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Alejandro Aravena leitet die Architektur-Biennale in Venedig

Stefan Dege27. Mai 2016

Alejandro Aravena will kein Star sein. Dabei hat der chilenische Architekt den renommierten Pritzker-Preis erhalten. Der 48-Jährige leitet jetzt die Architektur-Biennale in Venedig. Porträt eines Antistars.

Der chilenische Star-Architekt Alejandro Aravena diskutiert gestenreich. Foto: JUSTIN TALLIS/AFP/Getty Images
Bild: Getty Images/AFP/J. Tallis

Das sagen die Bewohner über Aravenas Architektur

02:10

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Wie ein riesiges Monster erhebt sich der klobige Bau über den Campus der katholischen Universität von Santiago de Chile - ein grauer Betonklotz mit Lichtschächten, der ganz ohne Klimaanlagen auskommt. Wie ein architektonisches Ausrufezeichen überragt das "Innovation Centre" die chilenische Metropole. Es ist Aravenas Kathedrale des neuen Bauens. "Wir Architekten verleihen den Orten, an denen Menschen leben, eine Form", sagt der 48-Jährige, "das ist so kompliziert wie einfach!"

Schönheit und Effizienz zu verbinden, war immer schon der schwierigste Job eines Architekten. Doch Aravena, dem ästhetischer Selbstzweck fremd ist, der sich vor allem als sozialer Dienstleister versteht, will mehr: "Wir beginnen unsere Projekte so weit weg von der Architektur wie möglich", postuliert Aravena. Sein Denken beginnt bei den Bewohnern eines Gebäudes. Es verknüpft ihre Bedürfnisse mit den Erfordernissen der Umwelt. Aravena nennt das "Social Housing". Für seine Ideen liegt ihm die Welt aus Architekten, Stadtplanern und Politikern zu Füßen.

Ein halbes Haus für die Armen

International bekannt wurde Aravena 2004 mit seinem Projekt "Quinta Monroy". Für Chiles Regierung errichtete er Sozialwohnungen in der Hafenstadt Iquique am Rande der Atacama-Wüste, und das mit kleinstem Budget: Weil der staatliche Zuschuss nicht ausreichte, um Bauland zu kaufen und zu bebauen, wagte Aravena einen radikalen Schritt: Er baute die Häuser nur zur Hälfte fertig. Ein Zimmer, Küche, Bad plus Dach stellte er den künftigen Bewohnern hin, den Rest sollten sie selbst ausbauen.

"Half-of-a-good-house" (zu deutsch: "Die-Hälfte-eines-guten-Hauses"), wie Aravena sein Konzept nennt, macht seither Schule. Tausende solcher Wohnungen gibt es mittlerweile, nicht nur in Chile, auch in Mexico. 300 Dollar mussten die chilenischen Familien beim Erwerb bezahlen, 7.300 Dollar bekamen sie als Subvention. Aravena setzte auf hohe Qualitätsstandards bei Materialien und Ausstattung, eher ungewöhnlich für sozialen Wohnungsbau. "Wir haben Qualität neu definiert, als etwas, das mit der Zeit an Wert gewinnt", sagte der Architekt kürzlich in einem Interview. Nach fünf Jahren durften die Bewohner ihr Haus verkaufen. "Manche haben das gemacht und 65.000 Dollar dafür bekommen", rechnet der Architekt vor, "es geht bei sozialem Wohnungsbau eben nicht nur darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben – es kann auch ein Instrument gegen Armut sein."

Lange Diskussion mit den Bewohnern

Aravenas größtes Projekt ist der Wiederaufbau von Constitución. Ein Tsunami hatte die Stadt an der Pazifikküste 2010 verwüstet. Aravena diskutierte zunächst mit Bewohnern und erfuhr dabei ihre eigentlichen Sorgen. Sie fragten sich, wie sie freien Zugang zum Fluß erhalten würden und wie Überflutungen durch Regen verhindert werden könnten. Oder: Wie sich die Qualität öffentlicher Plätze verbessern ließe? Der Architekt entwarf einen Masterplan. An der Küste entsteht nun eine Parkanlage samt Wald, der Regenwasser aufsaugt und Tsunamiwellen ausbremst. Es gibt mehr Freiflächen. Aravena schob Förderprogramme an. Für das Geld kann sich die Stadt jetzt zusätzlich ein Kulturzentrum und eine Bibliothek leisten.

"Die Rolle des Architekten ist es heute, größeren gesellschaftlichen und humanitären Anforderungen gerecht zu werden", begründete die Jury des Pritzker-Preises im April ihre Entscheidung für den 48-jährigen Chilenen. "Alejandro Aravena hat sich dieser Herausforderung klar, großzügig und mit vollem Einsatz angenommen. Er gibt den Unterprivilegierten eine Chance und vertieft unser Verständnis von wahrhaft großartigem Design", schreibt die Jury des renommiertesten Architekturpreises. Hehre Worte - gleichwohl gewann Aravena schon 15 Jahre zuvor seine erste Auszeichnung, ein Jahr vor seinem Architektur-Diplom an der Päpstlich Katholischen Universität in Santiago de Chile, seiner Heimatstadt, wo er noch heute lebt.

Die zweite Chance genutzt

Aravena stammt aus einer Lehrerfamilie. Schon als Kind habe er davon geträumt, Häuser zu bauen. Die ersten Berufserfahrungen frustrieren jedoch den Architekten. "Ich hatte nur beschissene Bauherren", erinnert er sich, "Leute, die versuchten, einen übers Ohr zu hauen und zu benutzen." Deshalb schmiss er den Job hin, schloss sogar vorübergebend sein Büro und eröffnete eine Bar. Wie er zurückfand zur Architektur? "Irgendwann dachte ich, ich sollte mir selbst eine zweite Chance geben und mich den Problemen stellen, anstatt wegzulaufen." 1994 eröffnet Aravena seine erste eigene Firma, "Alejandro Aravena Architects", mit der er bis heute Bauten rund um den Globus betreut. Die Schwerpunkte: Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Seit 2001 leitet er auch das Büro "Elemental", laut Aravena kein "Think-Tank", sondern ein "Do-Tank" für Infrastruktur, Städte- und Wohnungsbau.

"Half of a good house" - Sozialer Wohungsbau à la AravenaBild: ELEMENTAL

"Reporting from the front" lautet das Motto der Architektur-Biennale in Venedig, die er in diesem Jahr leitet. Alejandro Aravena hat Militärvokabular gewählt. Als Krieg möchte er die Architektur zwar nicht bezeichnen, doch immerhin als Kampf um Lebensqualität - trotz aller "Beschränkungen, knapper Mittel und der Dringlichkeit von Themen". Seine Biennale organisiert er als Frontbericht, als eine Best-Practice-Schau aus den Büros seiner Kollegen. "Von Architekten möchten wir lernen, trotz bescheidener Mittel zu stärken, was vorhanden ist, statt sich darüber zu beschweren, was fehlt", schreibt er auf seiner Website. Sozialkritisch klingt sein Anspruch, herauszufinden, "welche Gestaltungswerkzeuge wir brauchen, um die Kräfte zu unterwandern, die Individualgewinn über den kollektiven Nutzen stellen und das Wir auf das Ich reduzieren." Das liest sich wie Alejandro Aravenas Manifest für ein neues Bauen.

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