“Axolotl Overkill" beim Filmfest Sundance
29. Januar 2017Es dürfte die richtige Bühne für Helene Hegemanns "Axolotl Overkill" gewesen sein. Schließlich geht es ums Erwachsenwerden, um jugendliches Freiheitsgefühl, um ein Leben im Rausch. Das Sundance Film Festival (19.1.-29.1.), das alljährlich in Park City und Salt Lake City/Utah stattfindet, ist seit Anfang der 1980er Jahre das Festival für das unabhängige, junge Kino in Nordamerika, das sich ganz bewusst von Hollywood absetzt. Helene Hegemann feiert im Februar ihren 25. Geburtstag, hat gleichwohl schon viel erlebt im deutschen Kulturbetrieb.
Weltpremiere beim Sundance Festival statt in Berlin
Natürlich hätte man sich ihren Film auch sehr gut bei der Berlinale (9.2.-19.2.) vorstellen können, die nur wenig später startet. "Axolotl Overkill" als Abschlussfilm an ihrem Geburtstag (19.2.) in der deutschen Hauptstadt beim größten deutschen Filmfestival - das wäre doch ein Coup gewesen! Ein Film, der zudem in Berlin spielt. Doch Helene Hegemann und die Produzenten von "Axolotl Overkill" werden sich schon etwas dabei gedacht haben, als sie sich für das fern im US-Bundesstaat Utah gelegene Sundance entschieden haben. Den ersten großen Spielfilm von Helene Hegemann in Berlin zu zeigen, das wäre wohl auch ein Risiko gewesen - nach der Vorgeschichte.
Hegemanns Roman mit dem ähnlich klingenden Titel "Axolotl Roadkill" hatte 2010 einen veritablen Skandal ausgelöst im deutschen Literaturbetrieb. In dem Buch, auf dem der nun beim Sundance Festival gezeigte Film basiert, hatte Hegemann von einer jungen Frau erzählt, die in Berlin erwachsen wird und dabei sämtliche Jugendsünden von Drogenkonsum bis Schulverweigerung durchläuft. Dabei hatte die junge Autorin Textpassagen anderer Schriftsteller übernommen, ohne dies durch Quellenangaben kenntlich zu machen. Vor allem aus dem Roman "Strobo" des Bloggers Airen stammten viele Passagen.
Literatur- und Urheberrechtsstreit um "Axolotl Roadkill"
Das hatte ein gewaltiges Medienecho ausgelöst. "Axolotl Roadkill" sah sich in der Folge heftiger Plagiatsvorwürfe ausgesetzt. Vor allem auch, weil Hegemann den offensichtlichen Textdiebstahl zunächst offensiv verteidigte und von einem bewussten Akt modernen Schreibens sprach: "Der Entstehungsprozess (des Buches habe) mit diesem Jahrzehnt und den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts zu tun (…), also mit der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation."
Der Autor Airen, dessen Verlag und viele Literaturexperten sahen das freilich anders. "Wir nennen das 'sich mit fremden Federn' schmücken. Die Federn gehören dem Schriftsteller Airen", protestierte dessen Verlag. Ein Kritiker schrieb, Hegemann tue "nicht gut daran, einen vorläufigen Verlierer des Literaturbetriebs wie Strobo-Autor Airen für dessen Hilfeleistung auch noch durch avantgardistische Rechtfertigungen zu verspotten." Schließlich änderten Hegemann und deren Verlag nach und nach ihre Haltung, in der vierten Ausgabe von "Axolotl Roadkill" wurden die Quellen der Autorin schließlich dezidiert aufgelistet, Airen erhielt eine finanzielle Entschädigung.
Helene Hegemann: Früher Start als Autorin und Regisseurin
Helene Hegemann war schon vor ihrem ersten Roman als künstlerisches Wunderkind gefeiert worden. Sie war 15, als im Jahre 2007 ihr erstes Theaterstück aufgeführt wurde, ihr erster längerer Film "Torpedo" lief 2008 bei den Hofer Filmtagen und in Saarbrücken beim "Max Ophüls Preis" und wurde dort ausgezeichnet. In ihren Filmen und Büchern schöpft die junge Autorin aus selbst Erlebtem. Die 1992 in Freiburg geborene Hegemann war dreizehn, als ihre geschiedene Mutter starb.
