Starke Frauen am Pult
14. Januar 2012Ärztinnen, Managerinnen und Anwältinnen gehören längst zur Normalität. Sogar an das Wort Kanzlerin hat man sich schnell gewöhnt. Aber eine Dirigentin oder ein "Frauen-Dirigent", wie es der wohl populärste deutsche Dirigent der Gegenwart Kurt Masur formulierte, hat Seltenheitswert. Emanzipation wird im Musikbetrieb noch klein geschrieben.
Die einsamen Spitzen
Das sind die vier, die es trotzdem geschafft haben: Die Dresdnerin Romely Pfund dirigiert das Orchester am Landestheater Mecklenburg, Catherine Rückwardt aus Los Angeles hat 2006 die musikalische Leitung des Mainzer Staatstheaters übernommen, die Australierin Simone Young ist Opernchefin in Hamburg, und die US-Amerikanerin Karen Kamensek ist nach Stationen in Freiburg, Hamburg und Maribor gerade Generalmusikdirektorin der Hannover Oper geworden.
Auch sonst bleiben Frauen in führenden Positionen im deutschen Orchester- und Opernbetrieb eher die Ausnahmen. Bis auf die Dresdner Intendantin Ulrike Hessler, die Oberspielleiterin Andrea Moses in Stuttgart und die Regisseurinnen Andrea Breth und Vera Nemirova ist das weibliche Geschlecht in der Musiklandschaft kaum auszumachen. Zu erwähnen wäre vielleicht noch Lucia Hinz, Domkapellmeisterin des Erzbistums von München-Freising. Ihre Ernennung im Jahre 2010 bescherte der Katholischen Kirche viele Lorbeeren aus dem feministischen Lager.
Auch ein paar weitere Fakten belegen eindrucksvoll die Zweitrangigkeit der "Maestras": Als kürzlich eine Nachfolge für den Dirigenten Christian Thielemann an der Münchner Oper gesucht wurde, fanden sich unter fünf Dutzend Kandidaten gerade mal zwei Frauen. In keinem der Nachschlagewerke über bedeutende Dirigenten findet man den Namen einer Frau, auch nicht im jüngsten Dirigenten-Buch von Wolfgang Schreiber, der immerhin dreißig Kapellmeister von Hans von Bülow bis Ingo Metzmacher anpreist.
Dompteuse oder Hohe Priesterin
Ihr Debüt in Hannover feierte Karen Kamensek symbolisch mit der Premiere von "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss – einer Oper, die viel über unterschiedliche weibliche Charaktere verrät. Gefragt, mit welcher der Heldinnen sie sich denn mehr identifiziere – mit der tragischen Ariadne oder der koketten Zerbinetta – antwortete die Dirigentin, sie könne beide gut verstehen. In der von ihr bekleideten Machtposition komme es aber auf etwas ganz anderes an.
Als weiblich geltende Qualitäten wie Fürsorglichkeit oder etwa Netzwerktalent sind eben nur sekundär wichtig, wenn es darum geht, 120 hochprofessionelle Musiker zu motivieren, von denen die meisten auch noch männlich sind. Tatsächlich hat der Dirigenten-Job wohl mehr mit dem eines Feldherrn oder eines Zirkusdompteurs gemein. Es ist ein Machtjob und im wahrsten Sinne des Wortes auch ein Knochenjob, denn Rückenprobleme sind eine weit verbreitete Berufskrankheit.
"Ich glaube, nicht jede Frau will sich so was antun", meint die estnische Dirigentin Anu Tali auf die Frage nach dem Frauenmangel am Pult. Man lebe aus dem Koffer und habe weder ein richtiges Zuhause noch Zeit für die Familie, ergänzt sie, und man sei permanent einem hohen und nicht immer freundlichen Interesse der Kollegen und Öffentlichkeit ausgesetzt. "Es wäre für die Sache sehr förderlich, wenn wir weniger darüber nachdenken würden, ob wir Männer oder Frauen sind und mehr darüber, dass wir alle Menschen sind", sagt Tali leicht verärgert. All denjenigen, die die hübsche Estin als "blauäugige Sphinx" preisen, hat sie mitteilen lassen, sie sei lesbisch. Also von wegen "baltisches Kätzchen"...
Frauenquote? Nein, danke!
Trotz aller Hürden verzeichnen die Dirigentenklassen der europäischen Konservatorien einen ständigen weiblichen Zulauf. Man könnte fast denken können, ein gewisser Ausgleich in dem Bereich sei nur eine Frage der Zeit.
In den USA, wo die Feminisierung des Dirigentenberufes viel früher einsetzte, gibt es viel mehr Dirigentinnen als in Deutschland. Die Matriarchin der Branche, Sarah Caldwell, starb 2006 im Alter von 82 Jahren. Es ist als wohl kein Zufall, dass drei der vier amtierenden deutschen Generalmusik-Direktorinnen aus Übersee kommen. Schließlich sind im alten Europa die Zeiten, als sich etwa die Wiener Philharmoniker als frauenfreie Zone zu halten versuchten, noch gar nicht so lange vorbei.
Auch der verdiente Respekt der Öffentlichkeit, der einzelnen Dirigentinnen unabhängig von ihrem Geschlecht entgegengebracht wird, trägt zur Normalisierung des Dirigentenbetriebs bei. Keiner würde weltweit renommierte Dirigentinnen wie Emmanuelle Haim, Susanna Mälkki, Simone Young oder Konstantia Gourzi nach dem Motto "für eine Frau ganz gut …" beurteilen.
Eine Frauenquote in der Musik lehnen alle erfolgreichen Dirigentinnen allerdings entschlossen ab. So etwas wäre lächerlich, so Anu Tali. Gutes setze sich von alleine durch. Man werde sich schon daran gewöhnen, jemanden ohne Bart und mit Frauenkörper, so die Griechin Konstantia Gourzi, am Pult zu sehen. Zwar gilt auch für Frauen noch der Frack als Dirigentenuniform, aber das kann sich ja ändern.
Autorin: Anastassia Boutsko
Redaktion: Suzanne Cords