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Vor 80 Jahren: Stalingrad als Wende im Zweiten Weltkrieg

2. Februar 2023

Am 2. Februar 1943 endete im Südwesten Russlands die Schlacht von Stalingrad mit einer Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Heute nutzt der Kreml das Gedenken für den Ukraine-Feldzug und zieht Parallelen.

Zerlumpte, verfrorene Soldaten in verschneiter Trümmerlandschaft
Halb erfroren, halb verhungert, demoralisiert: Deutsche Soldaten im Januar 1943 im zerstörten StalingradBild: AP Photo/picture-alliance

Eigentlich war die russische Industriestadt an der Wolga für die deutsche Wehrmacht nur als Etappenziel gedacht, um die Ölfelder des Kaukasus zu erobern. Wegen des Namens - heute heißt die Stadt Wolgograd - hatte Stalingrad aber sowohl für den deutschen Diktator Adolf Hitler als auch für seinen sowjetischen Gegenspieler Josef Stalin eine Bedeutung, die über das Strategische hinausging.

Wegen der sehr langen Nachschubwege war die deutsche Offensive der 6. Armee unter General Friedrich Paulus auf Stalingrad von vornherein riskant. Sie beginnt Mitte August 1942 mit zunächst spektakulären Erfolgen, gut ein Jahr nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, der im Winter 1941/42 steckenblieb.

Hitler sagt beim Beginn der Offensive auf Stalingrad: "Die Russen sind am Ende ihrer Kraft." Das sollte sich als großer Irrtum erweisen. Zwar kann die Wehrmacht trotz starker Widerstände bis Mitte November den größten Teil der Stadt einnehmen. Gleichzeitig beginnt die Rote Armee aber einen Zangenangriff.

Bereits Ende November sind die gesamte 6. Armee des Dritten Reichs und Teile der sie unterstützenden 4. Panzerarmee eingeschlossen, fast 300.000 Mann. Auf Befehl Hitlers müssen sie aber unbedingt die Stellung halten. Ähnlich hatte auch Stalin bereits im Juli den Befehl "Keinen Schritt zurück" ausgegeben.

Wehrmachtssoldaten entladen ein Transportflugzeug (Winter 1942/43): Luftbrücke völlig unzureichendBild: picture-alliance/akg-images

Die deutschen Soldaten werden eingekesselt. Ihre Lage verschlechtert sich rapide. Mit einer großangelegten Luftbrücke werden sie wochenlang versorgt.

Doch zu keinem Zeitpunkt reichen die Transporte aus. Mit der vorrückenden Roten Armee kommt immer weniger an. Im Laufe des Winters wird es bis zu minus 30 Grad kalt. Daher sterben die meisten der eingekesselten deutschen Soldaten nicht durch Kampfhandlungen, sondern durch Unterernährung und Kälte. Die immer wieder versprochene sogenannte "Entsatzoffensive" scheitert.

Erst ganz zum Schluss widersetzt sich Paulus

Trotzdem hält sich General Paulus immer noch an Hitlers strikten Befehl, "bis zum letzten Soldaten" auszuharren, und lehnt am 8. Januar 1943 ein sowjetisches Kapitulationsangebot ab. Noch am 29. Januar - die Lage ist bereits völlig aussichtslos - funkt Paulus an Hitler: "Zum Jahrestage Ihrer Machtübernahme grüßt die 6. Armee ihren Führer. Noch weht die Hakenkreuzfahne über Stalingrad. Unser Kampf möge den lebenden und kommenden Generationen ein Beispiel dafür sein, auch in der hoffnungslosesten Lage nie zu kapitulieren, dann wird Deutschland siegen. Heil mein Führer!"

Kriegsgefangener Paulus (l.) mit seinem Stabschef und einem Adjutanten nach der Aufgabe am 31. Januar 1943Bild: Mary Evans Picture Library/Alexa/picture alliance

Doch Paulus' Treue ist nicht grenzenlos. Als die Rote Armee am 31. Januar in sein Hauptquartier im Keller eines Kaufhauses eindringt, geht der Kommandeur in Gefangenschaft. Er hat auch seinen Offizieren den Selbstmord verboten, weil sie das Schicksal der einfachen Soldaten teilen sollten.

Inzwischen ist der Kessel von Stalingrad geteilt in einen Süd- und einen Nordkessel. Nach dem Südkessel kapituliert am 2. Februar 1943 auch der Nordkessel. Daher ist heute der 2. Februar in Russland der Gedenktag an die Schlacht. Die deutschen Soldaten kommen in Gefangenschaft. Hitler ist außer sich, als er von der Kapitulation erfährt.

Unglaublicher Blutzoll

Die Bilanz der Schlacht: mehr als eine halbe Million Tote auf sowjetischer Seite, darunter zahlreiche Zivilisten. Stalin hatte eine Evakuierung der Stadt lange verhindert. Bereits in den ersten Tagen kommen mehr als 40.000 Bürger von Stalingrad durch deutsche Luftangriffe ums Leben.

Und die Armee des deutschen Nazi-Regimes geht, besonders an der Ostfront, brutal auch gegen Zivilisten vor. Von den rund 75.000, die bis zum Ende der Kämpfe bleiben, verhungern oder erfrieren viele. Auf deutscher Seite schwanken die Schätzungen der Gefallenen zwischen 150.000 und 250.000. Von den fast 100.000 Deutschen, die in sowjetische Kriegsgefangenschaft kommen, kehren bis 1956 nur etwa 6000 Überlebende nach Deutschland zurück, darunter Friedrich Paulus.

