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Starbucks oder Kirche?

4. April 2004

Laut Umfragen wird es beim US-Präsidentschaftswahlkampf erneut einen sehr knappen Ausgang geben. Dennoch kämpfen die Kandidaten nicht um jede Stimme. Die Gründe dafür erläutert der Politologe Thomas Greven.

"Zeig uns die Jobs" heißt es auf dem Plakat unter dem Fenster des Präsidenten des Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO, in Sichtweite des Weißen Hauses. Auch die Obdachlosen auf den Stufen der Kirche direkt unter dem Fenster sind nur einen Steinwurf weg von George W. Bush. Auch wenn es fraglich ist, dass Bush das Transparent oder die Obdachlosen sieht, bei der amerikanischen Bevölkerung ziehen die Themen Wirtschaftslage und Arbeitsplätze wieder, wie schon im Wahlkampf Bill Clintons gegen Bushs Vater: "It’s the economy AGAIN, stupid", heißt es in Anlehnung an den berühmten Kampfspruch Clintons. Pikanter Weise sind die massivsten Arbeitsplatzverluste in den umkämpften "Battleground States" aufgetreten. Keine Frage, wenn die Amerikaner im November auf der Basis ihres sozialen Status und ihrer wirtschaftlichen Interessen abstimmten, müssten sie den Demokraten John Kerry zum Präsidenten machen und ihm Mehrheiten im Kongress verschaffen.

Chancen der Republikaner

Allerdings ist in der amerikanischen Politik Rasse wichtiger als Klasse. Die Republikaner haben wieder große Chancen, weiße Wähler auch der Unter- und Mittelschichten zu gewinnen, vor allem Männer. Die Demokraten laufen zwar im Gegenzug nicht Gefahr, konservative schwarze Baptisten-Gemeinden im Süden und katholische Latinos zu verlieren, aber diese fallen zahlenmäßig weniger ins Gewicht, vor allem am Wahltag. Zudem hat die auf "traditionellen Familienwerten" basierende republikanische Strategie schon zu wirken begonnen. Überall im Land werden legislative und mediale Attacken auf die "Homo-Ehe" gefahren, um die bei dem Thema wankelmütigen Demokraten ins Schwitzen zu bringen. Freier Waffenbesitz ist ein weiteres solches Thema, eines, das Al Gore 2000 West Virginia gekostet hat. Einige Beobachter sagen, diese Strategie wirkt nur dort, wo es "mehr Kirchen als Starbucks-Cafes" gibt, also im ländlichen Süden, und den haben die Demokraten sowieso verloren gegeben. Aber es spricht einiges dafür, dass auch in "Suburbia" und im ländlichen Norden "Werte am wichtigsten sind" (Ben Wattenberg). Denn mit Hilfe erzkonservativer "Talk-Radio"-Sendungen, für die das neue Bush-kritische Air America Radio des Komikers Al Franken keine Konkurrenz ist, haben einige Werte des amerikanischen Südens erstaunliche Verbreitung im ganzen Land gefunden: eine fundamentale Skepsis gegen die Bundesregierung, Wohlfahrtsprogramme, Regulierung und Steuern. Zwar gewinnen die Demokraten vermutlich überall dort, wo es "mehr Starbucks als Kirchen" gibt, aber Starbucks steht eben nicht nur für eine kosmopolitische, aufgeklärte Kundschaft, sondern auch für ein Geschäftsmodell, dass auf Gewerkschaftsfeindschaft, prekären Arbeitsverhältnissen und konsequenter Ausnutzung von Natur- und Weltmarktverhältnissen basiert.

Single-Frauen entdeckt

Wie könnte also ein erfolgreicher demokratischer Wahlkampf aussehen? Einige Berater sind auf der Suche nach einer neuen Variante der so genannten "soccer moms" – berufstätige Mütter, die für die Themen der Demokraten aufgeschlossen waren – also einer demographischen Untergruppe, deren Anteil in der Wahlbevölkerung steigt. Denn: Demographie ist Schicksal, wie es unter Wahlkampfstrategen oft heißt. Diesmal haben Stanley Greenberg und andere (vielleicht nach viel Fernsehkonsum von Ally McBeal und Sex and the City?) die berufstätigen Single-Frauen "entdeckt". Andere empfehlen dagegen die Konzentration auf die traditionelle Basis, denn deren Wahlbeteiligung kann bei einer knappen Entscheidung ausschlaggebend sein. Allerdings ist die demokratische Basis viel weniger geeint als die republikanische – deren sozialkonservative und marktliberale Flügel kooperieren im Wahljahr – und kann wohl nur durch das Versprechen umfassender Programme zusammen gebracht werden. Da aber erstens die Bush-Regierung, in erstaunlicher Negation vormaliger Bekenntnisse zu ausgeglichenen Haushalten, der Nation ein geradezu unvorstellbares Defizit beschert hat, und zweitens der Löwenanteil aller Ressourcen der Kerry-Kampagne auf die Einwerbung von Geldmitteln verwendet werden muss, um überhaupt im Rennen zu bleiben, sieht es dafür nicht gut aus.

Millionen-Kampagnen

Denn schon jetzt hat es Bush mit Millionenaufwand verstanden, Kerry in Wahlwerbespots zu "definieren", bevor dieser es selbst konnte. So wird aus dem moderaten Kerry medial ein "liberal" (im amerikanischen Sprachgebrauch ein Linker), was ihm das Leben schwer machen wird. Zwar hat Kerry, und haben vor allem die so genannten Sec.-527-Organisationen wie America Coming Together, Media Fund und MoveOn.org (die nach einer Wahlkampffinanzierungsreform nun die Gelder einwerben, die früher an die Parteien gingen, diese allerdings nicht direkt für Kerry-Werbung einsetzen dürfen), sehr erfolgreich Spenden gesammelt. Aber Bush hat ein Vielfaches in der Kriegskasse und das wird auch dann so bleiben, wenn der juristische Angriff der Republikaner auf die Sec.-527-Gruppen, die von ihnen als "Schatten-Demokraten" bezeichnet werden, erfolglos bleibt.

Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.

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