Sie zog zu ihrem Vater, einem bekannten Theater-Dramaturgen, nach Berlin und stürzte sich ins Nachtleben. Gleichwohl drückte sie in mehreren Interviews ihre "abgrundtiefe Skepsis gegenüber der allgemeinen Auffassung von 'Authentizität'" aus. Man darf gespannt sein, wie das nordamerikanische Publikum nun auf Helene Hegemanns ersten langen Spielfilm reagiert. "Axolotl Overkill" feierte am 20.1. in Utah Weltpremiere.
Deutsche Co-Produktionen beim Filmfest
Beim Sundance-Festival wurden insgesamt 113 Spielfilme und Dokumentationen aus 32 Ländern gezeigt. "Axolotl Overkill" lief in der Programmsektion "World Dramatic", prämiert wurde dafür mit dem Cinematographie-Preis der Belgier Manu Dacosse für seine Kameraführung. Es gab noch drei weitere deutsche Co-Produktionen. Das Regie-Duo Nana Ekvtimishvili & Simon Gross zeigte den Film "Meine glückliche Familie". Der erzählt von einer 52-jährigen Ehefrau und Mutter in der georgischen Hauptstadt Tbilisi, die eines Tages beschließt aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Ein Emanzipationsdrama aus Georgien entstanden vor allem mit deutscher Finanzierung.Der Film ging leer aus, dafür gab es einen weiteren Cinematographie-Preis für Rodrigo Trejo Villanueva, den Kameramann der von Indien, Deutschland und Finnland koproduzierten Dokumentation "Machines". Sie handelt von dem Alltag in einer gigantischen Textilfabrik im indischen Gujarat. Als schwedisch-dänisch-deutsche Co-Produktion lief beim Festival "The Nile Hilton Incident" von Tarik Saleh, ein Film über einen korrupten Polizeibeamten in Kairo, der bei seinem neuesten Fall in ein kriminelles Wespennest stößt, das bis ins Parlament reicht. Er brachte dem Team einen der höchsten Drama-Preise ein. Schließlich bewarb sich auch der Film "The Wound" des Südafrikaners John Trengove, der ebenfalls mit deutschen Fördergeldern entstand, um einen Preis in dieser Sundance-Sektion. Den höchsten Drama-Preis gewann allerdings "I Don't Feel at Home in this World Anymore, ein Werk des Amerikaners Macon Blair, in dem eine depressive Frau mit ihrer Jagd auf Einbrecher einen neuen Lebensinhalt findet.
Julian Rosefeldts Film-Performance mit Cate Blanchett
In der Festivalsektion "Premieres" durfte sich das Publikum mit dem Film "Manifesto" des deutschen Künstlers Julian Rosefeldt auseinandersetzen, der auf einer Kunstinstallation aus dem Jahre 2015 basiert. Die australische Schauspielerin Cate Blanchett verlas dort in wechselnden Rollen verschiedene Manifeste aus der Geschichte der Kunst. Rosefeldt montierte das Ganze zu einer Filminstallation, die erstmals im Dezember 2015 in Australien gezeigt wurde. Eine Kinofassung war nun beim Sundance Filmfest zu sehen.
Auf eine weitere deutsch-australische Zusammenarbeit durften sich die Zuschauer des Films "Berlin Syndrome" freuen. Der deutsche Schauspieler Max Riemelt ist einer der Hauptdarsteller im Film der Australierin Cate Shortland. Riemelt spielt einen jungen Englischlehrer in Berlin, der die Fotojournalistin und Backpackerin Clare (Teresa Palmer) kennenlernt.
Max Riemelt als Psychopath
Was zu Beginn wie eine nette Bekanntschaft wirkt, entwickelt sich dann im Laufe des Geschehens zu einem Horrortrip für die junge Frau. "Berlin Syndrome" startet nach seiner Sundance-Premiere Anfang März in den deutschen Kinos.
So hatte das nordamerikanische Festival in diesem Jahr einen kleinen Berlin-Schwerpunkt, auch "Manifesto" wurde schließlich in der deutschen Hauptstadt gedreht. Auf Helene Hegemanns "Axolotl Overkill" müssen die deutschen Zuschauer noch bis zum Kinostart am 29. Juni warten.