Wrack eines deutschen Flugzeugs in den Trümmern der völlig zerstörten StadtBild: dpa/picture-alliance

Es war für die deutsche Wehrmacht nicht einmal die verlustreichste, rein militärisch auch nicht die wichtigste Schlacht des Zweiten Weltkrieges, doch psychologisch hatte sie ungeheure Bedeutung. Auch deshalb, weil sie sowohl von Stalin als auch von Hitler als Prestigeduell gesehen wurde.

"Bei Stalingrad verteidigen wir unsere Mutter Russland", schrieb der sowjetische Schriftsteller Ilja Ehrenburg damals. "Das ist tatsächlich eine Frage auf Leben und Tod, und unser Prestige hängt gleichwie das der Sowjetunion in stärkstem Maße von ihrem Ausgang ab", hatte Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels notiert. Die Schlacht sollte der große Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg werden. Spätestens seit dieser Niederlage geriet Hitler-Deutschland immer mehr in die Defensive.

Stalingrad und Ukraine-Krieg

Die für die Sowjetunion siegreiche Schlacht von Stalingrad wurde zum Mythos. Man hatte die Armee des nationalsozialistischen Deutschlands, die lange als die stärkste Armee der Welt galt, entscheidend geschlagen.

Und diesen Mythos bedient die russische Führung heute erneut - ausgerechnet im Krieg gegen die Ukraine. Der Kreml bemüht sich seit Monaten, den Einsatz in der Ukraine als einen neuen Kampf gegen Nazis an der Spitze des ukrainischen Staates darzustellen, die die russischsprachige Bevölkerung im Osten der Ukraine ausrotten wollten. Schon als er den Angriffsbefehl gab, kündigte Präsident Wladimir Putin an, er werde die Ukraine "entnazifizieren".

 

Präsident Wladimir Putin hat wiederholt davon gesprochen, er wolle die Ukraine "entnazifizieren"Bild: Pavel Bednyakov/Kremlin/REUTERS

Auch das Stalingrad-Museum im heutigen Wolgograd wird in diese Darstellung eingebunden. Das Museum beherbergt seit Jahren eine der meistbesuchten Ausstellungen Russlands. Es hat jetzt Feierlichkeiten für die Familien russischer Soldaten organisiert, die in der Ukraine gefallen sind. Im Museum fand auch eine Zeremonie der vom Verteidigungsministerium finanzierten patriotischen Jugendarmee statt, bei der Kinder als "Nachfahren der Sieger von Stalingrad" gerühmt wurden. Die bekannten Kriegsdenkmäler von Wolgograd wurden auch Treffpunkte für Soldaten auf dem Weg in die Ukraine.

Dabei kann Putins Zuschreibung "Nazis" für die ukrainische Führung als reiner Vorwand für seinen Angriffskrieg gelten. Und die von ihm gezogenen Parallelen zwischen heute und der Zeit vor 80 Jahren sind historisch nicht haltbar. Der entscheidende Unterschied: 1941 wurde die Sowjetunion von Nazi-Deutschland überfallen - 2022 hat der Nachfolgestaat Russland das Nachbarland Ukraine angegriffen, ohne selbst bedroht worden zu sein. 

Neue Stalin-Büste enthüllt

Wie unterschiedlich die Vergangenheit in Russland und der Ukraine gesehen wird, das wird auch bei der Bewertung der Person Josef Stalins deutlich: Zum 80. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad wurde jetzt eine neue Büste des früheren sowjetischen Diktators enthüllt - in Wolgograd, das wegen Stalins Schreckensherrschaft, der Millionen Menschen zum Opfer fielen, nach seinem Tod umbenannt wurde. 

In der Ukraine gilt Stalin als Urheber des sogenannten Holodomor ("Mord durch Hunger"). In den Jahren 1932 und 1933 fielen allein in der Ukraine bis zu vier Millionen Menschen einer schweren Hungersnot zum Opfer, die nach vorherrschender ukrainischer Meinung bewusst herbeigeführt wurde, um den Widerstand ukrainischer Bauern gegen ihre Zwangskollektivierung zu brechen. So sehen es auch der Deutsche Bundestag und das Europaparlament, die beide Ende vergangenen Jahres den Holodomor als Völkermord einstuften. 

Zum 80. Jahrestag der Schlacht wurde in Wolgograd eine neue Büste Stalins enthülltBild: Pavel Bednyakov/Sputnik/SNA/IMAGO

Die Reaktion aus Moskau damals: Die Abgeordneten des Bundestages hätten "entschieden, diesen politischen und ideologischen Mythos trotzig zu unterstützen, der von den ukrainischen Behörden auf Betreiben von ultranationalistischen, nazistischen und russophoben Kräften gepflegt wird", hieß es aus dem russischen Außenministerium. 

Gemeinsamer deutsch-russischer Soldatenfriedhof

Immerhin bei den Toten der Schlacht von Stalingrad haben russische und deutsche Behörden bisher zusammengearbeitet. Noch immer werden bei Bauarbeiten in Wolgograd und ihrer Umgebung Leichen und ganze Massengräber gefunden, natürlich auch die Leichen deutscher Soldaten.

Soldatenfriedhof in Rossoschka: Deutsche und russische Soldatengräber, nur geteilt durch eine kleine StraßeBild: DW/R. Richter

Dank der Zusammenarbeit zwischen dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge und den russischen Behörden wurden die sterblichen Überreste auf offizielle Soldatenfriedhöfe wie etwa Rossoschka außerhalb von Wolgograd umgebettet. Hier sind Soldaten der deutschen Wehrmacht und Angehörige der Roten Armee begraben, getrennt zwar von einer Straße, aber doch auf einem gemeinsamen Friedhof.

Dies ist ein aktualisierter Artikel vom 02.02.2018

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