohne Risiko gibt es nicht. Das weiß jeder, der sich diesem Metier verschrieben hat. Und abgesehen davon: So viel Solidarität wie Herr Böhmermann jetzt erfährt, hätte ich mir manchmal in meinen Prozessen auch gewünscht.

Klaus Staeck, Jahrgang 1938, ist ein deutscher Grafikdesigner, Karikaturist und Jurist. Von 2006 bis 2015 war er Präsident der Akademie der Künste in Berlin.

Das Interview führte Jan Bruck.

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