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Standort Deutschland: Alles Schwarzmalerei?

Ina Rottscheidt4. Juli 2005

Die britische Zeitung "The Economist“ kürte Deutschland zum "kranken Mann Europas“. "Deutschland hält die rote Laterne im Euroraum", titeln deutsche Blätter, doch der Wirtschaftsstandort ist besser als sein Ruf.

"Made in Germany" ist wieder beliebtBild: AP

"Gegenwärtig besteht in Deutschland eine gewisse Tendenz zur Schwarzmalerei", urteilte der Sachverständigenrat in seinem Jahresbericht 2004. Trotz schwächelnder Konjunkturprognosen ist der Wirtschaftsstandort Deutschland offenbar weniger desolat als allgemein angenommen.

Rückläufige Lohnentwicklung

So sind die Reallöhne in den letzten Jahren um 0,9 Prozent gesunken, während sie in den 15 alten EU-Staaten um durchschnittlich 7,4 Prozent erhöht wurden. Das zeigt der Europäische Tarifbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans Böckler-Stiftung (WSI). Darum sei Deutschland auch Exportweltmeister, erläutert Thorsten Schulten vom WSI: Gute Exportzahlen seien zudem immer ein Indiz für gute internationale Wettbewerbsfähigkeit. "Angesichts dieser Zahlen ist es Unsinn, zu behaupten, die Gewerkschaften in Deutschland seien zu stark und Arbeit zu teuer", so sein Urteil.

Hohe Produktivität

Der Vergleich mit Billiglohnländern hinkt daher: "Deutschlands Lohnniveau mit polnischen oder tschechischen Verhältnissen zu vergleichen, ist unsinnig", sagt Rolf Kroker vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Produktivität sei hier höher und nach wie vor könne Deutschland mit gut ausgebildeten und qualifizierten Arbeitskräften punkten - trotz der Debatte um PISA und Bildungsmisere. "Gerade im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich sowie mit deutschen Ingenieuren haben wir ein Pfund, mit dem wir wuchern können", sagt Kroker. Längerfristige Probleme befürchtet er allerdings aufgrund demografischer Engpässe.

Bei Unternehmern beliebt

Deutsche Ingenieure sind weltweit gefragt


Diese Standortvorteile wissen auch ausländische Investoren zu schätzen: Nach einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young rangiert Deutschland bei ausländischen Unternehmen auf der Beliebtheitsskala auf Rang fünf weltweit - hinter China, den USA, Indien und Polen. Bestnoten gab es hier vor allem für die Qualität von Forschung und Entwicklung.

Deutscher Erfindergeist

So belegte Deutschland mit über 23.000 Neuanmeldungen beim Europäischen Patentamt im vergangenen Jahr Platz drei - hinter den USA und Japan. Zu den stärksten Branchen zählten dabei Automobil- und Maschinenbau, Elektronik, Medizin und Umwelttechnik. Und auch die Politik kümmert sich: 2,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes gibt die Regierung für Forschung und Entwicklung aus - das liegt immerhin im europäischen Durchschnitt.

Die Steuerbremse

Den dringlichsten Handlungsbedarf sieht Rolf Kroker vom IW allerdings bei der deutschen Steuer- und Finanzpolitik: Die Unternehmensbesteuerung sei international nicht wettbewerbsfähig. Derzeit liegt die geplante Unternehmenssteuerreform der Bundesregierung jedoch auf Eis. Mit ihr sollte die Körperschaftssteuer von 25 auf 19 Prozent gesenkt und Personengesellschaften bei der Gewerbe- und Erbschaftsteuer entlastet werden. "Das ist das erste, was eine neue Regierung angehen muss", sagt Kroker mit Blick auf die voraussichtlichen Neuwahlen im Herbst. Derzeit hält er allerdings die Konzepte von CDU und FDP für weitreichender.

Auch der Verwaltungsaufwand in Deutschland ist enorm: "Der hohe Regulierungsgrad, ein unflexibler Arbeitsmarkt und hohe Sozialstandards bleiben für Investoren in Deutschland ein Ärgernis", sagt Peter Englisch von Ernst & Young. Seine Studie zeige, dass daher Länder, die noch vor wenigen Jahren keine Rolle spielten, zu Konkurrenten im weltweiten Standortwettbewerb würden. "China, Indien und die osteuropäischen Länder drohen, Deutschland den Rang abzulaufen", warnt Englisch.

Logo des Europäischen Patentamtes

Positive Rahmenbedingungen

Als Pluspunkte hoben die Unternehmen seiner Studie jedoch den Zugang zu Finanzinvestoren in der Bundesrepublik hervor, ebenso wie die gute Infrastruktur und die geographische Lage in der Mitte Europas. Auch Rechtssicherheit und politische Stabilität seien relevante Faktoren, fügt Kroker vom IW hinzu: "Ein funktionierendes Gemeinwesen ist nicht zu unterschätzen: Das deutsche ist zwar kompliziert aber nicht korrupt. Das schafft Verlässlichkeit."

Pluspunkt: InfrastrukturBild: AP

Zu Pessimismus besteht somit für den Wirtschaftsexperten kein Grund: "Deutschland hat Potenziale, aber die heben sich nicht von selbst." Zwar gebe es noch viele Baustellen, aber Kroker ist zuversichtlich, dass die Bürger wirtschaftliche Reformen auch mittragen würden: "Das ist vor allem eine Frage der transparenten und verständlichen Vermittlung durch die Politiker."

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